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Letzte Frage im Oktober

Herr Kummer weiß Antwort

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Lieber Herr Kummer, in meiner Filterblase ist Chemnitz eine weltoffene Stadt mit wunderbaren, kreativen und herzlichen Menschen. Ich weiß, dass das nicht stimmt. Soll ich meine Filterblase nun absichtlich zerstören, um der Realität ins Auge zu blicken, auch wenn mir klar ist, dass ich dadurch sehr unglücklich werde?

Mensch, Leserbriefschreiber, jetzt reiß dich gefälligst zusammen. Du hast doch alles, was ein schönes Leben ausmacht, du scheinst einen schönen Sommer im weltoffenen Chemnitz verbracht zu haben, mit netten, kreativen und herzlichen Menschen. Wieso soll das jetzt plötzlich nicht mehr die Realität sein? Warum willst du das zerstören, nur weil du dir einreden lässt, in einer dieser neumodischen Filterblasen zu leben? Angeblich entstehen diese Phänomene, weil Webseiten versuchen vorherzubestimmen, welche Informationen der Benutzer auffinden möchte. So entsteht der Eindruck einer isolierten Blase, die Informationen ausschließt, die den bisherigen Ansichten des Benutzers widersprechen.

Du scheinst doch aber durchaus informiert zu sein, auch über das analoge Leben und sogar über die Gedanken von Menschen, die glauben, unsere Demokratie gehört abgeschafft, und die meinen, Chemnitz befinde sich im permanenten Bürgerkrieg.
Zunächst ist es doch erfreulich, dass du in der Lage bist, über deinen Tellerrand zu blicken. Deine angebliche Filterblase ist also ohnehin schon durchlässig. Keine Bange, du lebst nicht in einer künstlichen Traumwelt und die Realität ist nicht nur böse. Lässt man den neumodischen Begriff Filterblase weg, bleibt vor allem eines übrig: die Szene der beleidigten, ängstlichen und vermeintlich zukurzgekommenen Bürger, die es schon vorher gab, und die sich neuerdings auch in Facebookgruppen, YouTube-Kanälen und Kommentarspalten äußert. In dieser Öffentlichkeit werden jetzt politische Stimmen laut, die zuvor weniger beachtet wurden und die ihre Kräfte schlechter bündeln konnten.

Das ist eine neue Herausforderung für die demokratische Zivilgesellschaft. Zu früheren Zeiten, als noch niemand von Filter-Bubbles sprach, versammelten sich die Radikalen in verrauchten Kellerkneipen und den Hinterzimmern von Ausflugslokalen. Zur Mobilisierung der Massen musste man noch Plakate kleben und Flugblätter verteilen. Heute können auch Sesselhocker von zu Hause aus Botschaften in die Welt hinaus schicken, die unheimlich viele Menschen gleichzeitig und rasend schnell erreichen. Vor allem Wut- Hut- und besorgte Bürger glauben nicht, dass die Nachrichten, die ihnen in den Kram passen, falsch sein könnten, auch wenn andere mühevoll beweisen, dass sie falsch sind. Das hat allerdings wenig mit Filterblasen oder Echokammern im Internet zu tun. Es hat vor allem mit Menschen zu tun, die es zu allen Zeiten gab und die einfach nicht glauben, was sich nicht in ihr Weltbild fügt.
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So schätze ich dich nicht ein. Willst du ab sofort deine Mundwinkel nach unten hängen lassen, übel gelaunt und angstbesetzt durch die Stadt schlurfen, und dich von all deinen herzlichen Freunden trennen? Mach das bitte nicht.
Es hat wenig Sinn darüber zu lamentieren, wie wenig informiert oder demokratiefeindlich eine Stadtgesellschaft ist. Es ist so lange heuchlerisch, wie man zugleich Anstrengungen unterlässt, dem Wut-Bürger das Wasser abzugraben. Wir alle, und vor allem auch die Politik, müssen z.B. dafür kämpfen, dass auch Kinder aus ressourcenarmen Umfeldern gleichberechtigte Bildungschancen haben, dass Löhne gerecht und Mieten bezahlbar sind. Diese Dinge anzugehen ist allerdings schwieriger, als das Fabulieren über Filterbubbles und Echokammern.

Foto: by_Radka Schöne_pixelio.de

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