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Letzte Frage im Mai

Herr Kummer weiß Antwort

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Lieber Herr Kummer,
es heißt doch immer, Chemnitz habe auch schöne Ecken. Verwundert las ich nun von einer Rave-Party, die sonntags tagsüber unter einer Chemnitzer Autobahnbrücke stattfand. Warum feiern über 500 Leute an einem so unwirtlichen Ort?

Nein, ich war nicht auf dieser illegalen, hoch geheimen Party. Warum sich 500 Chemnitzer schwarze Füße und Staubpopel unter einer zugigen Betonbrücke zuzogen, kann ich nur vermuten. Vielleicht ist es das Bedürfnis, auch in unserem Biedermeier Deutschland, mal an einer verbotenen Aktion teilzuhaben. Möglicherweise ist es aber auch nur die Suche nach günstigem, nichtkommerziellen Spaß. Schön wäre es allerdings, wenn sich die Partyfreunde die öffentlichen Plätze in der Stadt zurück erobern würden. Unter Autobahnen oder tief im Wald findet keine Urbanität oder gar „Reclaim the Streets“ statt. Da war die Tanzgesellschaft schon mal frecher. Die ersten großen Raves in Deutschland, „Tanztaumel“ genannt, fanden in den 20er Jahren unter Führung des charismatischen Wanderpredigers Muck-Lamberty statt. Selbstbewusst trafen sich die Feierwütigen an so zentralen Orten wie dem Erfurter Domplatz. 20.000 Enthusiasten tanzten tagelang bis in den späten Abend und natürlich gab es auch damals schon Anwohner, die sich beschwerten. Die Polizei wurde herbeigerufen, aber die Ordnungsmacht musste angesichts der Massen unverrichteter Dinge abziehen. Eine Erfurter Zeitung berichtete am 24.08.1920: „Überall auf dem weiten Platz reges Leben: Ein Fest der jungen Menschen in urwüchsiger Einfachheit. Die Alten stehen dabei und erwägen im Herzen, ob sie schon heute oder vielleicht erst morgen mit den Jungen fröhlich sein wollen. Viele haben ihre Vorurteile längst aufgesteckt, sind in die Reihen der Tanzenden eingetreten mit erwartungsvollen Augen.“

Ob die Augen der Verkehrsteilnehmer, die mit ihren Wagen über die Autobahnbrücke bretterten ebenfalls erwartungsvoll waren, wage ich zu bezweifeln. Die Autofahrer werden von dem Rave tief unter ihnen sowieso nichts mitbekommen haben. Anders die Radler. Nach Meinung der herbeigeeilten Polizisten war der Radweg unter der Brücke nur eingeschränkt nutzbar. Das rechtfertigte das sofortige beenden der Party. 500 Jugendliche zogen leise grollend nach Hause. Die angeblich so sanften Hippies waren da in früheren Zeiten aus anderem Holz geschnitzt. 1970 fingen die englischen Langhaarigen an, jeweils zur Sonnenwende nach Stonehenge zu pilgern und dort, vom Staat völlig abgekoppelte, Festivals zu organisieren. Die Tanz-Partys waren ein ständiges Ärgernis für die Autoritäten. 1974 kam es zu heftigen Konfrontationen, da die Hippies diesmal nicht nur zum Feiern kamen, sondern auch blieben. Sie besetzten Stonehenge permanent. Die Kämpfe um das Gelände zogen sich bis 1985. In dem Jahr wurde die Party endgültig verboten, und die Polizei griff anreisende Besucher mit brachialer Gewalt an. Diese Schlacht ging als „Battle of the Beanfields“ in die Geschichte ein. Mitte der 80er Jahre entstanden in England, auch als Gegenbewegung zum britischen Turbokapitalismus, neue Raves, die Warehouse Partys.

Die Orte, an dem diese stattfanden, waren meist besetzter, urbaner Raum. Alte Fabriken wurden zu Tanzorten umfunktioniert. Bewusst wurde sich weder um Mietverträge noch um erforderliche Konzessionen gekümmert. Es kam öfters vor, dass es in London illegale Partys mit 10.000 Gästen gab. In Deutschland, auch in Chemnitz, erlebte der Massentanz nach dem Ende der DDR eine neue Blüte. In der wunderbar anarchischen Zeit nach dem Mauerfall war es relativ einfach, illegale Partys abzuhalten. Damals wussten die Ordnungshüter nicht richtig, wer diesbezüglich wofür zuständig, was legal und was es nicht war. Diese Zeiten sind vorbei, vielleicht geht der Trend nun von der illegalen zur Spontan Party. Hierfür prüft die Chemnitzer Stadtverwaltung die Einführung eines Eilverfahrens. Ziel ist, derartige Veranstaltungen auf Antrag innerhalb von 48 Stunden zu genehmigen. Doch Vorsicht bei öffentlichen Parks. Anlässlich der Love Parade 1997, war über die Raver in der „Berliner Zeitung“ Böses zu lesen:
„Das ein Parkareal nichts Selbstverständliches ist, sondern ein Produkt mühsamer zivilisatorischer Arbeit, geht nicht in den Kopf des fröhlich trampelnden Riesenbabys, das da mit seinem Gekreisch die Vögel verjagt und mit seinen Körperausscheidungen Busch und Baum vergiftet."

Foto: Günter Havlena / pixelio.de

Erschienen im Heft 05/15

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