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Letzte Frage: Februar

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Lieber Herr Kummer, als ich neulich durch die Chemnitzer Altstadt schlenderte und einen Blick in den dm Markt am Rathausplatz warf, traute ich meinen Augen kaum: Alle Einkaufswagen sind dort mit riesigen grauen Leselupe ausgestattet. Seitdem frage ich mich: Wie konnten wir die ganzen Jahre in unserer Stadt der Moderne einen so offensichtlichen Leselupenbedarf haben - ohne es zu bemerken? Mir ist nie aufgefallen dass meine Mitbürgerinnen und Mitbürger neben mir im Drogeriemarkt nicht lesen können, was auf den Verpackungen steht. Ich wusste nicht, dass so viele Leute ein so schlimmes Augenproblem haben. Was sagt das Ihrer Meinung nach über Chemnitz, die Stadt der Moderne aus?

Die erwähnten Vergrößerungsgläser werden nach und nach in allen deutschen Filialen der Drogeriekette eingeführt. Es handelt sich hier also nicht um ein regionaltypisches Phänomen, zumal Chemnitz kein flächendeckendes Augenproblem aufweist. Sehhilfen taugen außerdem sowieso nicht als Marketinghilfen zur Etablierung einer „Stadt der Moderne“. Was hat es also mit diesen Gerätschaften auf sich? In erster Linie sind die Lupen vielen dm Markt Kunden unangenehm aufgefallen, weil sie von frechen Kindern und halbstarken Rowdys als Brenngläser missbraucht werden. In den lichtdurchfluteten Filialen mehrten sich die Beschwerden über Brandlöcher in Verpackungen und kleineren Schwelbränden in den Regalbereichen.[nbsp] Für solchen Unfug wurden die Lupen natürlich nicht an den Einkaufswagen installiert. Eigentlich geht es im modernen Einzelhandel in letzter Zeit vorrangig um Bespitzelung, Spionage und Kundenausforschung.

Firmen wie Lidl, Schlecker oder Edeka gingen da oft recht unsensibel mit der Brechstange vor. Kameras wurden installiert, Detektive engagiert, das Betriebsklima vergiftet. Bekanntlich geht die Chemnitzer Staatsanwaltschaft aktuell gegen den heimischen Edeka Unternehmer Peter Simmel vor. Die nach eigener Auskunft „am Menschen orientierte, der Nachhaltigkeit verpflichtete“ Drogeriekette dm geht ihren eigenen Weg. Die Kundschaft soll sich mit den installierten Vergrößerungsgläsern selbst bespitzeln, sich gewissermaßen selbst unter die Lupe nehmen, den eigenen Einkaufswagen und Kassenbon genauestens und kritisch untersuchen können. Drogeriemarkt Begründer Götz Werner setzt schon seit Jahren auf Selbstbestimmung und Eigeninitiatve der Menschen. Immerhin ist er einer der energischsten Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens, das dem Bürger ersparen soll, sich von Ämtern durchleuchten zu lassen. Diese Idee steht im Gegensatz zur Gedankenwelt des brutalstmöglichen Hessen Ronald Koch.

Der möchte am liebsten eine allgemeine Arbeitspflicht einführen. Da es in Ostdeutschland an Erwerbsarbeit mangelt, könnten die Hartz4 Empfänger ja vielleicht beim Bau einer Reichsautobahn nach Leipzig mitwirken oder einen Ostwall auf dem Erzgebirgskamm errichten um endlich dem Sperrmüll-Schmuggel Richtung Tschechien einen wirkungsvollen Riegel vorzuschieben. Arbeitsdienst ist eine Zwangsmaßnahme und der Gebrauch der Beobachtungslupen beruht auf dem Gedanken der Freiwilligkeit. Zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR sollten wir bedenken, für welche Werte damals auf die Straße gegangen wurde.

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erschienen im 371 Stadtmagazin 02/2010,
Bild: photocase.de/view7

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