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Letzte Frage im Februar

Herr Kummer gibt Antwort

Veröffentlicht am:

Lieber Herr Kummer,
ich bin gebürtiger Chemnitzer, musste aber vor einigen Jahren arbeitsbedingt nach Stuttgart umsiedeln. Seitdem musste ich immer wieder gegen Anfeindungen bezüglich meines Dialekts oder meiner Herkunft kämpfen. Nun lese ich, dass in Berlin ein regelrechter Schwaben-Hass auflebt. Jetzt bin ich voller Hoffnung: Sind Schwaben die neuen Ossis?

Vielen Dank für diese interessante Frage. Der Schwabe entwickelt sich zum neuen Ossi, ein reizvoller Gedanke ist das schon.

Allerdings ist dieser Vergleich ein gewagtes Unterfangen. Häuslebauer gegen Plattenbauer, Mercedes gegen Trabant, Spätzle gegen Neunerlei. Die aktuelle Deutschland-Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts zeigt aber eine gewisse Nähe. Schwäbisch belegte den vorletzten Platz im Dialekt-Ranking, nur die sächsische Sprache war noch unbeliebter. Der Ossi, speziell der Sachse, befindet sich allerdings derzeit in einer sehr komfortablen Lage. Er kann sich zurücklehnen und Zuschauer spielen bei einem bizarren Kampf, der dieser Tage in der Hauptstadt tobt.[nbsp]
Schon früher zugezogene Bürger und ein Häuflein vermeintlicher Ur-Berliner im Verein mit verschiedenen Initiativen kämpfen erbittert gegen neu zugezogene Schwaben. Es herrscht Angst vor Überfremdung und Verdrängung durch die Eindringlinge aus dem Süden unserer Republik. Der Schwabe will sich nicht integrieren, er sagt Wecken statt Schrippen, arbeitet und studiert effektiv und ist bereit und in der Lage großstädtische Mieten zu bezahlen. Gewarnt wird vor angeblich in Teilen von Friedrichshain und Prenzlauer Berg entstandenen schwäbischen Parallelgesellschaften. Angst vor Fremden ist, wie man an diesem Beispiel sehen kann, kein Privileg von Ultrakonservativen. Autonome Gruppen und linke Initiativen wollen die Schwaben am liebsten abschieben und bilden sich tatsächlich ein, damit eine Veränderung Berlins verhindern zu können. Der heroische Aufstand gegen die Schwaben scheint gleichberechtigt neben dem Kampf gegen Großkapital und Faschismus zu stehen. Flugblätter werden gedruckt und Transparente geschwenkt. Der Betrachter übt sich derweil im Fremdschämen und erinnert sich an die Zeiten Ostberlins, als die Sachsen die Schwaben der DDR waren.

Als im Rahmen der FDJ-Aktion „Dächer dicht“ Tausende, eigentlich in ihrer Heimat dringend benötigte, Handwerker und Bauarbeiter in die Hauptstadt beordert wurden, um die Stadt zum 750jährigen Jubiläum aufzupolieren, entstanden schnell Gerüchte, dass die Neuankömmlinge den Einheimischen die begehrten Wohnungen wegschnappen wollen und nebenamtlich sowieso alle für die Stasi tätig wären.

Als Sachsen-Ossi sollte man derzeit bei kleinen Hänseleien nicht nachtragend sein, sondern Größe zeigen und den Stuttgartern tröstend auf die Schulter klopfen. Die naiven Schwaben hatten sich doch wirklich eingebildet, durch erfolgreichen Mittelstand, fette Autos, Kehrwoche, Bausparkasse und Häuslebau in der ganzen Republik beliebt zu sein. Sogar eine richtige Bahnhofsrevolution hatten die Stuttgarter angezettelt!

Und was ist der Dank? „Schwabe go home“ oder „Spätzle verpiss dich“. Die genügsamen Sachsen, die immerhin durch zähes demonstrieren eine komplette Diktatur zum Einsturz brachten, erwarteten nie größere Dankes– oder gar Sympathiebekundungen aus Berlin. Man kennt sich eben. Ohnehin weiß doch jeder, dass ohne den seit Jahrhunderten andauernden Zuzug von Franzosen, Polen, Schwaben und Sachsen Berlin nur ein ödes Provinzkaff in der Brandenburger Sandwüste wäre.

Dir lieber Leserbriefschreiber, möchte ich abschließend noch zurufen: Komm zurück, wenn du fern der Heimat dein Glück nicht finden kannst und bringe ruhig noch ein paar nette Schwaben mit. Chemnitz hat Platz für alle und freut sich reinen Herzens über jeden Neubürger.

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