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Daten und Taten

Auswertung der 1. Kommunalen Bürgerumfrage

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Die Chemnitzer Stadtverwaltung hat erstmals eine Bürgerumfrage durchgeführt. Ziel war unter anderem, zukünftige Handlungsfelder abzustecken. Einige Ergebnisse irritieren jedoch. Deshalb haben wie als ungeübte Datenleser den renommierten Chemnitzer Sozialforscher Ulrich Weiser um eine fachkundige Einschätzung gebeten.

Lieber Ulrich, statistische Daten sind dein Brot. Würdest du von der vorliegenden Auswertung satt werden können?

Sicherlich ist die erste Auswertung nur ein Aufschlag für weitere Forschungen. Im Zuge weiterer Befragungen wird man die Ergebnisse besser interpretieren, Zeitreihen und Trends aufzeigen können und so zu besseren, detaillierten Erkenntnissen gelangen.

Ob man aus den vorliegenden Daten mehr hätte herausholen können, z. B. Auswertungen nach Stadtteilen oder SEKo-Gebieten, kann ich nicht beurteilen, da ich den Fragebogen nicht kenne. Er ist im Ergebnisbericht auch nicht im Anhang zu finden.

Letztendlich antwortete 1% der Chemnitzer Bevölkerung auf die gestellten Fragen und innerhalb dieser Gruppe sind die altersstrukturellen Parameter sogar noch verschoben zur tatsächlichen Bevölkerungsstruktur. Wie ist unter diesen Aspekten die Aussagekraft dieser Datenmenge einzuschätzen?

Die reine Anzahl an Fragebögen, die eingegangen ist, ist sehr hoch und quantitativ mehr als ausreichend. Man kann bereits mit hohen dreistelligen Fallzahlen allgemeingültige Ergebnisse erzielen, wenn die Kriterien der Repräsentativität bei einer Stichprobe erfüllt sind.

Die Daten der allermeisten postalischen oder online-Befragungen sind in irgendeiner Form verzerrt, d. h. spiegeln nicht 100%ig die Grundgesamtheit wider. Das liegt normalerweise an der Selbstselektion, d. h. es nehmen nur die Personen teil, die das auch wollen, oder schlimmstenfalls an einer Methodik (z. B. nur online), die bestimmte Bevölkerungsgruppen ausschließt.

Ist deiner Meinung nach diese Datendecke geeignet, Rückschlüsse auf tatsächliche Bedürfnisse zu ziehen und Handlungen zu formulieren?

Generell ist jede empirische Forschung immer nur ein Versuch, sich der Realität anzunähern. Entscheidend ist nicht die Anzahl an Fällen oder eine etwaige kleinere Stichprobenverzerrung, sondern die Interpretation der Daten. Ich würde mich davor hüten, jetzt ausschließlich basierend auf den Ergebnissen große Maßnahmenpläne zu schmieden. Die meisten Dinge im Leben in einer Stadt sind viel zu komplex, um sie bspw. in eine Fünfer-Zufriedenheitsskala zu pressen und messen zu wollen. Langfristig und bei regelmäßiger Durchführung werden die Daten der Bürgerbefragung dabei helfen, Stimmungen unter der Bevölkerung erkennen zu können.

Einige Antworten erstaunen mengenmäßig: So sind 46,8 % der Befragten mit dem Zustand von Parkplätzen unzufrieden. Ich verstehe aber die Frage gar nicht. Parkplatz ist Parkplatz, wenn er nicht gerade dauerhaft unter Wasser steht, habe ich wenig Ansprüche an ihn. Mir scheint, als hätten die Antwortenden hier Zustand und Angebot verwechselt. Wie beurteilst du die Qualität der Fragen bzgl. ihrer Verwertbarkeit?

Man findet bei jedem Fragebogen Formulierungen, die man selbst anders geschrieben hätte. Dein Beispiel würde ich daher nicht überdramatisieren. Dass hier statt „Parkplätze“ auf den „Parkplatzmangel“ abgezielt wurde, ist meiner Meinung klar.

Viel wichtiger ist: Bei kommunalen Erhebungen schwingt immer auch die Möglichkeit mit, der Stadt gewisse Botschaften zu übermitteln. Selbst wenn jemand also jeden Abend auf dem Kaßberg seinen Parkplatz findet, kann er so noch einmal per Kreuz signalisieren, dass hier bei diesem Thema noch mehr passieren sollte.

Anderes Beispiel: Beim Besuch von Freizeiteinrichtungen geben 36 % an, in den letzten 12 Monaten im Industriemuseum gewesen zu sein. Hochgerechnet wären das 90.000 Menschen allein aus Chemnitz, dass Industriemuseum hatte 2017 insgesamt aber „nur“ etwas mehr als 45.000 Besucher. Dieses Beispiel könnte man auf alle abgefragten Einrichtungen anwenden. Wie ist eine solche Abweichung zu erklären?

Zwei Möglichkeiten. Erstens: Die 36 % der 2.600 Befragten waren tatsächlich im Industriemuseum. Das wäre ein Zeichen dafür, dass die Stichprobe massiv verzerrt wäre und sich nicht zur Verallgemeinerung auf die Grundgesamtheit, d. h. auf alle Chemnitzer, eignet.
Zweite Möglichkeit: die Befragten haben im Sinne der „sozialen Erwünschtheit“ angekreuzt, dass sie im Industriemuseum waren, obwohl dies gar nicht der Fall war. Vielleicht haben sie auch das „letzte 12 Monate“ überlesen und waren irgendwann einmal im Industriemuseum.

Wie beurteilst du generell die Methodik dieser Bürgerumfrage?

Die gewählte Vorgehensweise ist gängige Praxis in der Sozialforschung. Die Kombination aus online und gedruckten Fragebogen hilft allen Altersgruppen. Man sieht ja an der guten Ausschöpfung – 2.600 Teilnehmer bei einer Stichprobe von 6.000 –, dass der gewählte Weg funktioniert hat. Jede Methodik hat ihre Stärken und Schwächen; auch die Finanzierbarkeit muss hier mit im Hinterkopf behalten.

Du beschäftigst dich in deiner Arbeit als Sozialforscher sehr intensiv mit Chemnitz. Gibt es daher Fragen, die du unbedingt in dieser Umfrage sehen möchtest?

Generell würde ich bestimmte allgemeine Fragen in jeder Befragung immer in identischer Weise erheben, um Entwicklungen untersuchen zu können. In einem zweiten variablen Teil würde ich mich aktuelleren Themen widmen. Dies könnten aktuell die Kulturhauptbewerbung oder die in Erarbeitung befindliche „Chemnitz-Strategie 2040“ sein. Die Befragung bietet sich jedenfalls dafür an, bestimmte Themen, die sonst immer nur in kleinen Zirkeln besprochen werden, noch einmal der breiten Öffentlichkeit nicht nur (auf bunten Plakaten) zu präsentieren, sondern auch zeitnah zur Bewertung vorzulegen. Man würde hier nochmal ein anderes, externeres Stimmungsbild erhalten, das – bei behutsamer Interpretation – bestimmte Vorgänge erhellen können. Man stelle sich mal vor, es wäre vor Jahren der Slogan „Stadt der Moderne“ in so einer Erhebung thematisiert worden.

Interview: Lars Neuenfeld

Daten (Auswahl):
77 Prozent der Befragten geben an, dass sie mit ihrer derzeitigen Lebenssituation (sehr) zufrieden sind.

Die sechs größten Problemfelder in der Stadt gibt es aus Sicht der Bürger in den Bereichen Baustellen/Umleitungen, Sicherheit/Kriminalität, Ärztliche Versorgung, Zustand der Straßen sowie Parkplätze.

Das Zusammenleben mit Ausländern empfinden 33 Prozent als Problem. Beachtenswert dabei ist, dass dies 42 % der 18 bis 30-jährigen als Problem angeben, bei den über 70-jährigen sind es nur 24 %.

Fast zwei Drittel der Chemnitzer nutzen für den Weg zur Arbeit den PKW. 18 Prozent nutzen den ÖPNV.

45,7 % sind mit dem Angeboten des ÖPNV zufrieden, 19 % sind unzufrieden.

33,7 % empfinden den Chemnitzer ÖPNV als zu teuer.

17 % sind mit dem Zustand der Chemnitzer Radwege zufrieden, 33,6 zeigen sich dahingehend unzufrieden

Etwas mehr als die Hälfte der Befragten fühlen sich am Tag im gesamten Stadtgebiet sicher. Nachts fühlen sich hingegen drei Viertel eher unsicher.

Die Hälfte der Antwortenden hält den Einsatz von Streetworkern als Maßnahme zur Erhöhung der Sicherheit und Ordnung für wichtig, 90 % setzen auf Polizaipräsenz und nur 37,1 % befürwortet hier den Einsatz privater Sicherheitsunternehmen.

Die Bekanntheit von Bürgerbeteiligungformen setllt sich wie folgt dar: 62,9 % wissen von Einwohnerversammlungen, 56,6 % von Unterschriftensammlungen. Etwas mehr als die Hälfte der Antwortenden weiß von der Bürgersprechstunde der Oberbürgermeisterin. Von der Möglichkeit schriftlicher Anfragen wissen nur 36,8 %.


23,6 % haben schon einmal an einer Unterschriftensammlung teilgenommen, 13,7, % waren auf einer Einwohnerversammlung, die meisten anderen Beteiligungsformen wurden von weniger als 5 % der Antwortenden genutzt.

Befragt nach den Themen der Bürgerbeteiligung, bei denen die Befragten zukünftig gern mitreden möchten, waren von den zur Auswahl gestellten 14 Themenbereichen die am häufigsten genannten Bereiche die Stadtentwicklung (29 %) und Zuwanderung/Integration (28 %)


Die komplette Auswertung gibt es auf www.chemnitz.de

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