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Der Leichtbau-Leuchtturm

Bundesexzellenzcluster Merge vor dem Aus

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Chemnitz liegt fernab aller Meere und doch sind es gerade die Leuchttürme, denen man hier besondere Beachtung schenkt: Institutionen und Projekte, die weit über die Stadtgrenzen hinaus strahlen und Aufmerksamkeitspunkte in Sachsen und darüber hinaus setzen. Einer der größten und strahlkräftigsten Exemplare droht nun zusammenzubrechen. MERGE heißt er, steht an der TU Chemnitz und bezeichnet eines ihrer herausragenden Forschungsprojekte. Überraschend wurde ihm nun eine millionenschwere Förderung verwehrt.

MERGE steht für „Technologiefusion für multifunktionale Leichtbaustrukturen“. Die Idee dahinter: Leichtbau gilt als Schlüsseltechnologie der Zukunft. Er schont Ressourcen, senkt Emissionen und Kosten. In Chemnitz sollten bisher getrennte Fertigungsprozesse bei der Verarbeitung unterschiedlicher Werkstoffe wie Metalle, Textilien und Kunststoffe zusammengeführt werden. 2012 gelang der TU mit dieser Idee ein bemerkenswerter Coup: Das MERGE-Projekt wurde ein Bundesexzellenzcluster, sprich Forschung auf Weltniveau, gesegnet mit einem lang andauernden und üppigen Geldregen. Mehr als 40 Millionen Euro werden bis Ende 2018 allein aus diesem Fördertopf nach Chemnitz geflossen sein. Das sind knapp 10% der Drittmittelerlöse aller TU-Projekte in diesem Zeitraum. Dazu summieren sich weitere 38 Millionen Euro, die im Zusammenhang mit MERGE aus EU- und Landesmitteln ausgezahlt wurden. Mit dieser Summe ist eine beachtliche Leichtbau-Infrastruktur samt Werkhalle und Produktionslinie entstanden.

Bitteres Vorrundenaus
Mit dem Folgeprojekt MERGE 2 sollten die Chemnitzer Ambitionen nun zur Blüte gebracht werden. Problem: Die Förderung im Rahmen der Bundesexzellenzcluster fließt pro Antragsperiode nur über sieben Jahre. Danach ist eine Anschlussförderungen möglich. In den letzten Perioden stellten diese knapp die Hälfte der bewilligten Projekte dar. MERGE 2 sollte nach Willen der TU-Leitung dort unterkommen, doch es kam anders: Am 29. September verkündete die Deutsche Forschungsgemeinschaft, kurz DFG, dass MERGE 2 nicht gefördert wird. Ein Schock für die Betroffenen.

Besonders verwunderlich ist dabei, dass der TU-Antrag schon in der Vorrunde scheiterte. 45 bis 50 Anträge will die DFG im nächsten Frühjahr bewilligen, 195[nbsp] Antragsskizzen wurden diesbezüglich bei ihr eingereicht. Jede zweite wurde nun zur konkreten Antragsstellung aufgefordert, die Chemnitzer gehörte nicht dazu.

Überrascht und enttäuscht
„Natürlich waren wir ebenso überrascht wie enttäuscht,“ gibt TU-Pressesprecher Mario Steinebach gegenüber dem 371 zu. Nun gelte es „intern Ursachenforschung zu betreiben, wobei wir natürlich externe Informationen auswerten werden.“ Viel tiefer will man sich nicht in die Karten schauen lassen, eine Begründung für die Nichtberücksichtigung liefert die DFG nicht. Gespräche mit zahlreichen Unimitarbeitern und Professoren, die das 371 führte, spiegeln eine große Ratlosigkeit wieder. Spekulationen über die Gründe des Scheiterns gibt es viele. Ein Unimitarbeiter, Kenner der Drittmittelakquise, der aber nicht namentlich genannt werden will, verweist auf die politische Komponente: „Man muss sich vergegenwärtigen: Solche Anträge werden von Gutachtern geprüft und bewertet. Als Gutachter agieren meist Professoren. Am Ende bewerten also Professoren die Vorhaben anderen Professoren. Da kann man schon formulieren, dass es bei der Bewilligung solcher Drittmittelanträge viel um Beziehungen und Netzwerke geht.“

Leicht überschätzt?
Gerechnet hatte mit der Absage aber wohl niemand. „Aus meiner Sicht stehen die Chancen sehr gut“, hatte MERGE-Koordinator Prof. Dr. Lothar Kroll noch im April dieses Jahres in einem Interview im universitätseigenen Youtube-Kanal betont. Immer wieder hatten Kroll und die Uni-PR darauf hingewiesen, wie einzigartig und führend die Leichtbauforschung in Chemnitz doch sei. Noch heute spricht Mario Steinebach von MERGE als „der führende europäische Leichtbaustandort“. Die Einschätzung teilte man bei der DFG offensichtlich nicht.

Und noch ein Tiefschlag folgte: Kurz nach der Bekanntgabe des Negativbescheids verkündete die Sächsische Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange, die sich zuvor ebenfalls erstaunt über die abschlägige Entscheidung der DFG geäußert hatte, die Gründung des Vereins „Leichtbau-Allianz Sachsen“. Mit ihm soll die Leichtbau-Forschung im Freistaat gebündelt werden. Die TU Dresden, die Bergakademie Freiberg und Teile der Chemnitzer TU sind Mitglieder in diesem Verein. Als Sitz der Allianz Sachsen wurde überraschend Freiberg und nicht die selbsternannten Leichtbau-Hauptstadt Chemnitz ausgewählt. Dort will man das nicht bewerten und verweist stattdessen auf das große internationale Netzwerk, das hinter MERGE steht.

Auf halbem Weg
„Wir sind erst auf dem halben Weg“, hatte Prof. Dr. Kroll noch im April in oben genanntem Interview beschrieben. Wie dieser Weg nun zu Ende gegangen werden soll, ist völlig offen, genauso offen wie die Zukunft der über 100 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die an MERGE arbeiten. Mario Steinebach gibt sich für die TU kämpferisch: „Selbstverständlich wird die Technische Universität Chemnitz an ihrer Kernkompetenz „Ressourceneffiziente Produktion und Leichtbau“ festhalten.“ Für die TU gilt es nun „den Blick nach vorn zu richten, neue Finanzierungsquellen zu erschließen und auch neue Großprojekte einzuwerben.“ Im Scheitern steckt also auch eine Chance. Immerhin sind bis zum Ende der Exzellenzförderung über 70 Millionen Euro in den Standort Chemnitz geflossen. Die sogenannte MERGE-Maschine, eine neu entwickelte Fertigungsstrecke für Kunststoffteile, steht, ein internationales Netzwerk mit 400 Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft arbeitet. Der Leuchtturm wackelt, ob er einstürzt, wird die Zukunft zeigen.

Text: Lars Neuenfeld

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