⚠ Diese Webseite wurde nicht für Internet Explorer 11 optimiert. Wir empfehlen Mozilla Firefox , Microsoft Edge oder Google Chrome.

Das Web-App-Mag
Immer auf Tasche

Magazin

Chemnitz braucht eine Kunsthochschule!

Nur so'n Gedanke Teil 1

Veröffentlicht am:

Chemnitz 2025: Die Stadt ist Kulturhauptstadt Europas. Auf dem Weg dorthin hat sie sich in eine coole, bunte, lebens- und liebenswerte Metropole verwandelt. 371 will da nicht abseits stehen und postet von nun ab jeden Monat eine steile These, die uns diesem Ziel näher bringt. These 1: Chemnitz braucht eine Kunsthochschule! [nbsp]

Immer wieder wenn a) die Stadt wie ein Sanatorium erscheint, in dem gerade ein Best-of aus[nbsp] bröckeligen Wänden und abgetragenen Ideen aus der Hauptstadt (die ist da rausgewachsen) ausgestellt wird oder b) irgendwas die schlimmsten Wesenszüge aus dem Untergrund der Stadt treibt, fragt man sich: Wie kann man die Stadt mehr so machen, dass ich gern drin leben würde? Und irgendwer schreibt dann bei Facebook mal wieder unter irgendwas "wir brauchen hier ´ne Kunsthochschule". Gute Idee, die der Autor dieser Zeilen auch schon hatte (bestimmt als erster, wie bei all seinen Ideen).

Wie das geht und was dann passiert, ist klar: Die Stadt Chemnitz gibt einem Konsortium visionärer Menschen ein großes Gebäude, was Schickes im Industrielook mit Skalierungsfläche wie die Wandererwerke wäre gut, und dazu ein paar Millionen Euro zur Ausstattung und Sanierung, die dann eben mal nicht in irgendeine andere komische Idee gesteckt werden können und sicher billiger als Bau und Unterhalt eines Stadions sind (Achtung, Sportförderung ist auch wichtig, aber darum geht's grad nicht). Dann laden wir Professoren, Dozenten und Künstler ein, hier neue Studiengänge zu etablieren, die das richtig klasse finden, weil sie hier Freiraum, Freiheit, Neuland vorfinden. Fertig ist die Uni. So ausgestattet lockt man ein-/zweihundert kreative Köpfe aus dem ganzen Land, bestimmt auch ganz Europa an. Und weil Künstler ihre Kunst auch zeigen wollen – aus innerem Antrieb sogar müssen – gibt es in Chemnitz mindestens zweimal die Woche eine Pop-up-Gallery, eine Performance, ein Minifestival, was wiederum auch Nicht-Kunststudierende dazu anregt, sich auf einer vergeistigten Ebene mit sich und der Gesellschaft auseinander zu setzen. Der Bürger wird quasi ganz nebenbei zum Artist mit ständiger Residence.

Chemnitz bekommt dann einen Ruf. Erscheint plötzlich auf einer Landkarte, auf der es noch nichtmal ein weißer Fleck war, so wie sich Hildesheim und Leipzig mit ihren Autorenschmieden positionierten, Mannheim mit seiner Pop-Akademie, so wird Chemnitz dann vielleicht die Stadt auf die alle schauen, wenn es um multimediale Avantgarde geht. Das schreit förmlich „Lebensqualität“. Mit diesem Ruf und der dann benötigten Infrastruktur aus Cafés, Bars, Kunsträumen lockt Chemnitz urbanes Leben und junge Menschen an, die frischen Wind in die Stadt bringen.

Und plötzlich: Zwei, die es angehen
Es gibt vielleicht in den nächsten hundert Jahren keinen besseren Zeitpunkt, eine so größenwahnsinnige Idee anzugehen, als jetzt, wo a) die Kulturhauptstadtbewerbung vor der Tür steht und b) mehr Chemnitzer denn je genug Leidensdruck verspüren, um etwas reißen zu wollen. Und tatsächlich sind die Designerin Mandy Knospe und Robert Verch, Stadtteilmanager für Wirtschaft und Kreativwirtschaft, in Chemnitz diesem Gedanken im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung nachgegangen. Ich treffe mich mit ihnen und bin ganz schnell verwundert, wie schnell mir die Hochschulidee gar nicht mehr so gut erscheint.

Wir sind uns direkt einig, dass es wenig sinnvoll ist, an der TU einen Designstudiengang zu etablieren, der dann als Orchideenfach irgendwo sein Anhängseldasein fristet. Und Robert geht noch weiter, er will überhaupt keine grundständige Kunstausbildung, denn davon gebe es in Deutschland genug. Er fände es sogar unfair, hier zur Belebung der Stadt Künstler auszubilden, und sie dann in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, schließlich könne auch die Galerie Borssenanger nur soundsoviele Künstler vertreten. Und das mit der Belebung, sagen die beiden, sei eine Sache, die man von einer Uni nicht erwarten müsse. Dessau ist immer noch Dessau und fährt seine Studenten mit dem Semesterticket nach Halle und Leipzig, Schneeberg wurde auch nicht direkt der Nabel der Welt, weil hier tagsüber ein paar Studierende einpendeln. Das Gelingen der Idee, als Hochschule in die Stadt zu wirken, ist nicht garantiert.

Also haben sich die beiden gefragt, was wirklich hinter dem Wunsch nach einer Kunsthochschule steckt. Dahinter steht, sagt Mandy Knospe, viel eher das Fehlen einer poetisch-ästhetischen Perspektive auf die Stadt, die Themen anders angeht, neu mitdenkt. Warum also ein Ufo in die Stadt setzen und hoffen, dass jemand mit diesem Blick raus kommt, wenn man auch gleich draußen anfangen kann?

So entstand der Plan zum „Labor 2025“, das vom Kreativen Chemnitz und dem Klub Solitär e.V. konzeptioniert und zur Förderung beantragt wurde und im April in seine erste Phase starten soll. Die beinhaltet, dass zwei Künstler in die Stadt eingeladen werden, um einen oder mehrere Kurse zu erdenken, eine Art Sommerakademie mit derzeit völlig offenem Konzept. Dieser Kurs soll im Anschluss Künstler in die Stadt einladen, die sich dann – beispielsweise, der Ausgang ist ja offen – mit Chemnitzer Bürgern, Unternehmern, Forschern in einen großen Thinktank begeben und ihre Gedanken kreisen lassen, Kunst, Technik und Gesellschaft zusammenzubringen. Das Konzept ist leicht skalierbar: Mehr Kurse, Kinder- und Seniorenuni. Am Ende kann auch damit Chemnitz ein Hotspot für Multimediale Kunst und Design werden oder der Ursprung für spannende soziale Ideen und Bewegungen. Die Strahlkraft der Stadt kann mittelfristig genauso groß werden, wie mit einem Literaturinstitut, vielleicht größer noch als mit einer Uni im BA/MA-Korsett, aus dem die Studierenden am Wochenende ins Umland fliehen.

Das Labor 2025 soll wachsen und könnte zur festen Institution in Chemnitz werden. Das Bauhaus, sagt Robert Verch, sei auch nicht primär als Uni angetreten, sondern, um sich mit den technischen Möglichkeiten seiner Zeit auseinanderzusetzen. Es wuchs zum Synonym einer Perspektive, die Bau, Industrie und Design noch heute prägt. Mit diesen Gedanken im Kopf verlasse ich den Tisch und bin letztlich überzeugt, dass eine Kunsthochschule nicht unbedingt die beste Idee für Chemnitz ist. Wenn das Labor 2025 wächst, auch über das Jahr 2025 hinaus, haben wir vielleicht bald etwas Spannenderes zu bieten. War ja nur mal so’n Gedanke.

Text [&] Foto: Michael Chlebusch

„Nur so´n Gedanke“ ist als offene Artikelreihe angelegt. Jede/r ist eingeladen, Ideen vorzustellen. Einfach Idee oder gleich einen kompletten Text an redaktion@371stadtmagazin.de schicken.

Zurück