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Chemnitz und die Spitze eines Eisbergs

Chemnitz: Ein Name geht um die Welt

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Chemnitz gibt sich ja alle Mühe: Schnee, Eissportzentren, Pinguine in der Innenstadt. Aber all diese Versuche können nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in Mitteleuropa sind und nicht auf Grönland. Dort gibt es zwar keine Pinguine, aber, um die Verwirrung komplett zu machen, jede Menge Chemnitz.

Dass Grönland das Land der Chemnitzer ist, wäre hierzulande vielleicht gar niemandem aufgefallen, wenn nicht irgendwann eine Grönländische Designerin Namens Bibi Chemnitz im feschen Berlin Mode verkauft hätte. Klar, denkt man sich nun, das ist ein Künstlername, um ein bisschen hippen Provinzcharme in die Kollektion aus der Eisödnis zu weben. Aber nein, die Frau heißt wirklich so und behauptet, dass Chemnitz in Grönland ein ganz normaler Nachname ist. Unglaublich, aber noch nicht das Ende der Verblüffung: Denn die grönländische Hauptstadt Nuuk hat auch eine Oberbürgermeisterin. Und die heißt Asii Chemnitz Narup. Da wird es schon etwas unheimlich. Versucht jemand am anderen Ende der Welt eine Stadt in Sachsen zu imitieren? Für Grönland, ein Land, das gerade mal knapp 57.000 Einwohner zählt, muss Chemnitz immerhin wie eine Metropole wirken. Aber dann wiederum sind die meisten Grönländer Dänen und Inuit, haben wohl noch nie was vom sächsischen Chemnitz gehört. Und hier weiß man auch, dass der Name aus dem Sorbischen kommt und so viel wie Steinbach bedeutet. Wie also kommt der Steinbach nach Grönland?

Alles nur Zufall?
Wir fragen nach beim Namenkundlichen Zentrum der Uni Leipzig. Ist es nur Zufall, dass die Nordmänner und -frauen so heißen weil „Chemnitz“ auf Dänisch vielleicht „Robben“ heißt, so wie „Robben“ auf Holländisch „Fußball“? Zumindest für Dänemark, in dem es ein paar hundert Menschen gibt, die Chemnitz heißen, schließen die Experten das aus. Es handele sich um einen sogenannten Herkunftsnamen, der auf Ahnen schließen lässt, die aus Chemnitz stammen. Auch in Deutschland sei der Name Chemnitz deshalb einigermaßen verbreitet. Eine Quelle beschreibt darüber hinaus eine Zuwanderbewegung nach Dänemark, wo der Name seit 1830 bezeugt ist.

Aha. Also sind die Dänen Sachsen mit Schiffen, die bis nach Grönland fuhren. Vorsicht, sagt aber Peer Ehmke, Museologe des Chemnitzer Schloßbergmuseums. Eine kleine Falle gäbe es, denn Chemnitz gibt es nicht nur hier. Auch in Norddeutschland gab es eine slawische Kolonisation und noch heute finden sich da einige Orte und Örtchen, die Chemnitz, Kemnitz oder ähnlich heißen. Natürlich ist Norddeutschland viel näher dran an Dänemark als Sachsen und beinahe wäre der Überseeruhm verschütt gegangen.

Sie hatten eine Mission
Doch dann gab es da einen gewissen Jens Chemnitz. Ihm gehörte ab 1906 die erste Schaffarm auf Grönland in einem Weiler Namens Frederiksdal. Spannend an dem Ort ist nicht der Name, sondern dass er von evangelischen Missionaren gegründet wurde – der Herrnhuter Brüdergemeinde. Auf Grönland war das seit 1733 bereits ihre vierte Mission nach Neu-Herrnhut, Lichtenfels und Lichtenau. Die Herrnhuter waren sehr eifrige Pietisten und nahmen den Missionsbefehl in der Bibel sehr ernst. Zu diesem Zweck schickten sie Brüder in die ganze Welt, schreibt auch Gisela Mettele, die an der TU Chemnitz zur Glaubensgemeinschaft promovierte. Sie weiß auch: Die Brüder wurden meist von ihren Frauen begleitet oder es wurden ihnen welche nachgeschickt. Für die Verbreitung von Nachkommen wäre also gesorgt. Nur ob die auch den Namen Chemnitz trugen? Darüber könne er nur trefflich spekulieren, meint auch Uwe Fiedler, Leiter des Schloßbergmuseums. Zur Emigration von Chemnitzern gebe es nur wenige Quellen. Die meisten Amtsakten, die etwa Entlassungen aus dem Untertanenverband bezeugen konnten, wurden vor 1945 aus Sicherheitsgründen nach Dresden gebracht, wo sie verbrannten. Aber Auswanderer gab es gewiss. Etwa nach Brasilien zogen ganze Stammesverbände aus Chemnitz und dem Erzgebirge, als dort Kupferminen im Bundesstaat Minas Gerais entstanden. Vielleicht gibt es also auch Handwerker, die nach Skandinavien und Grönland zogen und mit ihnen der Name Chemnitz.

Chemnitz aus Chemnitz
Es gibt demnach viele Verbindungen zwischen Chemnitz, Sachsen, Dänemark und Grönland. Aber gar nicht so sicher ist, ob und seit wann die Chemnitzer dort von den Chemnitzern hier abstammen. Zumindest in Chemnitz selbst gab es keine Herrnhuter Gemeinde. Außerdem wäre es unwahrscheinlich gewesen, dass da einer Mitglied war, der den Namen Chemnitz trug. Denn Herkunftsnamen machen schließlich nur da Sinn, wo jemand aus der Fremde kommt. Dass der Name Chemnitz den Weg bis an den nördlichsten Rand der Welt geschafft hat, darf den Hierwohnenden aber durchaus mit Stolz erfüllen. Darin zeigt sich, wo der Nabel Sachsens zu finden ist. Es hat schließlich noch niemand was von einer Bürgermeisterin mit Namen Dresden gehört. Das es zukünftig zum partnerschaftlichen Austausch zwischen Chemnitz und Nuuk, beziehungsweise zwischen Ludwig und Chemnitz kommt, ist nach Aussage der Pressestelle der Stadt Chemnitz aber nicht geplant. Allein der Name eines Stadtoberhaupts sollte dafür nicht ausschlaggebend sein, so die Begründung. Aber „spannend“ findet man das Grönland-Phänomen nach unserer Recherche jetzt schon.

Text: Michael Chlebusch Foto: photocase.com / fischde, wikipedia

Erschienen im 371 Stadtmagazin 02/13

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