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Neu, neuer, Startup!

Chemnitz sucht die Gründerszene

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In Chemnitz steigt im November das erste Startup Weekend. Für wen eigentlich?

Und du so: Ich hab jetzt ein Startup. Und alle so: Wow! „Startup“ das ist 21. Jahrhundert, das sind junge Menschen mit Visionen oder total verrückten Ideen, die in Garagen aus etwas Holz und Elektronik einen Weltkonzern zusammenschrauben. Die in Sitzsäcken und Lofts beginnen, unser Leben mit Dingen zu bereichern, ohne die wir uns gar nicht mehr ins nächste Szene-Café trauen sollten. Auf der anderen Seite hingegen das schöne deutsche Wort Unternehmensgründung. Es gemahnt an bürokratische Sorgfalt. Formulare, Notar, Geschäftsplan, Gespräche mit den Herren von der Sparkasse und der Handelskammer. Schlimme Mienen setzen die vermutlich dabei auf, als möchte man eine Bombe entschärfen, ehrenwert aber irgendwie auch doof.

Dabei bemühen sich die Deutschen, ein Land des Mittelstands, seit Jahren wirklich redlich, einen Gründergeist zu etablieren, der vielleicht auch hierzulande einmal ein Google oder Apple aus der Wiege hebt. Bund und Länder vergeben Gründerpreise, teils sogar schon für Schüler. Auch Chemnitz vergibt zweimal jährlich einen Startup-Preis und hält zahlreiche Strukturen für Jungunternehmer vor. Nur leider bekommt ein Außenstehender davon kaum etwas mit. So richtig sexy und öffentlichkeitswirksam zeigt sich die hiesige Szene auch im 25sten Jahr des Technologie Centrum Chemnitz nicht. Selbiges öffnete bereits 1990 seinen ersten Standort zur Betreuung von und Vermietung an Jungunternehmer. Inzwischen sind die drei Bürogebäude und zahlreichen Produktionshallen gut gefüllt und vor allem Anlaufplatz für den deutschen Diplom-Ingenieur, der in Sakko und Krawatte Maschinen oder Software entwickelt und vertreibt, die außer seinen Industriekunden kaum jemand kennt oder versteht. Es gibt hinter der Uni einen Smart-Systems-Campus mit eigenem Startup-Gebäude, in dem Professoren und Doktoren ihre langjährige Forschung in GmbHs mit regelmäßig drei Buchstaben als Name gießen: IMC, ITP, ITW – aha, Mikrosystemtechnik? Sie bescheren dem Standort Chemnitz damit allerdings prima Arbeitsplätze und Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Ist Chemnitz also doch eine Startup-Hochburg?[nbsp]

Startup heißt: Das gab’s noch nie!

Nun ist eine Unternehmensgründung noch längst kein Startup. „Startups bringen etwas Neues ein, verändern etwas in der Gesellschaft oder bringen etwas neu zusammen“, weiß Philipp Munzert. Er war an der Professur für Entrepreneurship in Gründung und Nachfolge an der TU Chemnitz beschäftigt und co-organisiert im November in Chemnitz das erste Startup Weekend (siehe Info). Vor allem das Web sei ein großes Experimentierfeld für Startups. Auch Munzert selbst machte sich unlängst als Berater für Gründer und Webdesigner selbstständig. Ein Startup, sagt er, habe er damit allerdings noch längst nicht. Es ist zwar ein Geschäft, aber kein neues. Wichtig ist neben einer Innovation auch der Aspekt Wachstum. Startups sind keine Einzelunternehmer, die auch in zehn Jahren noch mit vier Mitarbeitern auskommen. Skalierbarkeit ist das Zauberwort. Das betrifft Produkte und Dienstleistungen, die prinzipiell schnell mehr als zehn Kunden im Monat erreichen können, weil beispielsweise kein Künstler jeden Rohling als Unikat von Hand schnitzen muss.

Sich selbstständig zu machen, sei auch oft eine Notlösung, weiß Philipp Munzert. Das zeigen auch die Zahlen des Startup-Monitors der KfW. Der wertet – den Begriff Startup ganz unkritisch für jedes neue Unternehmen nutzend – die Zahlen der Unternehmensgründungen in Deutschland aus. Es zeigt sich, dass es zur Hochzeit der Finanzkrise mit vielen Arbeitslosen die meisten Gründungen gab. Das wird kaum der plötzlich erwachenden Innovationskraft der Deutschen geschuldet sein. Denn mit dem Erholen der Wirtschaft gingen auch die Gründungen kontinuierlich zurück. Von knapp 3 Prozent Gründern in der Bevölkerung in 2001 auf nur noch 1,6 Prozent in 2013. Der Deutsche fühlt sich offenbar am wohlsten in einer Vollzeitstelle. Auch Gründerberater Philipp Munzert weiß, dass es schon einen bestimmten Schlag Mensch braucht, um sich mit einer Idee selbstständig zu machen. Mit der großen Selbstbestimmung kommt auch eine große Herausforderung. Es helfe vor allem, sich mit Gleichdenkenden zu umgeben, um diesen Schritt zu wagen. Dazu habe Chemnitz eine Veranstaltung wie das Startup Weekend gefehlt. Und wahrscheinlich stimmt das auch für andere Orte im Freistaat. Sachsen findet sich in der Statistik der KfW auf dem drittletzten Platz bei der Anzahl der Gründungen. Nur Thüringen und Sachsen-Anhalt weisen noch weniger Unternehmergeist auf.

Viel Technik, wenig hip

Chemnitz, so Phillipp Munzert, fehle zwar die Kreativsparte in Sachen Startup. Doch die Stadt habe eine gut funktionierende Szene mit vielen starken Gründern aus Wissenschaft und Technologie. Die kommen vielfach aus der TU und lassen sich beispielsweise vom Uni-Gründernetzwerk Saxeed beraten. Aktuell zählt Gründerberater Dr. Markus Braun 75 potentielle Gründer, die Saxeed betreut, davon sind 52 allein seit Januar hinzugekommen. Schätzungsweise 15 dieser Ideen gehen jährlich dann tatsächlich in ein eigenes Unternehmen über. Wieviele davon nun echte Startups sind, liegt einerseits im Auge des Betrachters (der Gründer selbst hält sich wahrscheinlich stets für absolut innovativ) und wird sich auch erst mit der Zeit zeigen, wenn sich das Wachstum erkennen lässt.

Einer, der nach der Saxeedberatung ein waschechtes Startup hinlegte, war Martin Böringer. Er entwickelte zusammen mit Lutz Gerlach, Danilo Härtzer und Thilo Schmalfuß 2011 das Programm Hojoki. Es sollte die Arbeit in verschiedenen Cloud-Diensten in einem facebookartigen Stream vereinen. Schnell gab es in Technikfachkreisen internationale Resonanz und auch große Kapitalgeber fanden sich ein, die die Arbeit am Projekt in Startup-Höhe katapultierten. „Wenn du ein Startup aufbaust, bist du in voller Geschwindigkeit“, sagt Böringer, „und merkst erst später, wenn der Erfolg nicht kommt, dass etwas nicht passt.“ Im Nachhinein habe die initiale These „jeder braucht es“ nicht gestimmt. Der Zeitgeist habe sich weitergedreht, nur in eine andere Richtung. Heute sind die Cloud-Apps selbst untereinander genügend kompatibel und vernetzt, die Hojoki-Server wurden abgestellt. Auch das ist ein Merkmal von Startups, ihr erhöhter Einsatz. Wer sich 20 Jahre Zeit nimmt, sein Unternehmen aufzubauen, wird nicht so stark vom schnellen Erfolg abhängig sein. Wird allerdings auch wahrscheinlich irgendwann von den Ideen anderer überholt. Das wissen auch Investoren. Von drei Startups geht unter Umständen eins durch die Decke, zwei in die Hose. Den Mut nehmen lässt sich ein echter Startup-Gründer davon nicht. Martin Böringer und Lutz Gerlach arbeiten zusammen mit Frank Wolf inzwischen am nächsten Startup. Für ein Endkunden-Startup, so Böringers Einschätzung, gebe es in Chemnitz nicht die kritische Masse der hippen, jungen Nutzer wie etwa in Berlin. Folglich widmet sich ihre neue Entwicklung wieder einem B2B-Modell, also von Unternehmen für Unternehmer. Ihr Produkt Eyo ist eine App, die das gute alte Büro-Intranet an die mobilen Bedürfnisse der heutigen Arbeitswelt anpasst. Mit Erfolg. Zu den Kunden gehören bereits Heineken und Siemens. Auch der Kapitalgeber von Hojoki ist wieder mit im Boot. Beim zweiten Mal war es sogar etwas leichter. Es sei ein riesen Unterschied, so Böringer, ob man schon Menschen kennt, die in der Startup-Szene aktiv sind oder nicht. Demzufolge findet er auch das Startup Weekend eine gute Sache. Martin Böringer wird dabei als Mentor seine Erfahrungen beim Starten eines Startups einbringen. Eine können wir vielleicht schon jetzt verraten: Die obligatorischen Sitzsäcke stapeln sich bei Eyo unbeachtet in einer Ecke des Büros – sie sind zum Arbeiten schlicht zu unbequem.

Info Startup Weekend:
Vom 20. bis 22. November findet in Chemnitz das erste Startup Weekend statt. Dort treffen Menschen mit durchstartbaren Ideen auf gestandene Unternehmer und Auskenner. Die Ideengeber präsentieren am Freitagabend in kurzen Pitches ihren Gründungsgedanken und gewinnen so andere Gründungsinteressierte für ihr Team. Die darauffolgenden Tage nutzen die Teams, um aus der innovativen Geschäftsidee ein erfolgreiches Konzept zu entwickeln. Dazu stehen ihnen Coaches und Mentoren aus verschiedenen Branchen beratend zur Seite. Am Sonntagabend kürt eine hochkarätige Jury nach den abschließenden Präsentationen die besten Teams. Es winken ein Pokal, Sachpreise und vielleicht sogar das Interesse eines Investors. Menschen mit eigenen Ideen oder Interesse am Einstieg bei anderen können sich anmelden unter: www.up.co/communities/germany/chemnitz/startup-weekend

Text: Michael Chlebusch Foto: seleneos / photocase.de

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