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Chemnitz und die Gurlitt-Sammlung

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Foto: photocasecs5ydwtn54833941

Der spektakuläre Kunstfund in München Schwabing sorgt auch in den Chemnitzer Kunstsammlungen für Gesprächsstoff. Theoretisch könnten unter den mehr als 1200 Einzelstücken auch Werke aus dem Bestand der städtischen Sammlung sein.

Gehörten Werke aus der Sammlung Gurlitt einst zum Inventar der Chemnitzer Kunstsammlungen? Möglich ist das durchaus, Gründe für die Spekulation liegen zu einem in der räumlichen Nähe, die Hildebrand Gurlitt zu den Städtischen Kunstsammlungen in Chemnitz hatte. Zum anderen in seiner exponierten Position als Kunsthändler unter den Nazis. Hildebrand Gurlitt war gebürtiger Dresdner und von 1925 bis 1930 Leiter der Kunstsammlungen in Zwickau. Dort baute er mit ähnlicher Kunstsinnigkeit wie sein Chemnitzer Kollege Friedrich Schreiber-Weigand eine Sammlung auf, die sich der avantgardistischen Kunst jener Epoche verschrieben hatte. Die Sammlungsschwerpunkte in Zwickau und Chemnitz ähnelten sich in jenen Jahren stark, Gurlitt wird also um das Inventar hinsichtlich der später als entartet diffamierten Kunst in der sächsischen Nachbarstadt gewusst haben. Ein Wissen, dass er als einer von nur vier Kunsthändlern in Deutschland, die ab 1938 mit Museumsbeständen unter dem Stichwort Entartete Kunst handeln durften, genutzt haben könnte.

Unsicher ist jedoch, wie viele Werke der Klassischen Moderne 1938 noch im Sammlungsbesitz waren. Nachweislich tauchen schon 1934 Werke aus dieser Epoche auf Angebotslisten auf (Schreiber-Weigand war 1933 entlassen worden). Die Chemnitzer Galerie Gerstenberger unter der Ägide von Wilhelm Großhennig war u.a. mit der Verwertung dieser Kunst betraut. Auch die Person Großhennig steht in mindestens drei Punkten auffällig nah zu Hildebrand Gurlitt. Neben der Tatsache, dass Großhennig in der 20er und 30er Jahren der wichtigste private Kunsthändler der Region war und damit sicher auch mit Gurlitt in Kontakt stand, tauchen beide ab 1942/43 als Kunst-Einkäufer in Frankreich für den sogenannten Sonderauftrag Linz auf. In Linz sollte ein pompöses „Führermuseum“ entstehen, mit Kunst, die Adolf Hitler gefiel und genehm war. Auch nach dem Krieg begegneten sich Gurlitt und Großhennig wieder. Ersterer wurde 1948 Leiter des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf. Großhennig wiederum zog mit seiner Galerie 1951 von Chemnitz in die Stadt am Rhein und wurde in den Folgejahren zu einem der angesehensten Kunsthändler und -sammler im Westen Deutschlands. Teile seiner beachtenswerten Sammlung stiftete er später dem renommierten Folkwang Museum in Essen.

Hildebrand Gurlitt und Wilhelm Großhennig sind Beispiele für Kunsthändler, die unter den Nazis profitable Geschäfte machten und die Gesetzeslage bezüglich beschlagnahmter Kunstschätze (Raubkunst) oder öffentlicher Sammlungen, die nicht den vorgeschriebenen Normen entsprachen, ausnutzten. Auf der anderen Seite sorgten sie dafür, dass viele Werke der Klassischen Moderne Deutschland nicht auf nimmer Wiedersehen verließen. Umfangreich ist mittlerweile dokumentiert, dass Kunsthändler in den Jahren 1933 – 1945 Werke aus Raubkunst und der Aktion Entartete Kunst auch an inländische Kunstsammler und untereinander verkauften. Ein Umstand, der sich 10 – 15 Jahre nach dem Krieg für viele Händler als geldwert erwies. Ob Gurlitt Teile seiner immensen Sammlung nicht doch noch zu Geld gemacht hätte, ist spekulativ. Dass er immer wieder versuchte, Werke abzustoßen, belegen Briefwechsel mit verschiedenen Museen in Westdeutschland. Erst ab Anfang der 1960er erzielten Werke der Kunstavantgarde des frühen 20. Jahrhunderts mehr und mehr wieder Höchstpreise. Gurlitt kam aber schon 1956 bei einem Autounfall ums Leben. Sein Sohn Cornelius erbte die Sammlung, welche danach langsam in Vergessenheit geriet. Dass es aber in München eine derartige Sammlung gibt, war Kunsthändlern im süddeutschen Raum bewusst. Selbst die Bundesregierung lieh 1956 Werke aus dieser Sammlung, um sie mit anderen Gemälden auf eine Ausstellungstour durch die USA zu schicken, ein bemerkenswerter Umstand, der das Medienbohei der letzten Wochen um den angeblich verschollenen Kunstschatz konterkariert. Das Erstaunliche nach der „Entdeckung“ der Sammlung Gurlitt ist der Umfang und der genaue Inhalt der Sammlung sowie die Tatsache, dass wohl über 500 Werken als verschollen während der Nazizeit eingestuft war. Allein 300 sollen nach unbestätigten Medienberichten aus der Aktion Entartete Kunst stammen.

In den hiesigen Kunstsammlungen verfolgt man daher die Arbeit der mit der Sichtung des Fundes beauftragten Kunsthistorikerin Dr. Meike Hoffmann besonders aufmerksam. „Die Kunstsammlungen verloren etwa 1.000 Werke aller Gattungen“ erklärt Ingrid Mössinger dazu und ergänzt „Man kann nicht genau sagen, wie die Werke aus dem Museum entfernt wurden.“ Hoffnungen auf eine eventuelle Rückkehr von Werken macht sich die Generaldirektorin des Chemnitzer Kunstsammlungen indes nicht. „Es besteht kein juristischer Anspruch auf die Rückgabe von Kunstwerken, die während der NS-Zeit aus deutschen Museen entfernt wurden.“

Text: Lars Neuenfeld

Erschienen im 371 Stadtmagazin 12/13

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