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Jan sucht einen verlorenen Kopf

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Ein Spaziergang entlang der zahlreichen Kunst- und Nicht-Kunstwerke im Park.

Für einen interessanten Spaziergang muß man nicht zwingend die Innenstadt ansteuern. Man könnte ihn zum Beispiel einfach am „Döner Drive“ beginnen.

Zwischen Kaufhaus Tietz und Johanniskirche mündet die Zschopauer in die vielspurige Bahnhofsstraße. Hier treffen sich alle an schlichter Nahrung interessierte Bevölkerungsschichten von Chemnitz. Das an der Stirnseite des Lokals angebrachte Kunstwerk beachten die wenigsten. Bedauerlicherweise, denn der aus Styropur und Gips gefertigte Wandspringbrunnen mit dem schönen Namen „Oase“ zählt durch seine lehmbraunen, organischen Formen zu den eindrucksvollsten Wasserspielen von Chemnitz.

Auf der gegenüberliegenden Seite, am Rand des größten Parkplatzes der Stadt, beginnt der Park der Opfer des Faschismus. Hier findet man die „Allee des Lichts“. Die Partnerstädte von Chemnitz sollten jeweils zwei für sie typische Straßenlaternen zur Verfügung stellen. Etwas ratlos stehen nun einige Leuchten im Parkgelände herum. Ursprünglich sollte diese Lichtinstallation vom Weltall aus zu sehen sein, wenn aber Partnerstädte wie Timbuktu und Jalta zu geizig sind, wenigstens eine Lampe zu spenden, wird das in naher Zukunft wohl nichts werden.

Kaum ein Besucher und nur wenige, aufmerksame Einheimische kennen die am östlichen Parkrand, gleich hinter einer verwaisten Skaterrampe, befindlichen „Gläsernen Werkstätten“. Hier richtete die Stadt im Jahr 2010, möglicherweise aus schlechtem Gewissen gegenüber der unrühmlichen Schließung des Kultur- und Wohnprojekts Reitbahnstraße, einen kulturellen Treffpunkt mit künstlerischen Angeboten für Jung und Alt ein. Irgendwie hat das nicht so richtig funktioniert. Man schaut durch verstaubte Fensterscheiben in offensichtlich überstürzt verlassene Werkstatträume. So ist das mitunter bei städtisch geplanter Kreativszene.

Jahrhundertelang halten sich dagegen einige der im Park befindlichen Grabstätten. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts befand sich hier, vor dem Umzug an die Reichenhainer Straße, der städtische Hauptfriedhof, und während die Knochen und Grabsteine der normalen Bürger einfach eingeebnet wurden, traute man sich an einige Soldatengräber nicht heran. Diese gusseisernen Erinnerungen an neun, in einem Chemnitzer Lazarett verstorbenen Teilnehmer des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71, irritieren viele Parkbesucher. Seltsam ist natürlich auch der makabere Brauch, der in der Nähe befindlichen Muschelkalk-Figur „Junge auf dem Eselstier“ ab und zu den Kopf abzuschlagen. Was wollen die Täter mit einem kürbisgroßen Bubenkopf? Briefbeschwerer? Pädophiler Fetisch? Oder inspiriert das bekannteste Wahrzeichen von Chemnitz, der Karl-Marx-Kopf, labile Mitbürger dazu, sich auch privat einen abgetrennten Schädel zulegen zu wollen? Nachdenklich schlendert man weiter.

Zu einem Park der Opfer des Faschismus gehört natürlich auch ein Mahnmal. In der Nähe des Schauspielhauses wurde 1952 ein Trauerensemble errichtet, Kranzabwurfstellen nannte man zu DDR Zeiten solche Plätze. Echte Anteilnahme vermittelt dieses sozialistische Auftragswerk nicht. Der Künstler Hanns Diettrich schuf übrigens auch den vor dem Hauptbahnhof befindlichen Porphyr-Rammbock „Augustkämpfer“, muskulöse Proletarier mit niedriger Stirn, echte Schlägervisagen - da möchte man sich insgeheim lieber auf die Seite der Kapitalisten schlagen.

Deren Tempel findet sich am südlichen Ende des Parks, das Gebäude der Bundesbank, ein großer Klotz, dessen straßenseitige Fassade zunächst aus edlen Alabastertafeln bestand. Wollte der Architekt hier eine raffinierte Kritik an der Geldpolitik der Bundesbank vermitteln? Denn das Alabaster begann sich mit der Zeit zu zersetzen, hässliche Flecken entstanden und alle Reparaturbemühungen schlugen fehl. Ein Verweis auf die globale Währungskrise? Jetzt besteht die Fassade des Geldhauses aus schnödem Verbundglas, das mit einer Folie beklebt ist und der solvente Bummler überlegt am Ende seines Spaziergangs, ob er sein Geld auch richtig angelegt hat.

Text: Jan Kummer


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