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Es fährt ein Zug nach Irgendwann

Chemnitz und der ICE-Traum

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Chemnitz träumt von ICE. Dabei wäre eine gute Intercity-Verbindung schneller machbar.

Es war die vielleicht wichtigste Meldung für Chemnitz in den letzten Jahren. Eine Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums attestierte Anfang Februar der Bahnstrecke Leipzig – Chemnitz eine überaus hohe Rentabilitätsaussicht. Damit ist die wichtigste Hürde für die anstehende Elektrifizierung des reichlich 80 km langen Schienenstrangs genommen. Nun sollte, wenn alles nach Plan läuft, die Baumaßnahme in den sogenannten vordringlichen Bedarf rutschen, d.h. schon bald könnten die kalkulierten 250 Millionen Euro fließen. Die große Sehnsucht von Chemnitz nach einem ICE-Bahnhof wird also Wirklichkeit werden.

Enthusiasten warfen sogleich Konfetti in die Luft, Politiker, wie der erst seit wenigen Wochen im Amt befindliche sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, beeilten sich, diesen Erfolg ans eigene Revers zu heften. Die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig hingegen blieb cool und kommentierte das Studienergebnis gegenüber der BILD mit den lakonischen Worten, man sei von dem positiven Ergebnis ohnehin immer überzeugt gewesen. Sie hofft, dass nun „umgehend die nächsten Schritte eingeleitet werden.“ Das ist auch notwendig, denn als Bauzeit rechnet man laut einer Analyse, die im sächsischen Verkehrsministerium bereits 2014 angefertigt wurde, mit mindestens acht Jahren. Also selbst wenn noch in diesem Jahr ein Bahnbeschluss diesbezüglich gefällt würde – 2026 ist das Höchste der Gefühle. Dann wäre Chemnitz 20 Jahre vom Fernbahnverkehr abgekoppelt gewesen (2006 wurde die Direktverbindung nach Berlin gekappt). Rechnet man jedoch die üblichen Verzögerung bei Planung und Bau hinzu, immerhin ist noch nicht mal die genaue Streckenführung klar, so stellt sich die bittere Realität wohl so dar: Ein ICE-Anschluss von Chemnitz um das Jahr 2030.

Das kann mit Blick auf die aktuelle Situation niemand in Chemnitz befriedigen. Die Verbindung nach Leipzig steht seit Monaten in der Kritik. Zugausfälle, alte Waggons, mieser Service – seit die Strecke nicht mehr von der Deutschen Bahn selbst, sondern von der Mitteldeutschen Regiobahn betrieben wird, sprechen viele von der schlechtesten Zugverbindung, die es jemals zwischen den beiden Großstädten gab. Angesichts dessen mehren sich Stimmen, die Alternativen zum ICE-Traum fordern. Die sächsischen Grünen agitieren zum Beispiel dahingehend, die Stadt Chemnitz und die ebenso angehangene Region Westsachsen an die im letzten Jahr in Betrieb gegangene Intercity-Verbindung durch Thüringen anzubinden. Die sogenannte Mitte-Deutschland-Verbindung fährt per ICE von Düsseldorf bis Erfurt und wird dort per Lokwechsel bis nach Gera verlängert. Der Vorschlag lautet nun, diesen Zug schlicht bis Chemnitz durchfahren zu lassen.[nbsp] Susann Mäder, Sprecherin der Chemnitzer Grünen meint: „Die Bahnstudie der sächsischen Grünen 2017 hat gezeigt, dass die Anbindung von Chemnitz an den Fernverkehr über die Mitte-Deutschland-Verbindung bereits Ende 2018 möglich ist.“ Das Pro an dieser Variante: Chemnitz wäre direkt mit Erfurt und damit an einem der wichtigsten Hubs für den deutschen Bahnverkehr angebunden. Contra: Die Reise dahin mit der guten alten Diesellok dauert 2,5 Stunden, schon jetzt kann man aber über Leipzig und den dortigen Umstieg in den ICE in zwei Stunden in Erfurt sein. Befürworter der Direktverbindung, wie der grüne Verkehrspolitiker Stephan Kühn argumentieren, dass Reisende trotz der längeren Reisezeit die direkte Verbindung bevorzugen würden. Er fordert das Land Sachsen zum Handeln auf. „Dafür müssen der sächsische Verkehrsminister Martin Dulig und die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig jetzt Gespräche mit der Deutschen Bahn AG und dem Freistaat Thüringen aufnehmen. Finanzierungsfragen und die technische Umsetzung müssen zeitnah geklärt werden.“

Heißt: Notfalls soll das Land der Deutschen Bahn auch finanziell entgegenkommen. Ob das gewollt ist, scheint fraglich. Immerhin ist die Linie von Chemnitz über Gera nach Aachen im Fernverkehrskonzept der Bahn sowieso vorgesehen, allerdings erst für 2032. Bahn, Land und Stadt müssten also den Vorzug dieser Maßnahme als sinnvoll erachten. Das Argument der Grünen könnte man als homöopathisch bezeichnen: Chemnitz wäre an den Fernverkehr angeschlossen, allerdings ohne Zeitersparnis für die Reisenden. Das klingt, zumindest wenn es um Landesmittel für die Finanzierung geht, eher dünn. Die Bahn steht dem Ansinnen daher auch skeptisch gegenüber. Wie die Freie Presse am 5.3.18 berichtet, sieht man die Kosten in "keinem vertretbaren Verhältnis zur potenziellen Kundennachfrage" und begründet das mit dem Mehrbedarf an Zügen. Heißt aber auch, wenn die Kosten anderweitig gedeckelt werden, ist diese Möglichkeit realistisch.

Doch es gibt noch eine weitere Variante, die so einfach klingt, dass es fast wehtut, sie nicht umgesetzt zu sehen. Ab 2019 könnte die neue IC-Linie Rostock-Berlin-Dresden einfach bis Chemnitz verlängert werden. Direkt von Chemnitz nach Berlin, verrückte Idee, die jedoch jahrzehntelang Realität war. Immerhin hält die Bahn in ihrem Fernverkehrskonzept von 2015 fest, diese IC-Linie ab Ende 2022 über Chemnitz nach München verlängern zu wollen. Aber nur, wenn bis dahin die Elektrifizierung der Strecke zwischen Hof und Regensburg abgeschlossen ist. Das hakt aber im Moment, weil entlang dieser Strecke Bürger auf bessere Lärmschutzmaßnahmen drängten. Im Wahlkampf 2017 versprach CSU-Verkehrsminister Dobrindt nun, diese Wünsche zu berücksichtigen. Dadurch ist aber mit erheblichen Planungs- und Bauverzug zu rechnen. Unklar, ob so 2022 noch zu halten ist.

Die Bahn, so sei gemutmaßt, wird aber aus Rentabilitätsgründen eine Teilinbetriebnahme dieser Strecke ablehnen. Und da kommt wieder die sächsische Landesregierung ins Spiel. Wenn man dort Willens wäre, den massiven Infrastrukturnachteil von Chemnitz schnellstens zu mindern, könnte schon mit der nächsten Fahrplanumstellung Fakten geschaffen werden. Grünen-Sprecherin Susann Mäder bringt es so auf den Punkt: „Wir brauchen nicht den ICE in 10 Jahren, wir brauchen den IC jetzt.“

Text: Lars Neuenfeld

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