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Bloß eine Geste?

Gesten Ausstellung im Sächsischen Industriemuseum

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Es gibt bekanntlich viele Definitionen, was den Menschen an sich ausmacht. Eine bekannte fußt auf dem Begriff „Zoon Politikon“. Dieser meint, dass der Mensch ein soziales und Gemeinschaft bildendes Wesen ist. Wenn viele Menschen zusammen kommen, wird im besten Fall miteinander kommuniziert und Kunst, technisches Know How und Waren ausgetauscht. Das „Wie“ dieser Interaktionen kann viele Formen annehmen. Eine besondere Stellung kommt dabei der Geste zu. Dies ist zumindest der Ausgangspunkt der Sonderausstellung „Gesten – gestern, heute, übermorgen“, welche am 17. November im Industriemuseum eröffnet wird.

Laut den Initiatoren verwenden wir täglich Gesten, um einander etwas mitzuteilen. Wir sprechen also nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit den Händen. So geben wir z.B. mit dem Daumen noch oben unser Okay. Mit Hilfe unserer Hände können wir aber auch räumliche Verhältnisse abbilden, Gegenstände visualisieren oder Handlungen nachahmen. Prof. Dr. Ellen Fricke, Inhaberin der Professur Germanistische Sprachwissenschaft, Semiotik und Multimodale Kommunikation an der TU Chemnitz fasst es hochtheoretisch gebündelt zusammen: „Gesten sind ein wichtiger visuell-kultureller Wissensspeicher des Objektgebrauchs.“ [nbsp]

So weit, so gut. Aber an diesem Punkt endet es natürlich nicht. Etwas größer wird hier schon gedacht. Nach Prof. Dr. Ellen Fricke befinden wir uns an einer Epochenschwelle. Die bisherige Welt der Arbeit verändert sich fundamental und gleichzeitig befinden wir uns an einem Umschlagpunkt der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Diesem Gedanken der „Epochenschwelle“ nähert sich die Sonderausstellung sowohl auf dem Wege des Rückblicks, wie auf dem Wege der Vorschau. Spätestens hier kommen neben der TU Chemnitz das Ars Electronica Futurelab aus Linz in Österreich und das Sächsische Industriemuseum als Kooperationspartner mit ins Spiel.

„Dieses historische Handhabungswissen droht im aktuellen technologischen Wandel als kulturelles Erbe zunehmend verloren zu gehen.“

Auf der Seite des Rückblickes liefert das Sächsische Industriemuseum einen perfekten Startpunkt. Vom Faustkeil über die Spinning Jenny bis zur virtuellen Töpferscheibe ist man schnell inmitten einer Welt aus Werkzeugen, Maschinen und deren Handhabung. „Dieses historische Handhabungswissen droht im aktuellen technologischen Wandel als kulturelles Erbe zunehmend verloren zu gehen“, erklärt Dr. Oliver Brehm, Direktor des Industriemuseums Chemnitz.

Einen Ausblick auf die Zukunft wiederum eröffnet das Ars Electronica Futurelab. Laut ihrem Sprecher Christopher Lindinger arbeiten sie dort bereits an Produkten und Dienstleistungen, welche erst in 10 bis 15 Jahren auf den Markt kommen werden. Neben der Frage, wie Gesten überhaupt entstehen und was sie uns über unsere Sprache, Kultur und Technik mitteilen, geht es hierbei auch um industrielle Produktionsprozesse, bei denen die Gestensteuerung als Zukunftsthema behandelt wird. Muss ich für jedes neue zukünftige Gerät eine neue Geste lernen? Wird es Markengesten geben? Lässt sich aus den vorhandenen Gesten eine Art universelles „Gestenlexikon“ erstellen? Wie verstehen gestengesteuerte Maschinen, dass die Geste an sie adressiert war und wie erkenne ich, dass sie meine Geste verstanden hat?

„Das Gesamtprojekt zeichnet sich dadurch aus, dass experimentelle und künstlerische Herangehensweisen in der Forschung Platz finden."

In enger Zusammenarbeit mit der Professur Germanistische Sprachwissenschaft entwickelte das Ars Electronica Futurelab für die Ausstellung spezifische Exponate, die es ermöglichen, diesen und anderen Fragen interaktiv nachzuforschen. Zusätzlich wurden internationale Künstler*innen, wie der New Yorker Künstler Daniel Rozin oder die Berliner Künstlerin Annette Rose, eingeladen, um sich mit diesen Positionen und Denkansätzen auseinanderzusetzen. Ob 830 nicht-reflektierende ansteuerbare Holzplättchen über Kameras Hand- und Körperbewegungen des Betrachters erfasst und dadurch eine „Spiegelung“ erzeugt, oder ein begehbarer Kubus aufzeigt wie Wörter und Gesten bei Objektbeschreibungen zusammenwirken - hier findet eine wunderbar anschauliche Auslotung der Fragestellungen der Ausstellung statt.

„Das Gesamtprojekt zeichnet sich dadurch aus, dass experimentelle und künstlerische Herangehensweisen in der Forschung Platz finden. Dieser Ansatz zieht sich auch in die Ausstellung hinein und bietet den Besucherinnen und Besuchern einen ungewohnten Perspektivwechsel zwischen analog und digital, der Hände, Gesten und ihre Beziehungen zu den Dingen in einem neuen Licht erscheinen lässt“, erläutert Christopher Lindinger den Beitrag des Ars Electronica Futurelab.

Im Spannungsfeld des technologischen Wandels und dessen Rückwirkung auf unsere Gesten, Lebenswelten und somit auf unsere Sprache ist „Gesten – gestern, heute, übermorgen“ im Industriemuseum eine spannende Erweiterung eines wichtigen Fragenkomplexes. Das diese Erweiterung in Form einer Ausstellung vergleichsweise leichtfüßig daher kommt, macht es umso schöner, da es im Gegensatz, wie es zunächst klingt, alles andere als theoretisch und kryptisch ist.

Sonderausstellung „Gesten – gestern, heute, übermorgen“ im Industriemuseum Chemnitz, 17. November 2017 bis 4. März 2018, www.gesten-im-museum.de

Text: René Szymanski Foto: TU Chemnitz

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