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„Allein schafft man gar nichts“

Michael Stötzer im Interview

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Michael Stötzer ist der frisch gewählte Bürgermeister für Stadtentwicklung und Bau. Im August tritt er sein Amt an, Lars Neuenfeld sprach mit dem 42-jährigen über schöne Architektur, Visionen und neue Radwege.

"Auf Augenhöhe ist man am Anfang, beim Start des Projektes."

Herr Stötzer, 100 % Zustimmung bei ihrer Wahl zum Bürgermeister. Das ist einmalig. Waren Sie überrascht? Haben sie´s geahnt?

Michael Stötzer: So selbstsicher kann glaube ich kein Mensch sein. Es war schon überraschend für mich, denn es waren gute und erfahrene Kandidaten mit am Start.

War da für einen Moment erst mal die Luft weg?

Ja klar, aber es hat mich natürlich sehr gefreut.

Sie sind 42, etwas jünger als ich. Nun sind sie Baubürgermeister einer deutschen Großstadt, ich noch immer nur Stadtmagazinmacher. Was haben sie besser gemacht? Sind sie besonders strebsam?

Das klingt vielleicht etwas unglaubwürdig, aber ich bin gar nicht so karriereaffin. Es ist tatsächlich nicht so, dass ich auf Karriere hingearbeitet habe, sondern eher immer auf Projekte ausgerichtet war und diesbezüglich schon sehr strebsam gewesen bin. Vor allem wenn man für die eigene Stadt arbeitet, will man natürlich auch so viel wie möglich erreichen. Außerdem hatte ich immer das Glück, dass viele gute Mitarbeiter am selben Ziel gearbeitet haben. Diese Umstände haben es sicher begünstigt. Entscheidend ist doch eher, ob man seine Arbeit gern und damit engagiert ausübt, da kommt es nicht auf die Position an. Man sollte dies nicht überbewerten.

Als Bürgermeister für Stadtentwicklung und Bau stehen Sie in einer illustren Reihe, von Richard Möbius über Fred Otto zu Karl Joachim Beuchel und Ralf-Joachim Fischer. Das waren die visionären, stadtbildprägenden Gestalten der letzten reichlich 100 Jahre. Sind Sie ein Mann mit Visionen?

Die Zeiten haben sich dahingehend etwas verändert. Wenn man betrachtet, welche Projekte alle dem Herrn Möbius zugeschrieben werden, ist es nie möglich gewesen, dass er diese in Gänze bearbeitet hat. Das bedeutet, um ihn herum hat auch ein großes Team gearbeitet. Aber damals war es so Sitte, dass alles einem zugeschrieben worden ist. Heute ist das nicht mehr so. Ich vermisse solche Zeiten ehrlich gesagt nicht. Denn es gibt viele gute Leute, die an solchen Projekten arbeiten und ich denke, es ist völlig in Ordnung, wenn nicht nur einer, sondern viele Namen dahinter stehen.

Aber einer muss schon eine Vision haben und die richtigen Leute aussuchen.

Das ist dann die Aufgabe einer Führungsperson: Ein Ziel und eine Vision formulieren, damit er die Leute auch mitnehmen kann. Das ist wichtig. Auch wenn ich architektonisch oder zeichnerisch nichts vorgebe, muss man schon gewisse Projekte vordenken, eine Wichtigkeit und einen Bedarf für eine Stadt erkennen und dann moderieren - an Mitarbeiter, an Nutzer und Bevölkerung, an alle Beteiligten eigentlich. Sodass sich dann alle in eine Richtung bewegen. Das ist beim Bauen das Hauptthema. Allein schafft man gar nichts.

Sie haben Architektur studiert. Was ist ihr Lieblingsgebäude in Chemnitz?

(denkt nach) Da gibt es wirklich sehr viele, da kann ich mich nicht entscheiden.

Ok, drei.

Die Villa Esche ist sicherlich etwas ganz Grandioses. Das Gebäude ist unglaublich schön. Auch die Stadthalle zeigt für mich wunderbare Architektur, bei der auch ein großes Team gearbeitet hat: Architekten und Formgestalter, die die Fassade durchgearbeitet haben. Da wurde Hand in Hand gearbeitet und man sieht, dass da ein richtiges Team dran beschäftigt wurde. Als Drittes…

Ein Nachwendebau?

Das Hörsaalzentrum der TU von Gerkan, Marg [&] Partner. Und wichtig für Chemnitz und architektonisch sehr gelungen finde ich auch die neue Synagoge von Alfred Jacoby.

Welches Gebäude in der Chemnitzer Innenstadt wäre aus ihrer Sicht besser nie gebaut worden?

Ich würde mir nicht anmaßen, ein Gebäude zu benennen. Diejenigen, die damals daran arbeiteten, hatten mit Sicherheit auch Gründe. Sicherlich sind Parkhäuser ein Thema an dem man sich immer reibt. Man muss die Frage stellen, ob man damals mit ein wenig mehr Geduld nicht auf eine andere Nutzung gekommen wäre. Dennoch werden Parkhäuser auch gebraucht, in der Masse ist es nur eine große Frage. Insbesondere in der Innenstadt, wo sie so präsent sind. Dort tun sie natürlich schon weh, das muss man sagen.

Ich denke da eher an das Gebäude hinter dem Marx-Kopf, den Riegel, der die Innenstadt von ihrem Theaterplatz und dem Brühl abgrenzt. Ist mit diesem Gebäude überhaupt eine Entwicklung der City Richtung Brühl machbar?

Kommt darauf an, was man erwartet. Erwartet man eine stringente Durchführung der Achsen, dann ist es mit dem Gebäude nicht möglich. Aber es ist nicht der einzige Riegel, egal ob man von der Annaberger Straße, der Zwickauer oder vom Kaßberg in die Innenstadt kommt – überall stößt man auf solche Bauten, und zwar aus ganz unterschiedlichen Epochen. Das muss man jetzt also nicht zwingend als großen Fehler herausarbeiten. Ich würde es nicht so vehement vertreten, dass explizit dieser Baukörper deswegen mehr stört. Wenn man ihn durchlässiger gestaltet - in den unteren Etagen zum Beispiel - ist meiner Meinung nach schon viel geholfen. Die ganz entscheidende Frage ist: Wie geht es mit der Landesdirektion als Eigentümer des Grundstücks insgesamt weiter? Da geht es gar nicht mal so sehr um das Gebäude selbst, sondern darum, wie der dahinterliegende Bereich gestaltet und genutzt wird. Man muss da viele Komponenten im Auge behalten: Wie geht es weiter mit den Kunstsammlungen? Mit dem Opernhaus? Brauchen die Erweiterungsmöglichkeiten, brauchen sie Potenzial drumherum? Das ist alles mit zu betrachten.

These: Seit vielen Jahren verdichtet sich der Trend hin zu einer ideenlosen, renditegetrimmten Investorenarchitektur, egal ob bei Wirtschafts-, Wohn- oder Verwaltungsgebäuden. Langeweile wird dabei meist frech als Sachlichkeit verkauft. Gehen Sie da mit?

Es wäre vollkommen falsch zu sagen, dass es für den Beweis dieser These keine negativen Beispiele gibt. Das ist auch nicht neu oder erst seit 10 Jahren so. Das hängt ja auch mit der Industrialisierung der Bauprodukte zusammen. Man kann aber trotz alldem auch hochwertige Architektur machen und das bedeutet für mich, dass es eine Art gebaute Idee ist, die man erkennt. Wofür ist das Gebäude errichtet, was will es aussagen, wie reagiert es auf das Umfeld? Wenn ein Gebäude mit der Umgebung kommuniziert, spürt man das auch. Da kommt es nicht so sehr darauf an, aus welchem Material die Fassade errichtet wurde. Die Formsprache, die Kommunikation mit der Umgebung ist eigentlich das Wichtigste bei Architektur.

Sind Sie ein Baubürgermeister, der im Rat dafür kämpft, dass man lieber höhere Kosten kalkuliert um anspruchsvollere Architektur zu gewährleisten? Gerade auch als Beispiel: Verwaltung geht voran, Unternehmen ziehen nach?

Meine Erfahrung aus den letzten Jahren ist, dass diese Einsicht und der Wille bei den Stadträten des Planungs-Bau und Umweltausschuss besteht und es nie der große Streitpunkt war, ob wir uns ansprechende Architektur leisten können und wollen. Anspruchsvolle Architektur ergibt sich ja nicht allein aus höheren Baukosten.

Arbeiten wir mal ein paar ausgewählte Projekte ab, von denen wir glauben, dass die 371-Leserschaft da besonders interessiert dran ist. 1. Stichwort Campus und Innenstadt: Wir haben uns im letzten 371 dem Reitbahnviertel gewidmet. Sehen Sie die Entwicklung dort am Ende angekommen?

Sicher nicht. Für die Entwicklung eines Stadtteils benötigt man einen sehr langen Atem. Ob sich ein Stadtteil positiv entwickelt, angenommen und lebendig wird, hängt von vielen Dingen ab, die nicht allein nur planerisch und baulich beeinflusst werden können. Man kann aber baulich einen großen Teil dazu beitragen. Der Ausbau des Chemnitzer Modells bietet für diesen Stadtteil z.B. auch eine Chance. Ziel ist es, nicht nur eine verkehrstechnische Funktion herzustellen, sondern auch den Straßenraum positiv zu verändern. Hierzu ist die Meinung der Leute, die dort leben und es dann nutzen besonders relevant.

Stichwort Sonnenberg: Ein innenstadtnahes Quartier, eigentlich sehr attraktiv aber trotzdem schlecht beleumundet als prekäres Wohnviertel. Tatsächlich gibt es kein städtebauliches Konzept, wie dieser Stadtteil wieder zu Glanz kommen kann. Wollen Sie das ändern?

Es gibt ja gewisse Vorarbeiten, Quartierskonzepte, die mit Anwohnern des Sonnenberges der Verwaltung und Planungsbüros erarbeitet worden sind. Das ist ein kontinuierlicher Arbeitsprozess. Das Hauptthema ist eine lebenswerte Infrastruktur. Ich denke, dass die Stadt an dem Standort schon sehr viel gemacht hat, ob es nun Gebäude sind, die dort in den letzten Jahren aufgewertet worden, oder Straßenzüge. Ob das alles richtig war, muss man immer erneut überprüfen und ggf. noch mal nivellieren.

Sie haben nun schon mehrfach die Wichtigkeit von Bürgerbeteiligung betont. Eine Verwaltung hat dabei immer einen Vorteil, da sie mit einem Heer von Experten aufwarten kann, Bürger aber eher emotional und wenig fachkundig argumentieren können. Muss man einen Weg finden, wie man sich auf Augenhöhe begegnen kann?

Auf Augenhöhe ist man am Anfang, beim Start des Projektes konnte sich noch keiner einen Wissensvorsprung herausarbeiten. Es ist wichtig, dass man frühzeitig ins Gespräch kommt, dann, wenn noch nichts festgelegt ist. Das bereichert in der Regel die Projekte.

Sind Sie bereit, die bereits abgesegnete Alleeabholzung an der Reichenhainer Straße zu überdenken?

Ich trete meine Position am 01.08. an und stecke deshalb in der Materie noch nicht drin, um sagen zu können, ob es sich vielleicht noch einmal lohnt.

Dort gibt es eine Bürgervereinigung, die einen sehr konkreten Vorschlag hat: Es soll eine verkehrsberuhigte Zone zwischen Stadlerplatz und Wartburgstraße entstehen, dafür brauchen wir nicht mehr zwei Fahrspuren, sondern eigentlich reicht auch eine. Die freie Fahrspur wird zur Straßenbahntrasse, der Alleestreifen zum Rad- und Fußweg. Baumfällungen sind immer eine emotionale Sache, und wenn dort eine ganze Allee abgeholzt wird, ist das ein Symbol, oder?

Wenn es als Symbol gesehen wird, wäre das eine sehr emotionale Angelegenheit. Dann wird es sehr schwer noch sachlich zu argumentieren. Heute kann ich da noch nicht viel dazu sagen. Es ist natürlich ein enger Zeitplan, 2017 soll es eigentlich fertig werden, vom smac bis zum Campus hoch.

Ich werde sie jetzt nicht festnageln können.

Ne, das können Sie nicht. Jetzt alles noch einmal über den Haufen zu werfen, ist schwierig. Aber ich muss mich sowieso damit auseinandersetzen. Das gesamte Chemnitzer Modell ist enorm wichtig für die Stadt. Es vernetzt Chemnitz mit der Region und bietet Chancen, die man nicht verstreichen lassen darf. Man kann Straßenräume überformen, an die man sonst nie so herangehen würde. Man kann die Stadt auf solche Verkehrsprojekte ausrichten, mit neuen Baukörpern von Wohnungs- bis Gewerbebau. Das bedeutet, dass es große Veränderungen gibt. Umso wichtiger ist es, dass man frühzeitig mit Betroffenen spricht.

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"Wir müssen eine Priorität auf den Radwegbau legen und Maßnahmen losgelöst vom Straßenbau[nbsp]durchführen."

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Stichwort Radwege: Wir bekommen in der Redaktion oft Feedback von bei uns jobbenden TU-Studenten und Studentinnen, die aus anderen Städten zuziehen. Einhelliges Echo: Die Radwegesituation ist abgesehen von ein paar Ausflugswegen eine absolute Katastrophe. Gibt es mit Ihnen die Hoffnung, dass die Radwegeplanung neu angefasst wird?

Wir müssen eine Priorität auch auf den Radwegbau legen und Maßnahmen losgelöst vom Straßenbau durchführen. Einerseits hat man lange Zeit nicht losgelöst das Ziel „Wir bauen jetzt einen Radweg von da nach da“ verfolgt, sondern immer dort, wo etwas gebaut wurde, ein Stück Radweg mitgebaut. Da braucht man viel Geduld, bis das zusammenpasst. Andererseits muss man natürlich auch mit etwas anfangen. Es gibt ja durchaus funktionierende Bereiche und durchgängige Trassen, und zwar die, die ein bisschen abgerückt sind vom Autoverkehr. Es geht gar nicht darum, jeden Winkel der Stadt mit einem Radweg zu versehen, aber dennoch sollten wir anfangen, das mal konsequent durchzuziehen.

Chemnitz wird immer als eine autoaffine Stadt beschrieben. Wenn man sich aber die Dichte der Fahrradläden betrachtet, kann man zu einem anderen Schluss kommen. Ich glaube, es würden noch viel mehr mit dem Rad unterwegs sein, wenn bessere Rahmenbedingen gegeben wären.

Schön, wenn Ihnen das auch auffällt, dann bin ich also nicht der Einzige. Ich denke schon, dass viel mehr Fahrrad gefahren wird und das wird noch zunehmen. Chemnitz ist ein bisschen schwierig für Radverkehr, weil es eine sehr flächige und bergige Stadt ist. Aber das kann durch die E-Bikes durchaus ausgeglichen werden. Wenn ich mit Fahrradhändlern spreche, dann sagen alle, sie haben insbesondere in diesem Bereich Zuwächse. Und jeder, der sich ein E-Bike gekauft hat, sagt, ja, das ist wunderbar. Ich denke, das ist stark zu berücksichtigen und gerade deshalb braucht man Trassen, auf denen man ohne Angst haben zu müssen gut vorankommt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Michael Stötzer war seit 2011 Amtsleiter im Gebäudemanagement und Hochbau. Zuvor leitete er seit 2009 das Hochbauamt, in dem er seit 2007 Abteilungsleiter und stellvertretender Amtsleiter war. Bis 2007 arbeitete Stötzer in verschiedenen Architekturbüros in Dresden, Aue und Chemnitz. Er wohnt seit 1989 in Chemnitz.

Foto: Sven Gleisberg

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