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Verschwörungsschwurbler

Was es mit der Reichsbürger-Szene auf sich hat

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Laut aktuellem Verfassungsschutzbericht gehören in Sachsen 1.327 Personen der Reichsbürger-Szene an (2016 zählte man noch 600). Etwa 500 sind es allein in Chemnitz und den angrenzenden Landkreisen. Die Region gilt deutschlandweit als Zentrum dieser Szene.

Die Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung beleuchtete nun mit einer Veranstaltungsreihe die Szene und brachte dafür zwei Experten zusammen auf die Bühne des Veranstaltungssaal im TIETZ: Der Autor Tobias Ginsburg las aus seinem Buch "Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern.", für das er acht Monate undercover in der Szene recherchierte. Und der Politikwissenschaftler Jan Rathje. Er forscht seit mehreren Jahren zum Milieu und leitet für die Amadeu Antonio Stiftung ein neues Projekt, das Fortbildungen zur Verschwörungstheorien und „Reichsbürgern“ in Sachsen anbietet. Wir haben mit den beiden über ihre Erfahrungen zu den „Reichsbürgern“ gesprochen.

Herr Ginsburg, Herr Rathje, wer sind die Reichsbürger?

Tobias Ginsburg: Nun, es sind schon mal nicht eine Handvoll Wahnsinniger und Paradiesvögel mit wirren Ideen, als die sie in der Regel dargestellt werden. Diese Darstellung verniedlicht eine Gefahr, die von labilen Menschen, Rechtsextremen und rechtsradikalen Verschwörungstheorien ausgeht.
Jan Rathje: Die „Reichsbürger“ gibt es auch gar nicht. Wir unterscheiden vier verschiedene Kategorien. Da gibt es die „Selbstverwalter“, die sich als freie Bürger verstehen und nicht Teil der Bundesrepublik sein wollen. Dann gibt es jene, die sich selbst als ein „Reich“ ausrufen und die wir als die klassischen Reichbürger kennen. Dann die „Souveränisten“, die glauben, unser Staat wäre nicht souverän. Die gehören häufig zur „Neuen Rechten“. Und dann gibt es noch jene klassisch organisierten Rechtsextremen, die seit 1945 die Rückkehr zum Deutschen Reich fordern.

Wiederholt werden Waffen bei Reichsbürgern gefunden. Müssen wir uns fürchten?
Ginsburg: Ja!
Rathje: Nein!

Kein Konsens? Herr Ginsburg, sie waren mit Reichsbürgern unterwegs: Müssen wir Angst vor denen haben?
Ginsburg: Wir haben kein Problem mit Reichsbürgern, wir haben ein Problem mit rechtsradikalen Verschwörungstheorien. Die verbreiten sich nicht nur, sie werden auch zusehends salonfähig, sind aus dunklen Internetforen und Dorfkneipen bis in den Bundestag vorgedrungen. Das ist die größte Gefahr. Aber klar, auch die „klassischen“ Reichsbürger sind gefährlich - für sich selbst und andere. Wer ernsthaft glaubt, die Regierung, die Amerikaner oder Juden seien hinter ihm her, läuft Gefahr, früher oder später durchzudrehen. Dabei wird Gewalt aus der Szene – auch tödliche – oft nicht als politisch gewertet, etwa, wenn einer seine Frau zu Tode foltert, weil er sie für eine BND-Agentin hält. Solche Fälle werden als häusliche Gewalt oder krankhaft gewertet.

Herr Rathje, Sie sehen das anders?
Rathje: Nein, natürlich können solche Menschen zur Gefahr werden. Worum es mir geht: Anders als häufig dargestellt, gibt es keine 17.000 Mann große Armee von „Reichsbürgern“, die morgen schon vereint die Demokratie umstürzen werden. Die Szene ist zersplittert, bisher sind Versuche, diese Kräfte zu bündeln, immer an den jeweiligen Egos gescheitert. Die deutsche Tradition des Rechtsexterrorismus zeigt aber auch, dass es keine geeinte Großbewegung braucht, um Anschläge durchzuführen. Denn was diese Menschen alle eint, ist eine – in den Grundzügen – gleiche Verschwörungstheorie, eine sehr alte noch dazu.

Welche Verschwörungstheorie meinen Sie?
Rathje: Sie alle eint die Idee einer Machtelite, einer kleinen Gruppe von Menschen, die das Weltgeschehen kontrollieren. Es sei das Ziel dieser Elite, das deutsche Volk zu unterdrücken und – etwa durch Migration – auszutauschen oder ganz zu vernichten. Dabei wird immer wieder der Mythos der „jüdischen Weltverschwörung“ aktualisiert.
Ginsburg: Auf meiner Recherchereise durch die verschiedenen Reiche, ob es nun ultraharte Neonazis, Politsekten, Esoteriker oder hippie-ähnliche Kommunen waren, zeigte sich stets mehr oder weniger offener Antisemitismus. Es ist die alte Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung. Wobei kaum einer in der Öffentlichkeit von den Juden sprechen würde – man spricht in Codes. Sie bezeichnen den Feind als „internationale Logenszene“ oder „kosmopolitische Hochfinanz“, sprechen von „Zionisten“, der „Neue Weltordnung“, oder „Illuminaten“. Wer damit gemeint ist, weiß ein Großteil der Szene auch, einige übernehmen aber diese Sprache und den strukturellen Antisemitismus, ohne ihn zu durchschauen.

Sind also alle Reichsbürger Neonazis?
Ginsburg: Nein, das nicht. Aber sie hängen rechtsradikalen Vorstellungen an und die Szenen von Verschwörungsschwurbler zu knallhartem Rechtsextremen ist oft fließend. Auch die Leugnung oder Rationalisierung des Holocausts ist quasi ein logischer Zwang dieser Theorie: Deutschland muss für diese Menschen makel- und schuldlos bleiben, ein Opfer der bösen Verschwörer.

Was bringt Menschen dazu, diese Ideen zu verfolgen und nicht selten auch ihr bürgerliches Leben dafür aufzugeben?
Ginsburg: Die Biographien sind so unterschiedlich wie die Szene selbst. Dazu gehören Menschen, die an den Rand der Gesellschaft geraten sind, sei es durch einen persönlichen Schicksalsschlag oder geistige Probleme. Andere suchen einfache Erklärungsmuster in einer komplizierten Welt oder werden mit diesen Verschwörungstheorien in ihrer ohnehin menschenfeindlichen Weltanschauung bestätigt. Und es gibt natürlich auch skrupellose Verführer, die Macht und Einfluss suchen: Verschwörungsideologie und Reichsbürgerei ist eine Industrie, da gibt es auch Geld zu holen.
Rathje: In den Ideologemen des Milieus werden autoritäre Persönlichkeitsstrukturen angesprochen. Es wird auch von wirklich tragischen Geschichten berichtet, die durch die Verschwörungsideologie dann zu selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Wenn ich mir in den Kopf gesetzt habe, dass der Staat von Verschwörern kontrolliert und hinter mir her ist, und ich aufhöre ihn mit Steuern zu stützen, dann ist der Staat irgendwann wirklich hinter mir her. Allerdings deshalb, weil ich aufgehört habe Steuern zu zahlen – nicht weil der Staat von einer bösen Verschwörung kontrolliert wird. Gleichzeitig bestätigt sich aber auch mein Bild von der Verschwörung gegen die Deutschen und gegen mich ganz persönlich.

Wie geht man aus Ihrer Erfahrung am besten mit „Reichsbürgern“ um? Kann man ihnen ihren Wahn ausreden?
Ginsburg: Es ist wie bei Sekten: Rein kommt man einfach, das aussteigen ist eine andere Geschichte. Menschen, die diesen gefährlichen Mist glauben, blicken in der Regel auf den Rest der Gesellschaft mit Hass und Verachtung. Sie sehen in uns manipulierte „Schlafschafe“ oder gekaufte „Systemtrolle“, die dem Regime und den Verschwörern dienen. Aber gerade deswegen ist es so wichtig, mit diesen Leuten menschlich umzugehen, soweit das noch möglich ist. Wir müssen uns für Verschwörungsideologien sensibilisieren und klar widersprechen. Wenn man diese Menschen aber noch irgendwie erreichen will, muss man versuchen, zwischen Ideologie und Mensch zu unterscheiden.
Rathje: Sich gegen diese Theorien zu stellen, ist noch aus einem anderen Grund besonders wichtig. Es gibt Betroffene, die als „Teile des Systems“ von den „Reichsbürgern“ bedroht werden. Wir müssen sie und damit auch diese Gesellschaft vor diesen demokratiefeindlichen, antisemitischen und rechtsextremen Angriffen schützen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview [&] Foto: Peter Altmann

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