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Teil 1: In der Todeszone

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Ballermann, Petersdom, Ostseestrand – diese Reiseziele können sich vor dem jährlichen Touristenansturm kaum retten. Das 371 interessiert sich für Menschen, die ganz andere Reisen unternehmen.

Am Anfang war die Fotografie. Andreas Georgi, hauptberuflich Krankenpfleger am Chemnitzer Zeisigwald-Klinikum, hat von einem befreundeten Fotografen das Handwerkszeug gelernt und ist seither viel mit seiner Bridge-Kamera unterwegs. Am meisten faszinieren ihn dabei leerstehende Gebäude, Orte mit Geschichte. Kein Wunder, dass ihn eine gewisse Faszination erfasste, als er vor einigen Jahren Bilder von Prypjat sah, der Stadt, die beim Bau des Atomkraftwerks (AKW) Tschernobyl als Wohnstätte der AKW-Arbeiter geschaffen wurde und am 27. April 1986 evakuiert wurde – 36 Stunden nach dem Reaktorunglück in Block 4. Die Stadt darf heute nur mit einer Sondergenehmigung betreten werden.

Georgi besuchte Prypjat im September 2011 mit zwei befreundeten Fotografen aus Chemnitz und Potsdam. Sie buchten die Tagestour in einem Reisebüro in Kiew. Geigerzähler hatten die drei nicht dabei, aber viele andere in der Gruppe. Während des Besuchs in Prypjat seien die Geräte permanent zu hören gewesen und hätten hohe Werte angezeigt, erinnert sich Georgi, – obwohl sich die Gruppe nur auf dekontaminierten Hauptstraßen bewegte. Mit den möglichen gesundheitlichen Risiken hatte sich der Chemnitzer vor der Reise umfassend auseinandergesetzt, unterhielt sich unter anderem lange mit Radiologen. Von ihnen erfuhr er, dass die Strahlung in Prypjat vergleichbar sei mit Röntgenuntersuchungen oder einem Überseeflug. Man solle aber vermeiden, in der Todeszone Staub einzuatmen, denn dieser enthalte gefährliches Plutonium. Insofern hatte Georgis Reisegruppe doppelt Glück, dass es am Morgen vor ihrem Besuch in Prypjat geregnet hatte: Nicht nur, dass die Wolken im Hintergrund der verwaisten Stadt für stimmungsvolle Fotos sorgten, auch der Staub war durch die Feuchtigkeit gebunden und stellte deshalb keine große Gefahr dar.

Im Vorfeld der Reise reagierte Georgis Umfeld sehr unterschiedlich auf seine Pläne: „Manche fanden es verrückt und manche total interessant und spannend.“ Auch Vorwürfe habe er sich anhören müssen, es hieß, er sei „sensationsgeil“ oder betreibe „Katastrophentourismus“. Darum sei es ihm aber nie gegangen, widerspricht er – im Gegenteil empfinde er es selbst als makaber, die Todeszone für den Massentourismus zu öffnen: „Es ist schon pervers dahin zu fahren, wo eine solche Katastrophe passiert ist.“ Wohl auch deshalb war der Anblick der Geisterstadt, die abgesehen von Spuren von Plünderungen immer noch so aussieht wie 1986, beklemmend für Georgi. Das machte es ihm auch nicht einfach, den typisch ukrainischen Borschtsch in der Kantine des stillgelegten AKW zu genießen: „Es war total lecker, aber man darf natürlich nicht darüber nachdenken, wo man sich befindet.“

Text [&] Foto: Julia Keller

[nbsp]Die[nbsp]Ausstellung seiner Prypjat-Fotos, die noch bis zum 3. Januar im Arthur zu sehen ist.

Erschienen im 371 Stadtmagazin 01/13

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