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Gewagte Selbstverständlichkeit

Deutschunterricht im Asylbewerberheim

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Coretta Storz und Christian Meyer geben im Asylbewerberheim Chemnitz-Siegmar Deutschunterricht – ehrenamtlich, denn was der Staat nicht macht, wird selbst in die Hand genommen.

„Das Auge, die Augen.“ Geduldig wiederholt Coretta die Vokabeln, während Christian auf seine Augen zeigt. Es wirkt, als ob die Beiden ein Tanztheater aufführen. Aber wie soll man sich auch verständigen, wenn die Schüler aus aller Welt kommen und weder der deutschen noch der englischen Sprache mächtig sind?

Coretta und Christian sind beide 28 Jahre alt und studieren Germanistik im Master an der TU. Die Wahlchemnitzer engagieren sich, sei es im Kirchenvorstand, als Pressesprecher eines Handballvereins oder als wissenschaftliche Hilfskraft an der Uni. Trotz der vielen anderen Tätigkeiten gehen sie einmal in der Woche ins Asylbewerberheim Chemnitz-Siegmar. Coretta bringt Erfahrungen als Lehrerin mit, dass merkt man der dreifachen Mutter an. Für Christian dagegen ist es Neuland. Heute sind drei Schüler anwesend, anfangs waren es mal zwölf. Die geringe Anzahl sei aber nicht ungewöhnlich. Der kulturelle Unterschied in Bezug auf die Bedeutung von Pünktlichkeit ist enorm. Coretta und Christian versuchten ihren Schülern zu erklären, was Pünktlichkeit in Deutschland bedeutet, aber das führte nur zu Gelächter. Tatsächlich kommt nach Hälfte der Zeit noch ein Schüler, dafür muss ein anderer gehen, er hat einen Termin beim Sozialamt. Diese unstete Anzahl an Teilnehmern sowie die wenigen Unterrichtsstunden – einmal wöchentlich eineinhalb Stunden – machen die Planung entsprechend mühevoll. Die beiden sehen ihre Arbeit aber als selbstverständlich an. Einwanderern das Gefühl zu geben, willkommen zu sein, sei sehr wichtig. „Grundkenntnisse der Landessprache sind das Fundament, um in einem Land klar zu kommen“, meint Coretta. Christian ergänzt, dass die Asylbewerber für ihn quasi Bedürftige seien, denen geholfen werden muss. Ein gewagtes Unterfangen: Sie sind weit mehr als Deutschlehrer, sie sind Ansprechpartner und eine willkommene Abwechslung im Asylbewerberheim.

Seit Ende März geben Coretta und Christian als eines von drei Teams Deutschunterricht, der am Alltag der Asylbewerber ausgerichtet ist und Basiskenntnisse der deutschen Sprache vermitteln soll. Die evangelischen Kirche, die dieses Projekt auch initiierte, leistet große Unterstützung. Sie ermöglichte es jedem Schüler, ein Deutschwörterbuch seiner Sprache bereitzustellen. Die Reaktionen auf diesen Unterricht sind meist positiv. Doch hören die beiden ab und an auch kritische Töne. Deutschunterricht zu ermöglichen sei nicht ihre Aufgabe, sondern die Aufgabe des Staates. „Stimmt“, sagen beide, „aber wenn keiner etwas tut, wird auch niemandem geholfen!“

Text: Ellen Hieber Foto: TU Chemnitz/Luise Matthes

Erschienen im 371 Stadtmagazin 07/14

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