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Junges Theater und alte Bekannte

Beiträge für eine spannende Theatersaison

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Szene aus "In den Nächten liegen wir stumm"

Die neue Theater-Spielzeit ist seit Anfang September im vollen Gange. Für Ensemble und Gewerke ist so ein Saisonbeginn mittlerweile Hochleistungssport. Die Premieren im Sprech- und Musiktheater werden im Wochentakt abgefeuert. Damit trägt man auch in Chemnitz einer Entwicklung Rechnung, wonach das Publikum immer kürze Aufführungszyklen für Stücke fordert und Neues sehen will. Ob das so richtig stimmt, weiß man gar nicht, aber für das Theaterpublikum ist es wohl immer ein Gewinn.

Im Schauspielhaus standen bzw. stehen deshalb zwischen dem 23. September und dem 14. Oktober gleich vier Premieren im Spielplan. Jede für sich verspricht zumindest vom Vorabtext her ihren Beitrag für eine spannende Theatersaison liefern zu können. Los ging es am 23. September mit Schillers „Die Räuber“. Inszeniert wird der „Sturm und Drang“-Klassiker von einem jungen Frauen-Trio um die bereits an vielen deutschen Bühnen gefeierte Nina Mattenklotz. Sie stellt sich der Aufgabe, dass kanonische Stück zeitgemäß zu interpretieren. Wenn eine ältere Damen hinter einem schon im ersten Drittel des 2,5 Stunden-Aufführung stöhnt „das hätte Schiller nicht gewollt“, muss man sagen: Alles richtig gemacht, Frau Mattenklotz! Dabei verrockt die 37-jährige das Stück um die ungleichen Brüder Franz und Karl gar nicht so dramatisch. Sie ist schon ganz bei Schiller (#moralischeanstalt) und findet zahlreiche inszenatorische Kniffe, um Handlung und Text mitreißend zu erzählen. Beim Text hält sie sich dabei am Original und erweitert ihn nur partiell durch Aktualitäten. Dabei will sie manchmal zu viel. Unter dem Metathema Freiheit, das dem Stück ja innewohnt, lässt sich ihrer Meinung nach doch nahezu alles reinpacken. Hier und auch in puncto Stücklänge hätte eine dramaturgische Straffung gut getan. Aber gut, die Zeiten sind unübersichtlich, warum sollte es da das Theater sein? Insgesamt ein lohnender Theaterabend, der keine Gewissheiten bereithält und Fragen hinterlässt. Fragen, die einem noch Tage später durch den Kopf geistern – vielmehr kann Kunst vielleicht eh nicht erreichen.

Obwohl: Kunst kann auch System stürzen, glauben zumindest ostdeutsche Intellektuelle. Für diese und andere Theaterbesucher, die noch immer die vermeintlich goldenen Jahre des Chemnitzer Schauspiels Ende der 80er glorifizieren, bietet sich ab dem 14. Oktober die Möglichkeit zum Realitätsabgleich. Das kehrt Hasko Weber als Regisseur zurück an die Bühne im Park der OdF. Weber wirkte von 1987 bis 1990 hier, zunächst als Schauspielstudent, dann fest mit Regieaufträgen. Diese kurze Spanne reichte aus, ihn zur Legende werden zu lassen. Vor allem die von ihm 1989 initiierte „Dramatischen Brigade“ schrieb Theatergeschichte. Diese Gruppe von Bühnenkünstlern entwickelte gleichberechtigt die Inszenierungen. Bereits mit ihrer ersten Produktion „Schlötel oder Was soll‘s“ von Christoph Hein erregte sie künstlerisch und politisch Aufsehen. Von da ab stieg Hasko Weber zu einem der wichtigsten deutschen Theatermacher auf – seine Stationen als Schauspieldirektor in Dresden, als Hausregisseur und später Intendant des Staatstheaters Stuttgart und aktuell die Generalintendanz des Deutschen Nationaltheaters in Weimar waren und sind von Kritiker- und Publikumslob gesäumt und mit Preisen gekrönt. Bei der Rückkehr an seine erste Wirkungsstätte inszeniert er Max Frischs Roman „Homo faber“. Dabei will er an die Arbeitsweise der „Dramatischen Brigade“ anschließen und Dramatisierung und Inszenierung mit dem gesamten „Homo faber“-Team im Probenprozess entwickeln. Smells like Höhepunkt!

Apropos alte Bekannte: Der polnisch-australische Regisseur Bogdan Koca ist seit dem Antritt von Carsten Knödler als Schauspieldirektor ein Dauergast am Chemnitzer Regiepult. Mit „Harlequin [&] Harlequin“ bringt er ab dem 13. Oktober sein drittes, eigenes Stück hier auf die Bühne, diesmal sogar als Uraufführung. Eine aberwitzige Verwechslungskomödie um zwei Harlequins ist angekündigt, in der Spielensemble Texte und Szenen im Sinne der Commedia dell‘arte improvisieren soll. Das klingt nach einem erfolgversprechenden Stück, aber bekanntlich ist das Schreiben von Komödien die größte Kunst. Mögen Koca, dem Ensemble, aber vor allem dem Publikum viele Lacher gegönnt sein.

In die Verlegenheit, auf Lacher warten zu müssen, kann bei „Und in den Nächten liegen wir stumm“ niemand kommen. Thomas Freyers Stück ist ein düsteres Coming-Of-Age-Drama um vier junge Menschen, die, verlassen von ihren Eltern, haltsuchend durch die dunkle Gegenwart taumeln. Freyers Stück fordert vier starke junge Spieler, die seine archaisch-soghafte Sprache in schmerzliche Sehnsuchtsbilder verwandeln. Gefunden haben muss er sie in den vier Studierenden der mit dem Schauspiel kooperierenden Hochschulen. Jannik Rodenwaldt von der Anton Bruckner Privatuniversität Linz, Lauretta van de Merwe und Jan Beller von der Zürcher Hochschule der Künste und Andrea Zwicky von der Hochschule der Künste Bern werden eine Spielzeit lang als Teil des Ensembles lernen und sich auf ihr Berufsleben vorbereiten. Als Einstieg erarbeiten sie diese Studioproduktion. Der Regisseur und Leiter des Schauspielstudios René Schmidt arbeitet für die Bühnenausstattung außerdem mit Studierenden des Masterstudienganges Bühnenbild_Szenischer Raum der TU Berlin zusammen. Von Stück bis den Umsetzenden also genau das, was man von einer städtischen Bühne immer fordert: Macht doch mal junges Theater! Bitte sehr, da ist es, man muss nur hingehen. Ab dem 28. September im Ostflügel.

Text: Lars Neuenfeld Fotos: Dieter Wuschanski

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