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Kunst des Vorgaukelns

Das Bunte muss ins Dreckige #2

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Wird bald durch die Begehungen belebt: Der Kulturpalast Rabenstein.

Das Kunst- und Kulturfestival Begehungen ist mittlerweile die Institution unter den Chemnitzer Szenefestivals. Einmal im Jahr lockt es die internationale sächsische Bohème und Chemnitzer Kunstconnaisseure aller Couleur in die blühenden Betonlandschaften und sind seit Jahren Muss im prall gefüllten Chemnitzer Veranstaltungskalender. Seit 2003 tingeln die Begehungen mit ihrem Kunstzept durch die Stadt wie die alten Beatniks damals durch die Staaten und haben es sich zur Aufgabe gemacht, die vergessenen, verschlossenen, verlassenen Orte der Stadt wieder für alle zugänglich, eben begehbar zu machen. Letztes Jahr zogen sie kurzzeitig in den loftigen Hallen des Poelzig Areals ein, sie waren in der Schule, im Problemkiez, im Edeka und im Knast. Dieses Jahr im Palast.

Der Kulturpalast in Rabenstein ist auch eine Institution: Ein Symbolbild für den Verfall des Sozialismus. Über dem Pelzmühlenteich in Rabenstein thront er als Mahnmal, an dem man die alten Erinnerungen an früher niederlegen kann wie an einer Gedenkstätte. Für die Macher der Begehungen ist er vielleicht keine Institution, aber definitiv ein Institut und zwar das Institut Potemkin. Unter diesem Motto finden dort vom 17. bis zum 20. August die Begehungen in ihrer 14. Auflage statt, bevor auch hier ein Tempel des Luxuswohnens entsteht.

„Das Institut lädt dazu ein, hinter die Fassaden zu schauen und mit den Mitteln der Kunst Fiktionen zu hinterfragen oder zu schaffen. Wie kaschiert man Missstände richtig? Wie generiert man gehaltvolle fake news? Wie kann man Revolution überwinden?“

Ausgestellt werden insgesamt 23 Arbeiten, die eine dreiköpfige Jury aus insgesamt 455 internationalen Bewerbungen ausgewählt hat, und die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Potemkinschen Dorf des schönen Scheins auseinandersetzen. Vier dieser Arbeiten entstehen innerhalb einer vierwöchigen Künstler-Residenz. Zusätzlich werden natürlich auch die Begehungen ein samstagabendfüllendes Bilder-Rahmenprogramm auffahren: Neben der Exhumierung der Show „Studio Karl-Marx-Stadt“ wird es Vorträge, Diskussionen, Musik, Theater- und Filmvorführungen geben.

Damit haben sie eine Location gefunden, die vermutlich erneut die halbe Stadtbevölkerung weit über die Grenzen des Kunstinteresses hinaus nach Rabenstein locken wird. Dass hier bald Senioren, Künstler, Hipster und Familien zwischen Performances, Installationen, Erinnerungen und Ostalgie kunstwandeln, einer der großen Verdienste der Begehungen: Sie sind immer auch Begegnungen. Sie legen Wert auf Barrierefreiheit und Inklusion: Auch dieses Jahr wird es unter anderem wieder Führungen in Gebärdensprache und sehbehindertengerechte Übersetzungen geben.

Potemkinsche Dörfer

Klingt ein bisschen wie ein schlesisches Traditionsgericht, ist aber eine schöne Redewendung, die gefühlt nur etwa die Hälfte aller Deutschen kennt. Das Potemkinsche Dorf ist für viele Menschen also vor allem ein Böhmisches. Beide Dörfer liegen lieblich in der deutschen Sprachlandschaft, das eine ist quasi unerschlossen, das andere nur Fassade.

Gouverneur Grigori Alexandrowitsch Potemkin war ein wichtiger Mann in der südrussischen Provinz, am Schwarzen Meer, dort wo heute um die Krim gekämpft wird. Im Jahr 1787 unternahm die noch viel wichtigere Zarin Katharina die Große dorthin eine Inspektionsreise, bei der sie den Gouverneur kennen- und natürlich auch lieben lernte. Allerdings schien der ein ziemlicher Blender gewesen zu sein. Um sie zu beeindrucken, setzte er sozusagen auf Siedlungsbau, denn in der wirtschaftlichen Flora stehen bekanntermaßen auch die stattlichsten Dörfer. Die grüne Wiese — auch in Chemnitz sehr beliebt, wenn man mit einem schicken Eigenheim/Einkaufszentrum protzen will. Doch angeblich waren die hübschen Dörfer, die er Katarina präsentierte, nur schöner Schein. Darin ähneln sie auch so manchem Eigenheim: Nach Außenhin glänz die schicke Fassade, im Inneren zerbrechen Teller oder gleich ganze Familien. Das Potemkinsche Dorf ist also ein Blendwerk, ein großer Bau mit nichts dahinter, eine Täuschung, Illusion, nennt es wie ihr wollt, es ist eh nicht echt.

Für Freunde historischer Korrektheit ist die Legende vom schönen südrussischen Schein allerdings falsch: Potemkin hatte zwar Gebäude errichtet, um Katharina zu imponieren, tatsächlich aber taugten diese doch recht viel und waren als Militäranlagen so stabil, dass die kritischsten Chemnitzer Blicke daran abgeprallt wären.

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Palast der bröckelnden Republik

Der Chemnitzer Kulturpalast hätte sicher auch dem Stalin gefallen. Wie er sowjetisch prächtig am Pelzmühlenteich protzt und fast schon furchteinflößend und gespenstig aussieht, trotz der hellenistischen Säulen. Hier steht ein Stück DDR-Geschichte, der ideelle Vorgänger der Chemnitzer Stadthalle, vor allem aber ein gescheiterter Prunkversuch. Die Architekten Kurt Ritter, Adam Burger und Joachim Rackwitz hatten bei der Planung offensichtlich besonders intensiv Richtung Sowjetunion geschaut — und innerhalb von einem Jahr den ersten Kulturpalast der noch jungen Republik gebaut. 1951 eröffnet der „Kulturpalast der Bergarbeiter“ als eine Art Vergnügungszentrum für die Schacht geplagten Wismutarbeiter, die im umliegenden Erzgebirge unter größter Gesundheitsgefährdung für die Sowjets nach der geheimen Atombomben-Zutat (Uran) gruben. Eine Art Tropical Island der Ideologie inklusive griechischer Dekadenz. Mit Theater- und Tanzsaal, Bibliothek und Cafè, Restaurant und prächtigem Foyer perfekt gemacht für Brot und Spiele. Im alten Arbeiterstaat war ebendieser der König, und entsprechend fürstlich sollte er sich auch vergnügen.

Während das kriegsgebeutelte Stadtzentrum noch in Trümmern lag, gedieh das idyllische Rabenstein zu einem kulturellen Zentrum für die Chemnitzer, die dargebotenen Tanz- und Varietèveranstaltungen waren etwa so beliebt wie heute „Reich für immer“. Das „Volkskunstensemble der IG Wismut“ entzückte hier mit Gesang, Tanz sowie einem 18-köpfigen Orchester. 1967, nach nur 16 Dienstjahren, schloss der Palast wieder — die Gründe sind bis heute nicht bekannt. Später wurde er zum Fernsehstudio, in dem man vermutlich auch eine ganze Mondlandung hätte fälschen können. Obwohl in der DDR bekanntermaßen alles grau war, entstand hier das erste Farbfernsehstudio: Produziert wurden dicke Abendshows — Silverstergalas, Sendungen wie „Schätzen Sie mal!", "SpielSpass" und "Mit Lutz und Liebe“. Hier trumpfte das DDR-Fernsehen mit Ausstattung, wurden Kulissen geschoben, Stars geschminkt, große Bilder inszeniert. Der Potemkin hatte Dörfer inszeniert, das DDR-Regime einen ganzen Staat. Auch heute könnte Florian Silbereisen hier noch Frühlingsfeste der Volksmusik feiern, wäre das Gebäude nicht dem Verfall geweiht. Nach der Wende nutzte der MDR die Studios weiter, aber bald fiel die letzte Fernsehklappe: Seitdem scheint der Palast aus dem städtischen Bewusstsein verschwunden, wechselt die Investoren wie Kellnberger Betonfarben und ist alle Jahre wieder vom Abriss bedroht. Nun aber soll er bald wohl Teil einer Wohnanlage werden.

Begehungen – Kunst- und Kulturfestival
Ort: Kulturpalast Rabenstein (Pelzmühlenstraße 25, 09117 Chemnitz)
Wann: 17. - 20 August 2017
Öffnungszeiten: Do 18:00 – 22:00 Uhr, Fr 15:00 – 00:00 Uhr, Sa 12:00 – 00:00 Uhr, So 12:00 – 22:00 Uhr

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