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Kunst im schrillen Utopia

Das Bunte muss ins Dreckige #1

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Vor zwei Jahren, im August 2015, hatte das Kunstfestival Begehungen in Teilen des Chemnitzer Spinnereimaschinenbaus eine Utopie erschaffen: Eine Stadt in den Wolken, von Vögeln gebaut, in der griechischen Literatur „Wolkenkuckucksheim“ genannt, ein Ort fernab jeder Realität. Genau das ist, fanden viele, was eine Stadt wie Chemnitz braucht, wo die bunten Utopien oft im Beton erstickt oder zu Parkplätzen planiert werden. In Kooperation mit den „Wokuhe“-Begehungen entstand auch ein Festival, das Raum für noch mehr Spinnereien bot. Die Macher hatten eine Chemnitzer Fantasiefabrik errichtet: Hier werden Musik und Theater gemacht, Performances, Kunst, vor allem aber schrullige Ideen.

Zwei Jahre und zweihundert Vogel-Wortspiele später geht das Wolkenkuckucksheim ins dritte Jahr. Dem Begehungen-Nest ist es längst entflogen — ein eigenständiges Festival, das all den schönen Hirngespinsten Flügel verleiht wie sonst nur eine Dose Red Bull diesen animierten Strichmännchen mit dem österreichischen Dialekt. Mit der Spinnerei haben die Veranstalter den perfekten Ort dafür gefunden, und das liegt nicht nur am Namen. „Zum einen ist es aus infrastruktureller Sicht hervorragend geeignet“, sagt Mitveranstalterin Nadine Rothe, „es besteht ein großer Freundeskreis, der dieses Event seit Anbeginn unterstützt. Zum anderen ist das Gelände einfach unheimlich schön.“

Während ibug und Begehungen den Verfall durch Kunst begehbar machen, ist es beim Wolkenkuckucksheim die Utopie, die hier einmal im Jahr partizipativ gestaltet wird. Das Wolkenkuckuksheim inszeniert sich als subkulturelles Nischenprodukt: Ein musikalisches Delikatessen-Regal, in dem exotisch aussehende Sachen stehen, die vielleicht nicht jedem schmecken, aber man will sie trotzdem unbedingt mal probieren. Krautsalat ist durch den Pulled Pork-Hype derzeit zwar in aller Munde, bleibt musikalisch aber ein Untergrundgewächs. Die Kuckucksheimwerkler rühren kräftig im Avantgarde-Topf: Es gibt viel Kraut, Ambient, Noise, ein bisschen Weltmusik, Electro, Soul, Indie, alles dabei. Dieses Jahr werden unter anderem Bambi Davidson, Trucks, Toulouse Low Trax, Tendre Biche, DJ Fett und Vladimir Ivkovich die Bühnen, Sandplätze und Birkenwälder des Spinnerei-Geländes besiedeln. „Das Line-Up setzt sich aus persönlichen Geschmäckern der Kuratoren, Empfehlungen, einem großen musikalischen Netzwerk und vielen überraschenden Konzert- und Festivalentdeckungen, sowie Streifzügen durch Magazine und Internet zusammen“, sagt Rothe und lächelt spitzbübisch.

Dennoch ist das Wolkenkuckucksheim mehr als ein Musikfestival für Menschen mit erlesenem Geschmack: Die Macher verfolgen den Anspruch, Kulturschaffende über die Stadtgrenzen hinaus miteinander vernetzen. Das heißt: Neben Liveacts und DJs flattern auch Künstler, Vereine, Initiativen und andere schräge Vögel in das Wolkenkuckucksheim. Es wird Lesungen geben (unter anderem mit Bird Berlin und Krupski), Workshops, Performances. Das Wolkenkuckucksheim bietet ein vogelwildes Konglomerat der Kreativität: Es ist ein kreatives Nestwerk, will Menschen zusammenbringen, Projektspielplatz sein. Auf die Frage, welche Luftschlösser die Festival-Macher unbedingt noch zementieren wollen, sagt Nadine Rothe nur: „Ganz klar, aus unserem Luftschloss soll eine Festung werden!“.

tl_files/371/images/Magazin/2017/August 2017/Redaktion/_DSC8764_CMYK.jpg[nbsp]

Work, work, work, workshops

Es finden nicht nur herrlichste Hirngespinste und Musikperformances statt, sondern auch Workshops, bei denen man sich fast genauso gut austoben kann, wie im blaukühlen Nass des Spinnerei-Pools. Wir haben die Angebote für euch im Überblick:

Setzkasten extern*: Ist eine Werkstatt, die intensive Projektbastelei während des Festivals ermöglicht. Hier sind alle Kreativ-Werkzeuge und Installations-Tricks erlaubt: Performance, Musik, Kunst, Text, Bild. Wer will kann hier tagsüber an der Idee schrauben und sie abends dann auf einer Art Open Stage präsentieren, proben, vorführen. Dafür stehen unter anderem Workshops, Spontankonzerte, eine offene Lese/Schreibbühne, analoge Projektionen und ein open beamer zur Verfügung.

Mathilde [&] Merlin:[nbsp]...laden in den „Schatten des Kuckucksheims“. Aus Pappkarton und lebenden Figuren soll ein Schattenspiel entstehen, oder vielmehr ein Schattenschauspiel, eine Kulisse in der Kulisse. Dafür werden gemeinsam mit den Workshopteilnehmern Szenebilder, Figuren und Ideen erarbeitet und später zur großen „Vogelgala“ aufgeführt: Am Ende entsteht eine eigene kleine Welt, ein Schattenspiel aus Pappkarton und lebenden Figuren.

Rassismus hacken: Das internationale Kunstaktionsnetzwerk "Grass Lifter" hat sich der NSU-Aufklärung angenommen: Es agiert dabei mutig und kreativ, mit spektakulären Aktionen und Provokationen in ganz Sachsen, kuratierte im vergangenen Herbst das Theatertreffen „Unentdeckte Nachbarn“. In diesem Workshop wird Franz Knoppe, Gründer der Gruppe, eine Einführung in den Kunstaktivismus geben. Dabei soll es um die richtigen Herangehensweisen und Methoden zur Irritation von Stadtgesellschaften gehen. Am Beispiel der (Nicht)-Aufarbeitung der NSU-Verbrechen in Sachsen, lernen die Teilnehmenden, wie aktivistische Kunstformate im öffentlichen Raum durchzuführen sind, bekommen einen Überblick über aktuelle Kunstaktionen, Formate, Taktiken, Prinzipien sowie Theorien und erarbeiten in einem beispielhaften Brainstorming eigene Ideen.

Die Luftschlösser sind beziehbar vom 11. bis 13. August in der Spinnerei Chemnitz. Die Tickets kosten am Freitag und Samstag jeweils 15 Euro, am Sonntag 5. Das Wochenendticket kostet 25 Euro und kann im City Ticket im Vorverkauf erworben werden.[nbsp]

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