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Kunst von der Straße

Das Bunte Muss ins Dreckige #3

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Diese Brache gilt es dieses Jahr neu zu gestalten: Die SPEMAFA.

SPEMAFA, das klingt nach der kleinen Schwester der ERMAFA-Passage, nach VEB, Planwirtschaft und Arbeiterschweiß. 1881 gründeten zwei Brüder namens Carl und Arthur Unger in Chemnitz eine Fabrik, die sich zunächst auf — Achtung, imposantes Wort —Fleischverarbeitungsmaschinen spezialisierte. 1889 erweitern sie ihr Unternehmen um einen neuen Fabrikkomplex in der Lerchenstraße, gleich in der Nähe des Chemnitzer Hauptbahnhofes. 1904 wird daraus die „Gebrüder Ungerer AG“, 1947 wird sie zum „VEB Spezialmaschinenbau Chemnitz“ verstaatlicht, 1976 an das Kombinat „Nagema“ angeschlossen. Nach der Wende wird die Fabrik zwar kurz noch mal zur „Chemnitzer Spezialmaschinenfabrik GmbH“, doch 1993 fällt hier der letzte Tropfen Produktionsschweiß. Leerstand kriecht schleichend in die Fabrikgemäuer, bis sich der Verfall einnistet. Heute ist die alte Spemafa industrielles Brachland, nur eine verfallene Fabrik von vielen.

Im August kehrt Kultur zurück in die Industrie, zumindest kurzzeitig: Dann zieht die ibug in die SPEMAFA, dann wird hier wieder gearbeitet — oder besser gesagt kreiert, gesprüht, installiert.
Die 2006 in Meerane von Künstler Tasso ins Leben gerufene ibug hat sich die Industriebrachenumgestaltung in den Namen gemeißelt und tourt damit seit über zehn Jahren durch Westsachsen. Einmal im Jahr, immer Ende August, verpasst sie alten Industrieruinen einen bunten Urbanitätsanstrich, macht Verfall zum Festival, verwandelt Ruinen in Streetart-Tempel. Noch ein letztes mal blühende Landschaft, bevor die Abrissbirne droht. Ein bisschen pimpt sie damit auch die dazugehörigen Ortschaften auf: Kleinere Städte wie Limbach-Oberfrohna, Crimmitschau oder Meerane liegen normalerweise weit abgeschlagen vom spannenden Szene-Geschehen. Die ibug verleiht ihnen zumindest für ein paar Tage im Jahr Internationalität und Coolnes, indem sie der postindustriellen Trostlosigkeit einen bunten Anstrich verpasst.

In Chemnitz war die ibug allerdings noch nie — was seltsam erscheinen mag, schließlich ist die Stadt nicht nur eine Hochburg der Industrie, sondern eben auch eine der Brachen. Vielleicht war Chemnitz als Austragungsort lange Zeit aber auch einfach zu offensichtlich. Andere Städte haben schließlich auch schöne Ruinen. Doch dieses Jahr kommt die ibug endlich nach Chemnitz, um bunte Pflaster auf den postindustriellen Verfall zu kleben, der an manchen Orten immer noch klafft wie eine offene Wunde.

Am letzten August- und ersten Septemberwochenende wird die Spemafa in Chemnitz zum Zentrum für urbane Kunst: „Im Fokus der internationalen Graffiti-, Streetart- und Medienkünstler steht dabei das Experiment mit Genres, Materialien und Techniken ebenso wie die Vergangenheit der Brache und ihre Architektur“, verspricht die Pressemitteilung. Dafür reisen bereits Mitte August über 100 Künstler und Kreative aus der ganzen Welt an, unter anderem aus Spanien, der Ukraine, Brasilien, Mexiko und den USA, um in den Hallen der Spemafa den Verfall zu gestalten, mit Streetart, Graffitti, audiovisuellen Installationen, eben dem Spirit urbaner Kunst.

Im Gegensatz zu anderen Künstlern, die sich mit ihrer Kunst ein Stück Ewigkeit schaffen, ist diese hier chronisch abrissbedroht und nur temporär zugänglich. So entsteht Kunst, die genauso dem Verfall geweiht ist, wie der Ort, an dem sie stattfindet. Diese Ausstellung spielt auf Zeit — und ist damit umso reizvoller.

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Um die Kunst herum hat die ibug ihr Rahmenprogramm mit Geschichten über den Austragungsort gefüllt, zeigt Filme über die Szene, lädt zum Gespräch mit den Künstlern und zu Führungen durch die Brache. Es gibt einen Kunstmarkt, auf dem man Werke der anwesenden Künstler kaufen kann und einen Biergarten mit Musik, der jeweils Freitag und Samstag geöffnet hat.

Am ersten Festivalsamstag (26.08.) stellt sich eine Diskussionsrunde unter dem vielversprechenden Titel „Brachen für die Branche — Leerstandsnachnutzung durch die Kultur- und Kreativwirtschaft“ der Frage, welche (positiven) Auswirkungen Festivals wie die ibug und ähnliche Konzepte auf die Stadt- und Regionalentwicklung haben. Kreative, lokale Immobilienhaie und kommunale Vertreter aus Chemnitz und Sachsen diskutieren über Chancen, Erwartungen, die mit solchen Projekten verknüpft sind und über die Leerstandsbelebung im Großen und Ganzen.
Über die Spemafa hinaus sollen vor und während des Festivals auch leere Läden am Brühl und andere Fassaden in anderen angesagten Stadtteilen gestaltet werden.

ibug 2017 – Festival für urbane Kunst und Kultur
Wann: 25. bis 27. August [&] 1. bis 3. September 2017
Ort: SPEMAFA - ehem. VEB Spezialmaschinenfabrik (Lerchenstraße 12, 09111 Chemnitz)
Öffnungszeiten: jeweils Freitag ab 15:00 sowie Samstag und Sonntag ab 10:00 Uhr.
Letzter Einlass: 19:00 Uhr. Biergarten: jeweils Freitag und Samstag ab 19:00 Uhr.
Eintritt: 7,- Euro, 5,- Euro ermäßigt. Festivalticket: 10,- Euro für ein Wochenende.

Bilder: Thomas Dietze, iBug[nbsp]

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