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Mit Eile zur Meile

Barhaftige Ideen gesucht

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Stadtverwaltung und GGG wollen Chemnitz eine Kneipenmeile zu schenken. Mindestens sieben neue Kneipen, Bars und Restaurants sollen schon bis Mitte nächstens Jahres in der Inneren Klosterstraße entstehen. Pulsierendes Leben mitten in der Innenstadt - eine irre Idee. Aber das kann natürlich auch gewaltig schiefgehen. Was wenn dort nur strunzlangweilige Standardgastronomien mit Cocktail-Happy-Hour und Schnitzeltag aufmachen? 371 ist alarmiert und hat augenblicklich einen Think-Tank gegründet, der nun im Stundentakt sehr, sehr gute Kneipen-Ideen ausspuckt. Hier nun die ersten Ergebnisse.

Gasthaus Zum Kosmonaut
Das Sequel zum erfolgreichen Festival. Jeden Tag gibt es ein geheimes Tagesgericht, das sich am Ende regelmäßig als ein angesagtes Tagesgericht von vor 20 Jahren entpuppt. Ansonsten ist der Laden aber sehr schick und total up to date eingerichtet. Viele liebevoll arrangierte Kleinigkeiten machen es im Vergleich zu anderen Gaststätten besonders knuffig. Das Essen ist megalecker. Alle Besucher sind entspannt, höflich und ganz lieb. Meist nuckeln sie verträumt bei deutschsprachigem Indie-Electronic-HipHop an ihrem Bio-Erdbeer-Sojamilchshakes. Zwei- bis dreimal die Woche ist aber auch mal so richtig ausflippen angesagt. „ABRISS“ rufen dann alle.
Prognose: Nie hat etwas besser zu Chemnitz gepasst. Und jugendliche TouristInnen werden kommen und hoffen, dass mal einer von Kraftklub auftaucht.

Hard Blog Café
Ein Café in dem man endlich offensiv sein neues Macbook zeigen kann. Hier trifft sich die digitale Bohéme. Coole Werber lieben den kreativen Spirit, PR-Agentur-Besitzer trinken beobachtend Kaffee, um den nächsten Influencer abzuholen. Aus den Boxen säuselt isländischer Indie-Electronic und manchmal auch Jazz. Alles ist sehr loungig und großbürgerlich gediegen, ein besserer Starbucks quasi. Hinter dem Café stehen die besserwisserischen Blogger von Remarx, die als Berufszyniker aber in ihrem Blog über das eigene Café lästern.
Prognose: Zugegeben schwierig, da die digitale Bohéme arm ist und es keine coolen Werber gibt. Für den Umsatz müssen also tätowierte Sonnenberg-Prolls sorgen, die sich einen Spaß draus machen, die Herrendutt-Träger regelmäßig aus dem Café zu prügeln.

Karacho
Die 50+ Kneipe! Hier zeigt man offensiv, dass man auch im Alter noch ganz schön verrückt sein kann. Die Wände sind mit Schwammtechnik in zitronengelb und olivgrün gehalten. Natürlich gibt es wechselnde Ausstellungen, zur Eröffnung Fotografien von Karla Mohr. Selbstverständlich platzt der Laden da schon aus allen Nähten. Hinterm Tresen steht Martin Rothe. Livemusik ist immer donnerstags. [nbsp]
Prognose: Gigantisch.

Café Leipzig
Es heißt, Menschen aus Chemnitz zöge es nach Leipzig, u.a. weil dort so ein tolles Kneipenleben herrscht. Wir waren dort und sagen euch: Völlig überbewertet. Leipzig ist so 90er. Aber um die Nach-Leipzig-schielenden Jugendlichen hier zu halten, gründet die CWE selbst das Café Leipzig. Es ist ganz nett eingerichtet, die Wände sind mit Bonmonts von Goethe, Bach und den Prinzen verziert. Meistens gibt es Leipziger Allerlei. Insgesamt ist es sehr langweilig.
Prognose: Trostlos. Ein Arbeitslosentreff mit staatlich subventionierten Kulturprogramm entsteht hier. [nbsp]

Statt der Moderne
Der Place to be für die Gegner der Kneipenmeile. Garantiert schallgedämpft, was eigentlich egal wäre, da in der Bar ohnehin nur ein leises Flüstern zu vernehmen ist. Man trinkt stilles Wasser und starrt so lange an Raufasertapeten bis es Zeit für eine viel zu teure Roster wird. Ansonsten steht nichts auf der Karte, außer Kontaktdaten zu Polizei und Stadt für etwaige Beschwerden. Das Publikum ist wie überall in Chemnitz natürlich sehr alt, die Stimmung genauso am Boden wie der Rest der Stadt.
Prognose: Wahrscheinlich immer leer, da die Innenstadt viel zu gefährlich ist, um einen Fuß nach draußen zu setzen.

Klausurcafé
Es gibt ja hin und wieder Idealisten, die denken, dass man nur genug Bücher aufstellen muss, und schon wird's intellektuell. Aber weder im Ankh noch im Kaffeesatz oder Odradek nimmt die Staubfänger auch tatsächlich mal einer in die Hand. Deswegen wird im Klausurcafé endlich auch validiert. Wer nach seinem Besuch im Klausurcafé nicht wenigstens vier Seiten Erörterung verfassen kann, hat eben Hausverbot.
Prognose: Läuft super. Denn hier finden alle Germanisten und Philosophen, die keine Hiwi-Stelle bekommen haben, endlich die Alleinstellung, die ihnen gebührt.

Das Ranz-Eck
Mal ehrlich, wir mögen doch am liebsten die Kneipen, die wir seit Jahrzehnten kennen. Da wo unser Arsch schon gut Dellen in den Barhocker gedrückt hat und wir wissen, welches Essen auf der Karte nur Ortsunkundige bestellen würden. Also macht das Ranz-Eck einfach da weiter, wo wir andernorts aufgehört haben: zerschlissenes Inventar, das nicht so wirklich zusammenpasst, stets angetrunkene Stammgäste (böse Zungen vermuten bezahlte Trinker aus der Opernstatisterie) und ein Gastwirt, der den Scheiß doch auch nur noch wegen des Geldes macht.
Prognose: Nicht so gut. Weil die Kneipen, die wir seit Jahrzehnten kennen, eben auch alle noch auf haben.

Graswurzelpalast
Bio, öko, regional und immer voll originell. Hier hat einer groß gedacht und gleich für 500 Gäste geplant, die sich Gemüsesmoothies und total frisch selbst gebackenes Brot mit Extraglücklichekühestreichkäse für teuer Geld gönnen. Der Clou: Die Tischdekopflanzen sind alle essbar und es gibt sogar WLAN.
Prognose: Typisches Pleiteprojekt. Viel zu viel Fläche, viel zu viel auf Lifestyle bedacht. Ein paar junge Mütter über den Nachmittag halten den Laden nicht am Laufen und im Ranz-Eck nebenan wird man für's halbe Geld wenigstens satt.

Noobscore
Die Location für Gamer und Introverts. Denn man möchte auch als Couchpotato sagen können, dass man am Wochenende noch bis morgens um vier unterwegs war - aber dann eben auf seine Weise. Im Noobscore gibt es Sessel und Sofas schön mit Trennwänden. Dahinter warten Monitore und Ethernetkabel auf mitgebrachte PCs, an denen LoL gezockt, Netflix gebingewatched oder Altcoins gemined werden können. Wer Pizza oder Mate braucht, schreibt dem Admin ein Ticket im hauseigenen Intranet. Einmal in der Woche wird der Laden defragmentiert.
Prognose: Die Kosten für Strom und Datenvolumen fressen die Gewinne fast komplett auf, den Rest hat der Besitzer für CS:GO-Skins verzockt. Die Community übernimmt und hält das Noobscore als Teil des Darknets am Leben - Zutritt nur via VPN. Lärmbeschwerden gibt es keine.

Verwaltbar
Nach Fertigstellung des neuen technischen Rathauses arbeiten gefühlt 10.000 Verwaltungsmenschen in der Innenstadt. Genau die gilt es abzuholen. Graue Wände und schallgedämmter Linoleumbelag schaffen eine extrem ruhige Atmosphäre. Mehrjährig durchgesessene Bürodrehstühle sorgen für eine lässige Sitzhaltung. An den Wänden lachen Kinderbilder aus der Heinrich-Heine-Grundschule und kleinformatige Familienfotos. Vor der Getränkebestellung kann lustvoll ein dreiseitiges Formular ausgefüllt werden. Die Verwaltbar macht sich rar, denn sie ist nur Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag geöffnet (Freitag ab um eins ist aber zu).
Prognose: Läuft, vorausgesetzt es gibt Spirelli mit Wurstgulasch

Trinkhalle 90er
Ehrlich wärt am längsten. Darum Schluß mit überbordenden Konzepten, die um die Kundenkunst buhlen. Hier wird nichts versprochen, was auch nicht gehalten wird. Ein paar Tische, ein paar Stühle, günstiges Bier einer einheimischen Brauerei und ein paar Erdnüsse. Vielleicht noch Wasser aus dem Hahn mit Gurke vom Feld. Nach der Schicht einfach an oder in die die Bude und ausspannen. Fertig. O.k., die Mär das Chemnitz vor allem eine Arbeiterstadt ist, findet so neues Futter.
Prognose: Kulturarbeit endet bekanntlich nie, deshalb treffen sich hier Künstler und Intellektuelle. Aus den Boxen kommt entweder Tocotronic mit „... das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut.“ oder Blumfeld mit „... Dummheit lass los.“ Ein Hotspot.

Bild: Rainer Sturm / pixelio.de

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