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Anti-Rassismus ist Schwerstarbeit

Interview mit Prof. Dr. Susan Arndt zu Sprache und Rassismus

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Diese Interview steht im Zusammenhang mit der Berichterstattung zu einem Verbrechen in Chemnitz und der danach von der Polizei veröffentlichten Täterbeschreibung. Es ist also sinnvoll, auch diesen Artikel zu lesen.

Prof. Dr. Susan Arndt lehrt englische und afrikanische Literaturen an der Universität Bayreuth. Ihre Publikationen zu Rassismus und Sprache, wie die im Unrast-Verlag erschienenen Bücher „Wie Rassismus aus Wörtern spricht: (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache“, Afrika und die deutsche Sprache: ein kritisches Nachschlagewerk“ sowie das bei C. H. Beck erschienene „Die 101 wichtigsten Fragen: Rassismus“, gelten als Standardwerke auf diesem Gebiet. Lars Neuenfeld sprach mit ihr über den Chemnitzer Fall.

Frau Arndt, die Chemnitzer Polizei veröffentlicht eine Medieninformation mit den Worten, der Täter „soll vom Typ her Nordafrikaner gewesen sein“. Bedient diese Formulierung ihrer Meinung nach rassistische Klischees?

Zuerst einmal möchte ich betonen, dass der gesuchte Mann ein schreckliches Verbrechen begangen hat. Dieses muss natürlich umgehend und restlos aufgeklärt werden und alles, was dazu beiträgt, ist wichtig. Das hat aus meiner Sicht absolute Priorität. Und deswegen finde ich diesen Aufhänger, um über Rassismus in den deutschen Behörden und Medien zu sprechen, an sich auch sehr unpassend. Ich habe immer ein Problem damit, schreckliche Vorfälle als Aufhänger zu nehmen, um über rassistische Polizeiarbeit zu sprechen. Es gibt ja leider sehr viele davon.

Auf einer anderen Ebene muss dann aber eben doch darüber nachgedacht werden, wie deutsche Behörden Augenzeugenbeschreibungen kommunizieren. Was ist gemeint, wenn die Polizei von einem „Typus Nordafrikaner“ spricht. Natürlich stehen wir da im Herzen von Rassentheorien und Kodierungen von Herkunft über Hautfarbe und Religion. Das ist das Kerngeschäft des Rassismus. Dieser ist dann am Werk, wenn Menschen nach ‚Rassen’ unterteilt werden.

Im Kern steht dabei die Ideologie, die so genannte „weiße Rasse“ als überlegen darzustellen, die allen anderen ‚Rassen’ überlegen sei. Von Beginn an haben diese Rassentheorien Afrika gezweiteilt. Das subsaharische Afrika wurde von dem „weißen Norden“ abgegrenzt. Denn der Rassismus konstruierte Afrika als Natur und daher kulturfreien Raum und dieses Narrativ ließ sich nicht auf Länder wie Ägypten oder Äthiopien anwenden. Daher der Ausschluss, die Teilung. Heute wird der Norden des afrikanischen Kontinentes im deutschen Afrikavokabular als islamisch kodiert. Wenn also die Kategorie „Nordafrikaner“ bemüht wird, stehen wir mitten in diesen Konstrukten um Hautfarbe und Religion.
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In der jetzigen Situation, in der Flüchtlinge über das Mittelmeer bei uns ankommen, beflügelt dieses Sprechen die rassistische Stimmungsmache dieser Menschen in Not. Nur allzu häufig wird in den rassistischen Hassreden betont, dass die Flüchtlinge eine sexuelle Bedrohung für dieses Land darstellen. Dieses Stereotyp hat eine lange Tradition in der traurigen Geschichte des Rassismus, in der umgekehrt die Vergewaltigung von Schwarzen nicht als Verbrechen galt, solange ihnen von weißen Gesellschaften keine Grundrechte eingeräumt wurden.

Wenn jetzt also ein Sexualverbrechen einem „Typ Nordafrikaner“ angelastet wird, dann trägt diese Pauschalisierung dazu bei, diese bestehenden Ressentiments zu verstärken. Ich finde es traurig, dass dieses schlimme Sexualvergehen eines Einzeltäters auf diese Weise dazu benutzt wird (ob bewusst oder ungewollt), andere Vergehen an der Menschlichkeit (nämlich verbale und körperliche Übergriffe gegenüber People of Colour) zu verstärken.

Ich denke auch nicht, dass die Täterbeschreibung „vom Typ her Nordafrikaner“ wirklich zur Aufklärung des Verbrechens beitragen kann. Das lässt sich gut nachvollziehen, wenn wir uns mal überlegen, welchen Beitrag die Täterbeschreibung „vom Typ her Nordeuropäer“ leisten könnte. Leider ist es am Ende des Tages so, dass diese Chemnitzer Täterbeschreibung wenig zur Aufklärung des Sexualverbrechens beitragen wird, dafür aber umso mehr der Hassstimmung einiger Deutscher gegen Flüchtlinge steigern wird.

Ziel vieler ihrer Publikationen ist es, auf den engen Zusammenhang von Rassismus und Sprache aufmerksam zu machen. Warum ist es so wichtig, eine rassismus- und diskriminierungsfreie Sprache zu etablieren?
Sprache ist eines unserer wichtigsten Güter. Nahezu alle Handlungen, die uns zu dem machen, was wir sind, vertrauen sich der Sprache an, im Guten wie im Bösen. Wir wissen alles, wie das, was andere über uns sagen, schmerzen oder erfreuen kann. Weder die Versklavung von Afrikaner*innen noch der Holocaust wären möglich gewesen, ohne dass Sprache diesen Verbrechen den Weg bereitet hätte. Zurecht verzichten wir heute auf Wörter dieser Zeit. Leider eben noch nicht auf alle. Wenn wir aber das Vokabular des Rassismus weiter benutzen, so lebt auch dieser fort. Das geht weit über rechtextreme Kreise hinaus.

Was glauben sie, warum tun sich Institutionen und Medien so schwer damit, eine rassismusfreie Sprache zu finden?
Die meisten in Deutschland lebenden Menschen wollen nichts mit Rassismus zu tun haben. Anti-Rassismus ist aber mehr als eine Willenserklärung. Es ist Schwerarbeit, die mit Fehlern und Schmerz einhergeht. Es ist so, dass in Deutschland rassistisches Vokabular noch immer in Zeitungsartikel, TV und Schulbüchern zu finden ist und sich viele weiße Deutsche nicht daran stören. Oft denken sie gar nicht darüber nach, welche Gewaltgeschichen in Wörtern wie dem N-Wort oder „Indianer“ stecken. Erst Reflektionen machen dies sichtbar, etwa wenn mensch die Augen schliesst und sich einen „I.“ im geistigen Auge vorstellt, ist erkennbar, wie viel Kolonialfantasien etwa eines Karl May oder James Fenimore Cooper in diesem Wort stecken. Nun könnten ja Journalist*innen oder Lehrer*innen sagen: „Autsch, das habe ich ja gar nicht gewusst.“ Das werde ich ab sofort ändern. Viele sind dazu aber nicht in der Lage. Siehe jüngst Denis Scheck, der sich allen Ernstes (obwohl leider in der Tradition der rassistischen Minstrel Shows) in die ARD stellt, um für den „Erhalt“ des N-Wortes in Pippi Langstrumpf zu kämpfen (einer Übersetzung aus dem Schwedischen, wie er wohl wissen sollte).

Was bewegt Menschen wie ihn für garstige Wörter aus gewaltvollen Zeiten zu kämpfen? Zunächst einmal ist es Ignoranz, die sich daraus nährt, dass Weiße wie Scheck nicht unter rassistischem Vokabular zu leiden haben. Vielleicht geschieht dieses aktive oder auch passive Befürworten rassistischer Vokabeln auch deswegen, weil alles andere bedeuten würde, sich einzugestehen müssen, dass die letzten Lebensjahre vom Sprachwind des Rassismus gezeichnet wurden. Das verursacht Scham und Angst und vielen scheint es da einfacher, Rassismus wegzuerklären und darauf zu beharren, dass das Wort keineswegs rassistisch gemeint sei. Bei Begriffen geht es aber nur bedingt darum, wie ich etwas meine. Etymologien und historische Bedeutungen konturieren Wörter weit jenseits individueller Intentionen.


Was würden sie im konkreten Fall Polizei und Medien empfehlen?
Medien leben von ihrer Wortwahl. Und eine Wahl gibt es immer. Die neuen deutschen Medienmacher haben exzellente Vorschläge gemacht, wie rassistisches Sprechen ohne großen Aufwand vermieden werden kann (http://www.neuemedienmacher.de). Auch Behörden wie die Polizei bewegen viel durch ihre Wortwahl. Ich denke, es ist wichtig, genau zu schauen, welche Information will ich kommunizieren und wie kann ich das tun, ohne unschuldigen Menschen zu schaden. In welchen Fällen sind Aussagen zu Hautfarbe oder Religion verlässliche Kontexte und damit hilfreich? Wie können Angaben zu Hautfarben oder Religionen sinnvoll geographisch verortet werden?

Bei dem Chemnitzer Straftäter könnte es sich tatsächlich auch um einen Europäer, Amerikaner oder Asiaten gehandelt haben. Die Auskunft er sehe so aus, als komme er aus Nordafrika, ist eine Vermutung, die nicht belastbar und daher auch nicht hilfreich ist. Denn Nordafrikaner ähneln sich im Aussehen ebenso wenig wie Deutsche es tun. Ich hoffe inständig, dass der Gewaltverbrecher schnell gefunden und bestraft wird. Aber bitte nicht auf Kosten anderer Menschen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto: Uni Bayreuth, Chr. Wißler


Erschienen im Heft 09/15

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