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Verschenktes Potenzial

Migranten machen einen Bogen um Chemnitz - die Stadt steuert diesem Trend nur langsam entgegen

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Zum Wesen eines Tabuthemas gehört es, dass es nur unzureichend oder gar nicht diskutiert wird. Die Förderung von Zuwanderung ist so ein Thema. In Zeiten von Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosigkeit kommt eine Debatte darüber politischem Selbstmord gleich. Chemnitz ist diesbezüglich keine Ausnahme, der Wunsch, ausländische Staatsbürger mögen sich vermehrt in Chemnitz niederlassen, findet keinen Eingang in Strategiepapiere und Stadtkonzepte.

Dabei ließe sich mit einem höheren Ausländeranteil – derzeit rangiert Chemnitz mit 2,7 Prozent nicht nur hinter den sächsischen Metropolen Dresden (ca. 4 Prozent) und Leipzig (ca. 4,7 Prozent), sondern auch hinter wesentlich kleineren Städten wie beispielsweise Zwickau (ca. 4,3 Prozent) – den demografi schen Problemen der Stadt entgegenwirken und dem Image der Modernität eine multikulturelle Komponente beimischen. Stattdessen stagniert der Ausländeranteil auf extrem niedrigem Niveau und beim Zuzug verzeichnet die Chemnitzer Ausländerbehörde sogar einen Rückgang. Warum zieht es immer weniger Migranten in die drittgrößte Stadt des Freistaates?

Geraldo Jose Mano ist einer von derzeit 6.533 Ausländern in Chemnitz. Der Angolaner kam noch vor dem Fall der Mauer aufgrund eines Regierungsabkommens der DDR mit seinem Heimatland nach Sachsen, arbeitete erst in Leipzig und zog später nach Chemnitz. Jose Mano ist Automechaniker und leitet nebenher den Verein der Angolaner in Chemnitz. Der Verein hat seit den neunziger Jahren die Hälfte seiner Mitglieder verloren, die meisten hätten Chemnitz in Richtung Ingolstadt, Regensburg oder München verlassen, arbeiten jetzt bei Audi oder BMW, berichtet er: „Es gibt nicht mehr genug Arbeit für Ausländer in Chemnitz, die Leute ziehen in den Westen“. Zuzug oder Familiennachzug findet nach seinen Erfahrungen fast gar nicht mehr statt. Ein Grund dafür sei neben der schwierigen Wirtschaftslage auch die Bürokratie. „Die Ausländerbehörde in Chemnitz ist manchmal sehr pingelig, das ist schlimmer als in Leipzig oder Dresden.“

Dass es Probleme mit der Ausländerbehörde gibt, scheint ein offenes Geheimnis in Chemnitz und ist wohl auch ein Grund dafür, dass Ausländervereine und freie Träger auf verstärktes interkulturelles Training der Behördenmitarbeiter im Integrationskonzept für Chemnitz drängen. Das Konzept, gemeinschaftlich ausgearbeitet von Vereinen, Migrantenvertretern und Verwaltung, soll im Herbst vom Chemnitzer Stadtrat verabschiedet werden. Inhaltlich sieht der Entwurf neben besagten Weiterbildungsmaßnahmen unter anderem die Einrichtung von Integrationsportalen und die mehrsprachige Präsentation der Stadt im Internet vor. Auch wenn das Integrationskonzept wohl noch einige Überarbeitungen erfahren wird, ist Carina Hoffmann von der AG In- und Ausländer e.V. zuversichtlich: „In dem Moment wo sich die Stadt auf dieses Konzept festlegt, ist das ein erster Schritt, Migranten in Chemnitz zu halten“.

Was den Zuzug von Ausländern betrifft ist die studierte Pädagogin eher skeptisch. Zwar sei in den letzten Monaten ein leichter Anstieg der Zahlen jüdischer Zuwanderer aus der Ukraine oder Weißrussland zu spüren gewesen. Dies ist aber wohl nur darauf zurückzuführen, dass deren Antragsbearbeitung auf Grundlage neuer gesetzlicher Verfahren bis jetzt angedauert hat. Der vormals starke Familiennachzug von Spätaussiedlern, die nicht eingebürgert wurden, hat die Ukrainer zur größten ausländischen Gruppe in Chemnitz werden lassen, es folgen Vietnamesen und Migranten aus der Russischen Föderation. Mittlerweile ist der Migrationsprozess aber auch hier nahezu zum Erliegen gekommen. Entgegen diesem Trend bewegt sich derzeit nur die Zahl Asylsuchender, speziell aus dem Irak und Afghanistan. Deren Zuwanderung ist Hoffmann zufolge aber eher von der politischen Großwetterlage abhängig, zudem verbleiben Asylbewerber zumeist nur kurzfristig in Chemnitz. Für die Zukunft fällt die Prognose deswegen insgesamt zurückhaltend aus: „Die großen Zuwanderungsströme wie in den neunziger Jahren wird es nicht mehr geben“.

Während die Stadt zumindest auf dem Weg ist, die Integration der Ausländer in Chemnitz zu fördern und damit die Grundlage für deren dauerhaften Verbleib zu legen, geht die Technische Universität in die Offensive. Im Rahmen einer Schnupperwoche Anfang Juli konnten 30 tschechische Schüler der TU einen Besuch abstatten. Laut der Prorektorin für Marketing und Internationales, Prof. Dr. Cornelia Zanger, sei es das Ziel gewesen, „Schüler tschechischer Gymnasien für ein Studium in Chemnitz zu begeistern“. Insgesamt richtet die Uni ihren Werbefokus verstärkt auf das Ausland, speziell die Tschechische Republik. Auf dieses Beispiel offensiver Zuwanderungsförderung angesprochen, entgegnet die Chemnitzer Ausländerbeauftragte, dies sei einzig und allein eine Angelegenheit der Universität, seitens der Stadt gebe es derzeit keine vergleichbaren Bemühungen.

In letzter Konsequenz wird diese Haltung zu einem weiteren Rückgang des Ausländeranteils in Chemnitz führen. Für einen Migranten wird die Entscheidung zur Wanderung immer auch durch das Vorhandensein eines sozialen Netzwerkes am möglichen Zielort beeinfl usst. Verkleinert sich das soziale Netzwerk vor Ort, durch beispielsweise Abwanderung, geht laut soziologischen Untersuchungen auch die Zuwanderung zurück. Der Prozesse verselbständigt sich, die Zuwanderungszahlen fallen schlussendlich gegen null.

Das wiederum dürfte nicht im Interesse von Chemnitz sein. Gegen die primären Probleme der Stadt – Schrumpfung und Überalterung – kann der Zuzug von Ausländern eine probates Mittel sein. Vielleicht ist die Zeit gekommen, mit einem Tabu zu brechen.

erschienen im 371 Stadtmagazin 08/2009
Text: Benjamin Lummer

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