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„Von europaweiter Relevanz“

Ein Ur-Saurier könnte den Versteinerten Wald neu beleben

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Alter: 290 Millionen Jahre, Größe: etwa 30 cm, wohnhaft: Versteinerter Wald Chemnitz. Das sind die bisher einzigen bekannten Daten über den Ende September in Chemnitz gefunden Ur-Saurier. Die Entdeckung bescherte der Stadt deutschlandweite Aufmerksamkeit, lokale und überregionale Medien berichteten umgehend. In der Beurteilung schienen sich alle sofort einig: „Spektakulärer Dinosaurierfund“ titelte Focus Online, „Saurierfund lässt Forschern den Atem stocken“ die Freie Presse. Doch wie bemerkenswert ist der Dinofund tatsächlich?

Für Ronny Rößler, Direktor des Museums für Naturkunde in Chemnitz, besteht kein Zweifel an der Ausnahmequalität des Fundes. Bis dahin habe man gerade einmal ein paar Rückenwirbel eines Ursauriers in Oberlungwitz ausgegraben, der jetzige Fund sei da schon etwas ganz anderes: „Wir haben fast ein komplettes Vieh mit Schädel, Wirbelsäule, Rippen und Oberarmknochen!“ Zudem könnte diese Entdeckung Rößler zufolge zu völlig neuen Erkenntnissen über das Ökosystem und die Nahrungsketten im Versteinerten Wald und der Region überhaupt führen.

Derzeit wird das Skelett im Naturhistorischen Museum Schleusingen getrocknet und präpariert. Etwa 40 Kilometer nördlich von hier befindet sich die wohl bedeutendste Grabungsstätte der Bundesrepublik, der sogenannte Bromacker bei Tambach-Dietharz. Hier wurden schon eine Reihe von Wirbeltieren freigelegt, wie der Saurier in Chemnitz stammten auch sie überwiegend aus dem Perm, der Periode also die vor etwa 300 Millionen Jahren begann und vor 250 Millionen Jahren endete. In Schleusingen ist man demzufolge an spektakuläre Funde gewöhnt – und trotzdem glauben die hiesigen Forscher, mit dem Ur-Saurier aus Chemnitz eine außergewöhnliche Attraktion vorliegen zu haben. „Wir haben dort nach pflanzlichen Resten gegraben, dass wir dort nun tierisches Leben gefunden haben, ist fantastisch! Das ist auf alle Fälle ein Sensation!“, berichtet der Direktor des Museums Ralf Werneburg. Von dieser Art gebe es nur in etwa vier vergleichbare Funde in Deutschland, die Entdeckung sei also von europaweiter Relevanz.

Prof. Dr. Arnold Müller von der Geologisch-Paläontologischen Sammlung in Leipzig möchte nicht so recht in den Lobgesang einstimmen. Er habe den Fund noch nicht gesehen, könne sich also auch kein abschließendes Urteil erlauben, aber: „Ein Reptil an sich aus dieser Zeit ist nun nicht so sensationell.“ Dass die Entdeckung derzeit für Furore sorgt, kommentiert er vielsagend mit den Worten: „Die Welt lebt eben von Sensationen.“ Müller steht mit seiner Skepsis allerdings weitestgehend alleine da, die meisten der befragten Forscher zollen dem Fund eher Bewunderung, so auch Oliver Rauhut, Saurier-Experte bei der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie: „Reptilien aus dem Perm sind schon etwas Besonderes im westlichen Europa.“ Und auch Helmut Keupp, Professor für Paläontologie an der FU Berlin, bestätigt die Außergewöhnlichkeit der Entdeckung: „Es ist immer etwas Besonderes, wenn man Skelettreste findet, die zusammenhängen. Das ist in Deutschland ausgesprochen selten.“


Die Forscher-Kollegen geben Rößlers Einordnung des Fundes also überwiegend Recht – eine Erfahrung, die er Anfang Oktober auch auf einer Tagung der Paläontologischen Gesellschaft in Bonn machen konnte: „Die Leute kommen zu mir und beglückwünschen mich – da schmunzelt man schon ein bisschen und begreift, was so ein Fund für eine Stadt bedeutet.“

Die Stadt, das ist Chemnitz, die Stadt der Moderne. Die Stadt, die mit einem Slogan wirbt, der bei den meisten Einwohnern eher stirnrunzelndes Staunen als Begeisterung hervorruft. Als Alleinstellungsmerkmal war ihr der Versteinerte Wald –das Fundgebiet des Ur-Sauriers – offensichtlich nicht außergewöhnlich genug, dabei hatte Rößler, der als Museumsdirektor auch Angestellter der Stadt ist, nach eigenem Bekunden schon vor mehr als zehn Jahren die Werbetrommel dafür gerührt. Die momentane deutschlandweite Aufmerksamkeit für seine Arbeit scheint ihm nachträglich Recht zu geben. Auf die Stellung des Versteinerten Waldes in Chemnitz angesprochen, reagiert er leicht trotzig: „Der Versteinerte Wald ist nicht nur der Spleen von ein paar Paläontologen, er hat eine deutliche touristische Relevanz. Wenn man sich aus Kiel, Reutlingen und Ulm – wir hatten sogar ganze Reisebusse aus Kaiserslautern da – auf den Weg hierher aufmacht, das hat eine Größenordnung, die noch nicht jeder in Chemnitz begriffen hat.“

Auf die Chemnitzer Bevölkerung lässt er allerdings nichts kommen, die habe den Wert des Waldes erkannt und zolle ihm und seinem Team durch zahlreichen Besuch und Mithilfe bei den Ausgrabungen Respekt. Enttäuscht zeigt sich der Museumsdirektor dagegen von den Repräsentanten der Stadt: „Wenn Leute, die in Chemnitz was zu sagen haben, durch ihre Präsenz gezeigt hätten, dass sie unsere Arbeit zu schätzen wissen, dann wäre das ein wichtiges Signal gewesen.“

Für die Zukunft hegt Rößler trotzdem große Pläne. Mit Hilfe eines Fensters in die Erdgeschichte sollen Besucher vor Ort die Ausgrabungen beobachten können, ein Entdeckerpfad durch Chemnitz soll den Versteinerten Wald an andere touristische Ziele anbinden. Bei der Umsetzung könnte ihm der kleine Ur-Saurier behilflich sein. Voraussichtlich Anfang kommenden Jahres kommt er nach Chemnitz zurück und wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Besucher werden dann wahrscheinlich noch zahlreicher ins Museum und zum Ausgrabungsfeld strömen. Und wer weiß, vielleicht erblickt der eine oder andere auf der Fahrt nach Chemnitz schon bald den kleinen Saurier auf den Autobahnschildern der Stadt – zusammen mit dem Versteinerten Wald natürlich.

Text: Benjamin Lummer

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