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Beate und ein Wandgemälde aus ferner Zeit

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Wer einen Nachmittag in der Boulderhalle auf der Altchemnitzer Straße verbringen möchte, schlendert auf dem Weg dorthin unverhofft an einem Wandbild von Will Schestak aus dem Jahr 1959 vorbei. Direkt am Treppenaufgang zum ehemaligen Speisesaal des VEB Spinnereimaschinenbaus prangt groß, in mittlerweile blassen Farben, ein Prachtstück schönster DDR-Auftragskunst.

Zu sehen ist das realistische Abbild eines ganz normalen sozialistischen Arbeitstages in diesem Betrieb. Ausländische interessierte Delegationen aus allen Ländern der Welt sind zu Gast. Arbeiter und Wissenschaftler diskutieren auf Augenhöhe, gute Leistungen werden sofort erkannt und sofort ausgezeichnet. Keine der Personen ist dick oder dünn, Frauen und Männer unterscheiden sich höchstens durch ihre Kleidung, die Frauen tragen alle Kleider oder Röcke, die Männer Hosen. Es ist ein tolerantes, gleichberechtigtes Miteinander von 15 Frauen und 15 Männern. Sie schauen ernst, niemand lacht, die Dinge wollen in Ruhe bedacht sein und obwohl alle miteinander interagieren, schaut niemand jemandem direkt in die Augen.
Nur eine Frau in grünem Jäckchen und gelbem Rock kehrt allen den Rücken, behält im Auge, was hinter den Menschen passiert. Dort arbeiten Textilmaschinen, bestückt mit Spindeln über Spindeln in unzählbarer Menge.

Die Frau hat ein Auge auf die Maschinen, aber sie muss nichts tun und kann ihren Gedanken nachhängen. Wie schön, dass es diese Maschinen gibt, denkt sie, wie schön, dass ich nicht mehr diese durch und durch weibliche Tätigkeit ausüben muss, Spinnen von früh bis spät.
Spinnen, das mich im Hause hielt, Spinnen, das mich vom Lesen abhielt, Spinnen, das in den Kinder- und Hausmärchen die häufigste Tätigkeit darstellte. Spinnen, das sicherstellte, dass ich konzentriert arbeitete und damit meinen Fleiß und meine Tugendhaftigkeit unter Beweis stellte. All das Spinnen, Weben, Sticken, Häkeln, Klöppeln, das so viel Zeit in Anspruch nahm, dass einer Versuchung zu folgen unmöglich war. Das alles muss ich nicht mehr, wie schön, denkt die Frau.

Ob die Angestellten des VEB Spinnereimaschinenbaus überhaupt etwas dachten, wenn sie dem Speisesaal zustrebten, um Schnitzel, Kartoffeln und Gurkensalat vom, in drei Segmente geteilten, Kunststoffteller zu essen, darüber ist nichts bekannt. Genauso wenig weiß man, was die Mitarbeiter des Großhandels für asiatische Bekleidung denken, die jetzt im ehemaligen Speisesaal arbeiten. Ich denke, schön, dass es noch da ist, dieses Wandgemälde aus einer fernen Zeit und dass ich mal wieder was Sticken oder Häkeln könnte, nur so zum Spaß.

Text: Beate Über Foto: Maik Irmscher


Ecken und Enden: Der schlafende Riese
In zehn (oder mehr) aufeinander folgenden Ausgaben wollen wir 100 Geschichten über Chemnitz erzählen. Dabei richten wir unseren Blick auf Mikroareale, und zwar von den Orten aus, die das 371 sowieso fokussiert: den Orten der Kultur und der Zerstreuung. Teil Fünf: Das Gelände der ehemaligen Spinnereimaschinenfabrik.

Lisa zwischen den Büchern
Der eine schätzt die Freiheiten und den Charme der Brache, der andere erinnert sich gern an schöne Zeiten der Chemnitzer Industriekultur: Timo Stocker und Rainer Schulze sind beide schon lange Zeit mit dem Spinnereimaschinenbau verbunden.

Zwei Literaten zu Gast in Chemnitz
Für die Arbeit an einem Literaturmagazin* sind wir aus Frankfurt a.M. nach Chemnitz gekommen. Wir wollen Eindrücke sammeln von Spuren eines vergangenen Systems und dem Übergang in die alternativlose Welt des Spätkapitalismus.

Szymmi blickt zurück mit Harald Szymanski
Wie es wirklich war, damals in der Spinnereimaschinenfabrik zu arbeiten und was passierte, wenn es Ketchup im Betriebkonsum gab, hat Szymmi bei Harald Szymanski erfragt.

Michael und das Treffen der Riesen
Sollte man schlafende Riesen wecken? Unbedingt, meint zumindest ein EU-Projekt, innerhalb dessen sich auch das Gelände des Spinnereimaschinenbaus in die Phase des traumbelebten REM-Schlafs begeben soll.

Jan und die Welt der Arbeit
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Szymmi blickt aufs Jetzt mit Klaus Hirsch
Was die Spinnwerk GmbH[&]Co KG mit der Chemnitzer Brache alles vor hat, hat Szymmi im Gespräch mit Geschäftsführer Klaus Hirsch herausgefunden.

Nina kennt keine Gnade
Die Lasertag-Halle im Spinnereimaschinenbau ist beeindruckend groß und verwinkelt. Es ist dunkel und die Wände sind mit Neonstreifen beklebt. Das Schwarzlicht erhellt alles in einem eigenartigen Licht.

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