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Wie im (Katastrophen)-Film

Chemnitzer Kinos zwischen Hoffen und Bangen

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Rosig war die Situation der deutschen Kinolandschaft schon länger nicht mehr. Stetig sinkende Besucherzahlen, Schließungen aufgrund steigender Mieten in den Großstädten und die Streaming-Konkurrenz ... mit Film auf großer Leinwand sein Geld zu verdienen, wurde in den vergangenen Jahren immer schwieriger. Die Chemnitzer Kinos haben sich diesem bundesweiten Trend erfolgreich entgegengestemmt. Doch nun sind sie alle geschlossen. Besteht jetzt die Gefahr, dass die Säle für immer geschlossen bleiben?

Unzufrieden konnte Thilo Götz vom Clubkino Siegmar bis vor kurzem nicht sein. Gerade erst im Januar hat er mit 56.000 Zuschauern ein neues Besucherhoch für 2019 verkünden können – das Kino sei so beliebt wie nie. Nach einer Übersicht der Website Testberichte.de landete das Haus am Rande von Chemnitz sogar auf Platz 3 – bundesweit. Damit stemmt sich das Programmkino gegen den bundesdeutschen Trend: Zwar war 2019 insgesamt besser als im Vorjahr. Noch 2018 brachte einen dramatischen Absturz im Ticketverkauf und gilt als das schlechteste Kinojahr seit 1992.

Auch das Kino Metropol in der Innenstadt konnte sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Unter der Leitung von Maret Wolff stiegen die Zahlen jedes Jahr und bei oben genannter Bestenliste platzierte sich das Haus auf Nummer 19 – noch vor großen Kinos mit herausragendem Ruf wie dem International in Berlin oder dem Programmkino Ost in Dresden.

Und auch im Weltecho – mit seinen etwa 40 Plätzen eher der kleine Bruder in der Chemnitzer Kinolandschaft – „verdient man mit dem Kinogeschäft zwar noch nicht wirklich was“, wie Leiter Ingo Scheller sagt – wollte aber das Angebot im laufenden Jahr deutlich ausbauen. Mit all diesen guten Nachrichten ist es erst einmal vorbei. Spätestens seit 16. März sind alle Säle verweist, alle Tore geschlossen. Die Kinobetreiber bangen um ihre Zukunft.

„Noch kurz zuvor hatten wir die Bude voll“, erinnert sich Thilo Götz. Auch wenn sich die Anrufer gehäuft haben, die sich nach einer möglichen Schließung wegen Corona informierten. Sein Aprilprogramm hatte er fertig, freute sich auf Highlights wie „Narziss und Goldmund“ oder „Die Känguru-Chroniken “. Im Weltecho kamen die Absagen sogar schon eher. „Geplant war ein Auftritt der Jewish Monkeys Anfang März – die haben uns abgesagt. Sie durften gar nicht mehr einreisen“, so Ingo Scheller. Wichtige Veranstaltungen wie der Aktionstag gegen Rechts oder das Programm zu den Tagen der jüdischen Kultur – ersatzlos gestrichen. Auch im Metropol war das Aprilprogramm schon fast gedruckt. „Bei uns stand eine Premiere mit dem neuen Film von Claus-D. Härtel zum Hotel Corola an – das wäre ein ausverkaufter Saal gewesen“, so Maret Wolff. Weitere Filmstarts großer Titel wie „The Gentlemen“ und das Osterprogramm für die Chemnitzer Ferienkinder fallen aus.

„Die Situation ist existenzbedrohend. Bisher laufen beinahe alle Kosten weiter und das bei Null Einnahmen“, so Maret Wolff. Pacht, Nebenkosten, Stromabschläge – all das muss erwirtschaftet werden, städtische Förderung gäbe es keine. Ihre feste Mitarbeiterin habe sie in Kurzarbeit geschickt – der Antrag bei der Arbeitsagentur läuft. Problematisch ist die Situation für alle geringfügig Beschäftigten im Metropol – denn die werden von den staatlichen Hilfsprogrammen bisher nicht berücksichtigt. „Unsere Studenten sind eine wichtige Säule unseres Familienbetriebes – sie so ganz ohne Kompensation stehen zu lassen, kann nicht richtig sein“, so Maret Wolff. Gleichzeitig muss sie auch das Einkommen für sich und ihre Familie irgendwie sicherstellen – schließlich sind die vier extra für das Projekt Metropol aus Berlin nach Chemnitz gezogen. Fest steht, so sagt sie: „Ohne Unterstützung kann ich das Haus nur wenige Monate halten.“

Thilo Götz ist ein wenig entspannter - immerhin könne er nun das erste Mal seit 25 Jahren im Garten sitzen und sich keinen Kopf machen, ob ihn das Kino heute braucht. „Wir werden bestimmt nicht gleich Pleite gehen“, sagt er. Und denkt dabei aber an einen Veranstaltungsstopp bis Ende April oder Mai. Große Kosten fallen auch erstmal nicht an: Das Haus, in dem Clubkino und Filmwerkstatt untergebracht sind, gehört der Stadt Chemnitz. Für die Sportvereine hat sie bereits den Verzicht der Miete in Aussicht gestellt – bleibt zu hoffen, dass das auch für Vereine wie die Filmwerkstatt gelten wird. Offiziell ist das aber noch nichts beschlossen. Klar ist: Die städtische Förderung bleibt bestehen. Doch der Eigenanteil, den das Clubkino jedes Jahr erwirtschaften muss, sind 75 Prozent der Kosten - „also spätestens Ende Juni ohne Einnahmen kommen auch wir an unsere Grenzen“, so Götz. Deshalb will der Verein seine fünf Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken.

Auch Ingo Scheller vom Weltecho wird die Kurzarbeiterregelung nutzen. Ob die GGG ihm die Miete erlassen wird, konnte er noch nicht mit Gewissheit sagen. „Doch auch wenn wir die Betriebskosten reduzieren können – gerade ist Party-Hochzeit. Das Geld, dass wir jetzt verlieren, wird uns das ganze Jahr fehlen.“ Mindestens 10.000 Euro Minus nur bis Mitte April rechnet er - „länger als zwei Monate und dann wird es kritisch“, sagt Scheller. Denn auch er kann zwar auf einen städtischen Zuschuss bauen – muss aber etwa 70 Prozent seiner Ausgaben selbst erwirtschaften.

Wie das einzig verbliebene Chemnitzer Multiplex mit der Situation umgeht, ließ sich nicht in Erfahrung bringen. „Leider sind wir mit unseren verbliebenen Personalressourcen im Moment nicht in der Lage, Presseanfragen zu beantworten“, lässt Bernd Karnatz, Theaterleiter des Cinestar im Roten Turm vermelden. Außerdem gäbe es zum jetzigen Zeitpunkt auf zahlreiche Fragen noch gar keine Antworten.

Und tatsächlich ist insbesondere für die Wirtschaftsbetriebe unter den Kinos die Lage noch unklar. Gerade erst wurde diskutiert, ob Mieten oder Pacht trotz Betriebsschließung zu zahlen sind. Große Konzerne wie Adidas oder Deichmann haben sich da mit unüberlegten Ankündigungen einen Shitstorm an Land gezogen. Doch wer nun wann und in welcher Höhe für die Ausfälle etwa an Miete aufkommen soll, ist nicht geklärt. Fest steht, dass dem Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF Kino) zufolge die deutschen Kinos derzeit jede Woche etwa 17 Millionen Euro Verlust machen. Auch die Soforthilfe des Bundes, die die Unternehmen vor der Insolvenz durch laufende Kosten retten soll, deckt nicht alles ab. „Leider ist das lange noch nicht ausreichend, weil es ganz viele Firmen und Unternehmen gibt, die weit über zehn Personen beschäftigen und die in der gleichen Misere wie alle anderen sind“, so Christine Berg, der Vorsitzenden von HDF Kino, in einem Interview mit NDR Info.

Dabei muss man gar nicht mit den ganz großen Zahlen jonglieren, um den Mangel am Förderprogramm zu erkennen. „Laut den Vorgaben können wir 9.000 Euro für drei Monate beantragen – doch das deckt nicht die Kosten für diese Zeit“, so Maret Wolff vom Metropol. Die großzügigen Kreditangebote des Landes Sachsen sind für sie – wie für viele Unternehmen – keine echte Hilfe. „Selbst zinslos für mehrere Jahre müssen wir diese Kredite trotzdem erwirtschaften. Dabei wissen wir doch noch gar nicht, wann wir überhaupt wieder öffnen dürfen.“ Deshalb bittet sie für das Metropol auch um private Spenden und hat eine Crowdfunding-Kampagne auf startnext gestartet. Unter den bisherigen Spendern sind neben Chemnitzern auch Kinofreunde aus Dresden und selbst betroffene Kinobetreiber aus Leipzig und Berlin. „Die Solidarität untereinander ist wirklich toll. Das macht Mut für die kommende Zeit“, so Maret Wolff.

Wann diese Zeit vorbei ist – dies ist der entscheidende und gemeinsame Nenner aller Chemnitzer Kinos. Ihnen steht das Sommerloch bevor, für Kinos sowieso Saure-Gurken-Zeit und eine wirtschaftliche Belastung. „Entscheidend wird sein, ob unsere Zuschauer danach wiederkommen. Nicht weniger sondern besser mehr. Dann überstehen wir auch diese Krise“, so schaut Thilo Götz hoffend in die Zukunft.

Text: Peter Altmann

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