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Vor gut einem Jahr startete die GGG ihr "Brühlprojekt". Mit der Idee, Neumietern von Wohnungen gleichzeitig Ladenflächen zum quasi Nulltarif anzubieten, sollte der verwaiste Boulevard wieder aufleben. Nun zieht das städtische Wohnungsunternehmen eine erste positive Bilanz: Zwölf Wohnungen und vier Läden sind vermietet. Und doch regt sich Unmut im Chemnitzer "Szene"milieu.
Zu langsam, zu halbherzig sei das Projekt angegangen worden, so der Tenor bei Diskussionrunden anlässlich des Kulturevents "Begehungen" im September und wenig später beim Belebungsprojekt "Weckruf Chemnitz" im Cube Club. Insbesondere alternativen Wohnprojekten sei kein Gehör geschenkt worden und überhaupt sei man in der Mieterauswahl viel zu selektiv. Doch dagegen verwehrt sich GGG-Pressesprecher und Mitinitiator Stefan Reisz, kann aber zumindest den Unmut nachvollziehen. "Ich weiß, dass der Brühl nach wie vor ein sensibles Thema bei den Chemnitzern ist...Ich habe deshalb von Anfang an gesagt: wir wollen es versuchen. Die Situation aus unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen, einer zum Zöllnerplatz immer schlechter werdenden Bausubstanz, dem Baurecht und den bisweilen erst zu ergründenden Absichten der Mietinteressenten ist nicht leicht. Wir können keine Häuser vergeben, die baufällig und nicht sicher sind. Ich finde es gut, wenn sich junge Leute für ihre Stadt engagieren. Es ist aber illusorisch, über den Brühl zu laufen, getreu dem Leitsatz ´Welches Haus nehmen wir denn´." Gerade für alternativen Wohnprojekte findet Reisz eindeutige Worte. "Wer mit einer klaren Idee kommt und uns deutlich macht, wer Ansprechpartner ist und wo letztendlich die Mietzahlung herkommt, kann mit unserer Unterstützung rechnen. Autonome Häuserzeilen à la Hafenstraße sind für uns aber absolut kein Thema." Ähnlich klar legt er die Hindernisse für ein "szeniges" Kneipenviertel Brühl dar. "Wir müssen uns an das sächsische Baurecht halten und das bestimmt nun mal eindeutig, was alles zu erneuern ist. Wenn wir das tun, landen wir bei ganz normalen Innenstadtmieten und dafür mietet auf dem Brühl im Moment wohl kaum einer." Ergo: Die leerstehenden Läden oder ehemaligen Kneipen einfach für neue Wirte und Gäste aufzuschließen, ist unmöglich.
Für manchen ist das ein Schuß Realität zu viel. Schließlich würde es in Berlin, Dresden oder Leipzig genug Clubs geben, die das Gegenteil beweisen. Doch hier heißt das Zauberwort meist "Bestandsschutz", was bedeutet, dass die Location noch mit Genehmigungen aus wilden Wendezeiten laufen. Beispiele dafür gibt es übrigens auch noch in Chemnitz, doch da auf dem Brühl schon vor Jahren alles schloß, ist der Bestandsschutz hinfällig. Damit geht so manchem Luftschloss von Neustadt-Verhältnissen auf dem Brühl die Luft aus. Der oft bemühte Vergleich mit dem Dresdner Szeneviertel hinkt an einem wesentlichen Punkt: Die Neustadt entwickelte sich Anfang der Neunziger Jahre, einer goldenen Ära mit wenig Gesetzen und viel Freiraum. Heute gibt es in Dresdens Vorzeigeviertel kaum noch billige Wohnungen und Kneiper zahlen oft mehr Miete als Chemnitzer Innenstadtwirte. Weit größere Chancen auf günstigen Freiraum für eigenen Ideen haben da weniger bauintensive Vorhaben wie Galerien, Ateliers oder Läden mit kreativen Konzepten. Denn für Stefan Reisz steht fest: Das Brühlprojekt läuft weiter. Zusätzliche Häuser, wie das Eckhaus Brühl 51, werden in das Projekt einbezogen. Weitere Läden und mindestens acht Wohnungen sind im Ausbau. Außerdem laufen intensive Gespräche mit Privateigentümern, die für das Projekt begeistert werden sollen. Für weitere GGG-Objekte sucht man nach Investoren, die dem Konzept aufgeschlossen gegenüber stehen. Der Vorstellung einer generalstabsmäßigen Planung für eine Szenemeile erteilt man aber nicht nur in der GGG-Zentrale eine Abfuhr. Auch Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (siehe nebenstehendes Interview) sieht darin keine Lösung. Sie setzt auf die Kreativität von jungen Menschen und verspricht zumindest, diese nach Kräften zu unterstützen. Initialzündungen aus dem Rathaus sind hingegen nicht zu erwarten, selber machen heißt die Devise. Das gilt übrigens nicht nur für langfristige Ladenprojekte, sondern vielleicht sogar noch stärker für temporäre Kunst- und Kulturevents. Diese könnten den langen Weg zum lebendigen Brühl entscheidend verkürzen und prägend wirken. Stefan Reisz findet auch hier unmissverständliche Worte: "Wir haben als GGG solche Projekte immer unterstützt und werden es auch weiter tun." Also, Unmut ist fehl am Platz. Der Brühl ist ein Ort kreativer Möglichkeiten. Und vielleicht ist es ja sogar besser, dass er das noch auf längere Sicht bleiben wird.
Brühlprojekt
Korrekt heißt das Konzept "Arbeiten und Wohnen am Brühl". Wer hier wohnen will, zahlt drei Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Die GGG richtet die Heizung, die Elektro- und Sanitäranlagen her, um den restlichen Ausbau muss sich der künftige Mieter selbst kümmern. Wer hier nur arbeiten will, zahlt 1,50 Euro pro Quadratmeter Gewerbefläche. Die GGG setzt Elektro- und Sanitäranlagen sowie die Heizung instand und die Mieter besorgen den sonstigen Ladenausbau nach ihren Wünschen selbst. Und wer beides möchte, also Arbeiten und Wohnen am Brühl, zahlt die drei Euro Wohnungsmiete, einen symbolischen Euro für die Ladenmiete und dessen Betriebskosten. Was die Instandsetzung betrifft, so gilt das Gleiche wie für die beiden anderen Mietangebote.
Begonnen wurde das Projekt in den Häuser Brühl 41 - 49. im nächsten Jahr soll das Eckhaus Brühl 51 dazukommen.
Erschienen im 371 Stadtmagazin 12/06