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Der Weg ist das Ziel

Wie Chemnitz versucht, sein Fahrrad-Problem zu lösen

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Chemnitz und Fahrrad, das sind ins leere laufende Radwege, unbezwingbare Hügel, für Tour de France bekleidete Sportradler und immer häufiger elektrisch angetriebene Ausflügler auf dem Chemnitztalweg und dem Radweg entlang des Kappelbaches. Ist aber Alltagsradeln auch für Chemnitz denkbar?

„Ich würde nie die Reichsstraße hochfahren, weil ich da Angst um mein Leben habe.“ „Die Wege sind schlecht markiert.“ „Die Kaßberg-Auffahrt, da wird sehr knapp überholt.“ „Der gesamte Innenstadtbereich ist komplett ungünstig.“ „An der Baustelle Zschopauer Straße Richtung Bahnhofstraße ändert sich gefühlt jeden Tag die Verkehrsführung.“ „Und dann kommen noch die vielen gepflasterten Stellen dazu, die gerade bei Regen und im Herbst sowieso kritisch sind.“

Fragt man Chemnitzer Radfahrende, wie sie ihre Stadt auf dem Zweirad erleben, dann bekommt man genau solche Aussagen. „Auch solche“, betont Maria Kreußlein, die gemeinsam mit ihren Kollegen an der TU Chemnitz 300 Kurzinterviews auf Chemnitzer Straßen führte. Mit der „DRadEsel-Befragung“ untersucht ihre Forschergruppe die Verkehrssicherheit an urbanen Knotenpunkten. „Ich fahre selbst sehr gern und viel mit dem Rad und habe dabei ziemlich viele potenziell gefährliche Situationen beobachtet“, so Kreußlein. Doch dieses Gefühl will die Forscherin nun verifizieren. Die Ergebnisse der Studie sollen helfen, den Radverkehr sicherer zu machen. „Denn ganz klar ist: Je sicherer die Radinfrastruktur ist, umso eher setzen sich Menschen auch im Alltag aufs Rad“, sagt Maria Kreußlein.

Doch wo steht Chemnitz heute in Sachen Radsicherheit? Tatsächlich schneidet Chemnitz im Fahrradklimatest des ADFC mittelmäßig ab. Kein Grund, sich zu verstecken also? „Stimmt schon, Chemnitzer Radler haben ihre Wege in der Stadt gesucht und gefunden und gehen Gefahren möglichst aus dem Weg. Doch fragt man mal Radfahrende, die das erste Mal in Chemnitz unterwegs sind, fällt zuallererst auf: Radwege hören einfach unvermittelt auf“, sagt Thomas Lörinczy vom Chemnitzer ADFC. „Die Wegeführung ist Stückwerk und das leider schon viele Jahre.“

Gefährliches Stückwerk
Das sollte eigentlich schon ganz anders aussehen. Im Jahre 2009 hat sich die Stadt eine Radverkehrskonzeption gegeben und wollte den Anteil des Radverkehrs an den täglichen Wegen ihrer Bewohner bis 2020 auf 12% erhöhen – eine Verdoppelung gegenüber 2008. „Das konnten wir nicht erreichen, aktuell liegen wir bei etwa 7%“, gesteht Alexander Kirste, Leiter der Abteilung Verkehrsplanung im Tiefbauamt der Stadt Chemnitz. Obwohl so einige Lücken geschlossen wurden. „Ganz aktuell etwa die dringend benötigte Fortführung des Radweges an der Zwickauer Straße entlang des Kappelbaches“, so Kirste.

Ihm und seinen Kollegen sind die noch bestehenden Lücken in der Stadt durchaus bewusst und ein Dorn im Auge – man wäre gern schon weiter mit dem Ausbau. Doch zum einen sei der Verkehrssektor seit Jahrzehnten unterfinanziert. Und dann ist da noch die Flächenkonkurrenz: ÖPNV, PKW, Fußgänger und Räder brauchen ihren Platz. Spätestens mit dem Trend zum E-Bike und Pedelec sind die Räder in den Geschwindigkeiten den PKWs näher als dem Fußgänger. „Deshalb ist eine Lösung, wo nicht genug Platz für einen Fahrradweg ist wie etwa auf der Kassberg-Auffahrt, die Räder auf die Straße zu leiten und dort mit Überholverbot für gegenseitige Rücksichtnahme zu sorgen“, so Kirste.

„Unglücklich“ nennt indes Thomas Lörinczy genau diese Lösung. „Wer da mit dem Fahrrad hochfährt und kein passionierter Sportradler ist, kommt vielleicht auf 15 km/h. Da können Sie mal fünf Minuten lang beobachten, wie viele Autofahrer sich auf das Tempo runterbremsen und vom durchgängigen Mittelstreifen vom Überholen abhalten lassen...“[nbsp] Er hätte sich zumindest bergan und in der S-Kurve einen Fahrradweg gewünscht. Helfen würde es den Stadtplanern auch, wenn sie auf engen Straßen wie auf Sonnen- und Kassberg die innerstädtische Höchstgeschwindigkeit von 50 auf 30 km/h reduzieren könnten. „Solche Maßnahmen erlaubt uns das Bundesverkehrsministerium aber nur unter sehr besonderen Voraussetzungen“, erklärt Kirste. Deshalb prüfe man, ob Nebenstraßen als ausgewiesene Fahrradstraßen Entspannung in den Konflikt bringen können.

Mobilitätsmanagement und Modellrouten
Aktuell arbeiten Alexander Kirste und sein Team an einer Fortschreibung der 2009 gefassten Verkehrskonzeption, die viele Akteure involviert. Auch der ADFC ist dabei. „Im Herbst wollen wir damit an die Öffentlichkeit gehen und auch die Bürger an der Planung beteiligen.“ Ein wesentlicher Baustein des Konzeptes ist Mobilitätsmanagement. „Dabei geht es uns darum, mit Verkehrsteilnehmern direkt ins Gespräch zu kommen. Denn klar ist auch: Viele Chemnitzer kennen die tollen Angebote ihrer Stadt gar nicht“, so Kirste. In kaum einer anderen Stadt kann man etwa im öffentlichen Nahverkehr und im gesamten Verkehrsverbund sein Fahrrad kostenfrei mitnehmen.

Mobilität an den Bedürfnissen der Stadtbewohner orientieren, das will auch das Projekt NUMIC erreichen. Gerade hat das Forscherteam die Chemnitzer über drei potenzielle Modellrouten entscheiden lassen. Zur Wahl standen Route A, die den Brühl für Radfahrende besser an die Innenstadt anbinden will, Route B zwischen Zentrum über die Reitbahnstraße zur TU Campus und Route C, die zwischen den Stadtteilen Bernsdorf, Gablenz und dem Yorckgebiet verläuft. „Für jede der Routen gilt: Wir schauen uns den Ist-Zustand an und prüfen Probleme und Herausforderungen an der Strecke. Und dann erstellen wir einen Maßnahmenkatalog, wie man die Wege für Radfahrer und Fußgänger attraktiver machen kann“, erklärt Bjarne Lotze vom beteiligten Tiefbauamt Chemnitz.

Gerade die Strecke C bietet hier gleich mehrere Potenziale: „Zum einen ist zwischen den Stadtteilen das Fahrrad als alltägliches Fortbewegungsmittel attraktiv. Zum anderen liegen auf der Strecke einige Naherholungsgebiete wie der Knappteich oder der Stadtteilpark Fürstenstraße, die wir integrieren werden“, so sein Kollege Johannes Fischer. Nach den nötigen Baumaßnahmen und neuen Beschilderungen ist es dann auch Teil des Projektes, die Modellroute erlebbar zu machen. „Hier hoffen wir auf die Zusammenarbeit mit dem Stadtteilmanagement und streben einen Ideenwettbewerb mit den Bewohnern an, wie die Strecke noch attraktiv werden könnte“, so Fischer.

Selbst wenn diese Modellroute nur ein weiteres Stück in flickenhaften Radwege-Netz wäre – vielleicht ist das ja der Chemnitzer Weg zu einer fahrradfreundlichen Stadt. In kleinen unaufgeregten Schritten, ohne dass es die Noch-Mehrheit der Autofahrer bemerkt.

Text: Peter Altmann Grafik: Christian Selent

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