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Prinz Lieschens Spuren

Eine Schweizerin und die Exotik des Erzgebirges

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Die Schauspielerin und Künstlerin Seraina Leuenberger kam gerade so richtig in Chemnitz an – nun blickt sie aber schon in den Nachbarort Augustusburg, wechselt das künstlerische Metier und wurde prompt zur Stadtschreiberin ernannt.

Seraina Leuenberger läuft jeden Morgen eine Runde rings ums Schloss Augustusburg. Sie schwatzt mit den Menschen, beobachtet sie, lässt die Stadt auf sich wirken. Sieht Sommerfrischler und Motorradfahrer, die schon am frühen Morgen Ausstellungen im Schloss besuchen möchten. Überhaupt ist sie viel auf Achse in der Stadt, läuft bergauf, bergab (das ist in Augustusburg unumgänglich), wird Teil der Stadt. Das muss sie auch, ist sie doch Stadtschreiberin von Augustusburg. Da sie ihre Stelle im März antrat, inmitten des coronabedingten Social Distancings, beschloss sie, eine historische Figur zum Leben zu erwecken: Prinz Lieschen. Heute ist sie das Sinnbild einer Eulenspiegelin, einer geschickten Hochstaplerin, eine Metapher. Im 18. Jahrhundert jedoch sorgte Sophie Sabina Apitzsch für einen Skandal. Die Weberstochter floh vor einer Hochzeit von der Rochsburg, reiste durch Europa und gab sich unter anderem als Kurprinz August aus – mit Erfolg. Auch in Augustusburg war „Prinz Lieschen“ unterwegs. Mittlerweile ist die umtriebige Frau weitestgehend in Vergessenheit geraten. Seraina Leuenberger möchte das ändern und gibt der historischen Figur eine Stimme. Sie ersinnt interaktive Geschichten rings um „Prinz Lieschen“, macht deren (fiktives) Leben und Wirken zugänglich und in einem Blog erfahrbar.

Um an diesen Punkt zu kommen, zog die Künstlerin als Stadtschreiberin für ein halbes Jahr nach Augustusburg. Sie folgte dem Ruf des Vereins „Auf weiter Flur“, der in den kommenden Jahren alle sechs Monate jeweils drei Künstler*innen in die Stadt holt. Seraina Leuenberger gehört zur ersten Gruppe, ebenso wie Georg Scherlin, dessen Aufgabenbereich die Beteiligung der Augustusburger Bürger ist, und die Chemnitzerin Danielle Tändler, die die Digitalisierung der Stadt voranbringt. Um Stadtschreiberin zu werden, musste Seraina Leuenberger ihr künst[-]lerisches Metier wechseln.

Die gebürtige Schweizerin machte ihre ersten Regie- und Schauspielerfahrungen in Basel, studierte an der renommierten Schauspielschule Ernst Busch in Berlin und kam für ein Engagement am Chemnitzer Schauspielhaus in die Stadt. Dort wurde sie schnell nicht nur für ihre Bühnenrollen, sondern auch für ihre Umtriebe als Gründungsmitglied des Künstlerkollektivs „Glamnitz“ bekannt. Nach dem Ende ihrer Zeit am Stadttheater suchte sie nach neuen Wegen und fand diese in einer Stadt, die sich ebenfalls auf diese Suche begeben hat. „Ich wollte schon lange schreiben und dachte, jetzt ist der Zeitpunkt, da probiere ich das einfach aus“, sagt die Künstlerin – und für die Gegend interessiere sie sich auch schon lange. „Dieser Ort hier ist für Außenstehende unglaublich exotisch – der Ort erzähle Geschichte bis ins 12. Jahrhundert“, so Leuenberger.

Sie selbst interessiere sich aber vor allem für die Punkte, die nicht offen erzählt werden, etwa Prinz Lieschen. Ihr nächstes Projekt in Augustusburg solle sich aber um den Ist-Zustand der Stadt drehen. Sie habe vor, Frauen vor Ort zu ihrem Leben, ihren Wünschen zu befragen und daraus ein Kunstprojekt zu starten, welches gleichzeitig Ortsgeschichte konserviert. „Wir Künstler sollen hier in der Stadt selbst denken und unsere Aufgaben finden, dafür sind wir hergeholt worden“, erzählt die Künstlerin – die einzige Auflage sei eine Residenzpflicht gewesen. Daher können sie auch ihren Arbeitsalltag selbst einteilen und eigene Themen suchen.

„Jeder Ort hier sucht noch nach dem, was er heute sein kann – in der Schweiz ist alles schon so fertig.“

Und wie geht es im Herbst weiter? Die Schauspielerin will sich weiter künstlerisch ausprobieren. Ihren Lebensmittelpunkt behält sie in Chemnitz, doch in diesem Jahr ist noch ein Theaterprojekt in Frankreich geplant – das Stück soll sich um Sprache drehen und befindet sich in der Entwicklungsphase. Auch einen Filmprojekt über Landes- und Kulturunterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz schwebt Seraina Leuenberger vor. „Jeder Ort hier sucht noch nach dem, was er heute sein kann – in der Schweiz ist alles schon so fertig“, sagt sie, das werde ihr auch in Augustusburg bewusst.

Wo ihr eigener Weg sie nach den aktuellen Vorhaben künstlerisch hinführen wird, ist noch nicht klar – an Ideen mangelt es ihr jedoch nicht, da wird noch einiges kommen. Vielleicht fühlt sich die Künstlerin daher auch zu Sophie Sabina Apitzsch hingezogen – auch die verließ bekannte Wege, versuchte Neues.

Nachlesen: stadtschreiberin.augustusburg.blog
Text: Sarah Hofmann Foto: privat

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