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Was bleibt von der Kunst?

Eröffnung des Gunzenhauser

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Am 1. Dezember eröffnet das Museum Gunzenhauser. Die Sammlung des Münchner Galeristen Alfred Gunzenhauser zählt zu den eindrucksvollsten deutschen Sammlungen des 20. Jahrhunderts. 2500 Werke der klassischen Moderne übergibt der Stifter damit an die hiesigen Kunstsammlungen. Neben dieser Kunstgewichtigkeit soll das neue Haus am Falkeplatz aber auch ein Schwergewicht im Chemnitzer Stadtmarketing sein. Aber was bleibt von der Kunst, wenn sie als sogenannter „Softskill“ das Image einer Stadt aufpolieren soll? Diese Frage diskutierte 371-Redakteur Lars Neuenfeld mit drei Herren mit ganz unterschiedlichen Zugängen zum Thema Kunst und Kommerz. Am runden Tisch fanden sich ein: Dr. Jan Drengner (D), wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Marketing an der TU Chemnitz, der Bildhauer Erik Neukirchner (N) und Chemnitzer Galerist Uwe Kreissig (K).

Braucht Chemnitz ein zweites Bildermuseum?
K: Ich glaube schon und es tut der Stadt an sich auch gut.

N: Ich glaube es ist ein gutes Zeichen und dass sich die Stadt damit zur Kultur bekennt. Außerdem ist es gut für das Museum, welches ja zur Nazizeit um gut 1000 Bilder ärmer gemacht worden ist.

Denkst du, dass das der Hauptgrund war?
N: Es ist ein Argument von vielen. Man hatte vor einigen Jahren die Diskussion um die Buchheim-Sammlung, die nicht nach Chemnitz gekommen ist und nun am Starnberger See zu sehen ist. Man hat hier der Stadtverwaltung oft Versagen vorgeworfen, was ich nicht so sehe und eher glaube, dass Lothar Günther Buchheim mit Chemnitz gepokert hat, um den Bayern etwas Feuer unterm Hintern zu machen. Aber es spielt sicher auch mit hinein, warum man sich jetzt für Alfred Gunzenhauser entschieden hat. Es gibt ja aktuell viele Sammler, die händeringend nach einem Standort für ihre Sammlungen suchen, weil sie in ein Alter gekommen sind, wo sie bald nicht mehr sind und diese Sammlungen drohen auseinander zu brechen.

Du hast die Buchheim-Geschichte angesprochen. Hat das Scheitern damals aber doch den Weg geebnet?
K: Nein, das glaube ich nicht. Ich muss aber auch Erik wiedersprechen, dass das ein Bekenntnis der Stadt zur Kultur und Kunst vor Ort ist. Ein Bekenntnis wäre es meiner Ansicht nach eher, wenn man die Gelder für Kultur und Kunst, und das ist in Chemnitz gar nicht so wenig, für Qualität ausgibt. Das ist schon seit einem längerem Zeitraum nachweislich nicht der Fall. Das kann man sich im Theater anschauen oder im Industriemuseum, welches überregional gar keine Bedeutung hat. Insofern sehe ich das Museum Gunzenhauser nicht als Bekenntnis und es hat auch nichts mit Buchheim zu tun. Es waren wohl eher zwei Dinge ausschlaggebend: Zum einen, dass man Herrn Gunzenhauser, provokativ gesagt, hier dieses Mausoleum gewährt hat. Das ist ja dieses Sammlerbegehren: ein eigenes Haus mit dem eigenen Namen drauf. Und der zweite Grund ist Ingrid Mössinger selbst, die einfach das Standing hier in der Stadt hat, so etwas durchzusetzen und der man eben solche Wünsche auch nicht mehr abschlägt. Ich würde fast wetten, dass wenn wir jetzt irgendeinen blassen Direktor der Kunstsammlungen gehabt hätten, dann wäre das so nie gekommen.

Du hast die überregionale Strahlkraft am Beispiel Industriemuseum angesprochen. Traut ihr dem neuen Museum diese Strahlkraft zu bzw. kann die Kunst überhaupt eine solche Strahlkraft im touristischen Sinne erzielen?
K: Theoretisch traue ich das der Kunst schon zu, theoretisch auch dem Museum Gunzenhauser, wie das aber praktisch aussehen wird, da bin ich mir nicht so sicher. Nicht weil das Haus personell dazu nicht in der Lage wäre. Im Gegenteil, ich halte Thomas Friedrich für den idealen Mann dafür. Ich denke aber, dass es nach einem Anfangsfeuerwerk, wie das ja beim Industriemuseum auch war und man sich mit Besucherzahlen überschlug, hier Probleme geben wird. Ich sage jetzt schon mal, dass das Museum Gunzenhauer mittelfristig nur dann eine Bedeutung haben wird, wenn dort Wechselausstellungen zeitgenössischer Künstler gestaltet werden können.
Einwurf 371: Das ist aber nicht geplant. Nach Aussage von Kurator Thomas Friedrich, den du gerade ansprachst, steht eindeutig die Sammlung im Mittelpunkt. Die 2500 Werke werden thematisch wechselnd gezeigt und höchstens mit Werken aus dem Bestand der Kunstsammlungen ergänzt.
Naja gut, aber das kann sich ja auch mal ändern und muss nicht für alle Ewigkeit statisch sein. Wechselausstellungen sind das A und O für solche Sammlermuseen. Das kostet Geld und das wird am Ende auch zeigen, wie ernst man es wirklich meint. Ansonsten nutzt sich das überregional ab.

D: Ich würde mich da anschließen. Am Anfang wird es sicher einen ziemlichen Hype geben, aber nach ein, zwei Jahren muss man sich schon überlegen, wie man ein solches Bildermuseum thematisch fokussiert. Aus Marketingsicht würde ich schon ein Problem darin sehen, dass wenn man die Bilder nur immer wieder neu kombiniert, die Zielgruppe nicht mehr spitz angesprochen wird. Und auch überregional sind die Wechselausstellungen sehr wichtig, wie man in der Vergangenheit ja schon mit Munch oder Picasso gesehen hat.

K: Da schließt sich übrigens der Kreis zur Dylan-Ausstellung. Das ist eine reine Marketingausstellung, die Chemnitz überregional und international ins Feuilleton bringt. Man kann ja über die Qualität dieser Bilder geteilter Meinung sein, aber früher hätte man gesagt, der Gag ist das schon wert.

N: Aber das ist ja die Frage, was man mit so einem Museum anstellen möchte. Und selbst die bejubelten Ausstellungen der letzte Jahre sehe ich da kritisch. Wenn diese immer nur auf den Marketingaspekt abzielen und darauf, Hinz und Kunz ins Museum zu locken nur damit die Zahlen stimmen, dann geht es mir zu wenig um die Kunst. Die wird damit zur reinen Unterhaltung.

D: Hier muss ich dir widersprechen. Ich beobachte da häufig einen elitären Ansatz gerade bei Künstlern. Ich komme ja nicht aus der Kunst, vielleicht bin ich Hinz und Kunz, aber ich schaue mir diese Ausstellungen an. Es ist ja nichts schlechtes dabei, Leute ins Museum zu locken und vielleicht kann man diese ja langfristig erziehen in die Richtung wie du sie gern möchtest.

N: Nein, es soll ja schon jeder ins Museum kommen, aber mir geht es um das Gewicht. Man sollte doch vielmehr mit der Kunst an sich werben als mit diesem Brimborium drumrum. Mich hat z.B. die Richard Scheibe-Ausstellung in den Kunstsammlungen sehr geärgert, die einfach mit wenig Liebe dahingezeigt wurde. Das war eben nicht der ganz große Name, obwohl Scheibe als Chemnitzer in den 20er und 30er Jahre zur oberen Liga der deutschen Bildhauer gehörte. Da hoffe ich gerade beim Gunzenhauser, dass dort qualitativ hochwertige Ausstellungen gezeigt werden, die gut gehangen, gut ausgeleuchtet sind, eben weil man sich auf den Bestand konzentrieren muss. Eben Ausstellungen, wo man etwas erfahren kann über die Kunst und den Künstler. Das kann natürlich bei einem so großen Haus wie dem Gunzenhauser ein Problem werden. Die Chemnitzer werden vielleicht ein-, zweimal hingehen und dann kann es schon sein, dass die Besucherzahlen abflauen. Aber ich bin absolut dagegen, dass man die Qualität einer Ausstellung an den Besucherzahlen misst.

D: Aber wer legt das denn fest? Gerade solche Ausstellungen werden aus Steuergeldern bezahlt und warum soll denn da der Künstler allein bestimmen dürfen? Ich kenne viele Leute, gerade an der TU, die sich diese Ausstellungen anschauen und diese Diskussion hier gar nicht recht verstehen würden. Das ist doch eine reine Künstlerdiskussion.

N: Hier prallen wohl wirklich Welten aufeinander. Ich finde es ja gut, dass Chemnitz nun mit sich als Kunststadt wirbt. Aber man muss aufpassen, dass eben nicht nur immer in die sogenannten „Leuchttürme“ investiert wird, sondern auch etwas bei der hiesigen Subkultur hängen bleibt. Zieht man sich denn da wieder Leute nach? Das ist doch das große Problem in Chemnitz und das ist auch das Problem, was ich bei dieser Investition sehe.

Kann ein solches Haus überhaupt auf eine hiesige Kunstszene abstrahlen und anders gefragt: Haben die Kunstsammlungen bisher einen nennenswerten Einfluss auf den künstlerischen Nachwuchs gehabt?
K: Aus vom Gefühl her, ohne jetzt die Arbeit der Kunstsammlungen bewerten zu wollen, würde ich sagen, dass sie durch ihren Erfolg seit Mitte der 90er auf die Reste dieser Kunstszene eher erdrückend wirkt. Aber wir dürfen hier auch nicht vergessen, dass die Neue Sächsische Galerie, die als städtische Galerie diese Aufgabe hätte, in dieser Hinsicht auch so gut wie gar nichts macht.

Aber wenn nun die Kunst, vor allem über die Kunstsammlungen, als Standortmarketing verwendet wird, auf der anderen Seite aber schon seit Jahren junge, kreative Leute die Stadt in Scharen verlassen, dann ist doch irgendetwas falsch am Standortmarketing oder dessen Anwendung?
D: Das ist die Frage, wie man Standortmarketing definiert. Warum junge Künstler die Stadt verlassen, kann ich aus meiner Perspektive nicht begründen.

Aber wer ist denn die Zielgruppe dieses Marketingfaktors „Kunst“?
D. Der Kunstkonsument, auch wenn das Erik jetzt nicht so gern hört. Zum einen überregional, sprich touristisch, und zum anderen in der Innenwirkung, also für das Selbstbewusstsein der Bevölkerung. Und das ist ja in Chemnitz arg angekratzt.

K: Aber letztendlich ist auch die Sportstadt Chemnitz daran gescheitert, dass es irgendwann die Sportler nicht mehr gab. Und genau so gibt es eine Kunststadt nicht ohne eine Kunstszene.

N: Aber man kann vom Museum Gunzenhauser auch nicht die Rettung der hiesigen Kunstszene erwarten. Es ist eher ein Baustein.

K. Ich argumentiere auch nicht gegen das Gunzenhauser, ganz im Gegenteil. Nur muss die Stadt als Geldgeber von den Nutzniesern einfordern, dass diese sich um eine junge Szene kümmern. Und das ist z.B. beim Theater schon seit Jahren nicht mehr der Fall. Wenn diese das nicht tun, muss eben das Geld gekürzt werden. Nicht die absolute Summe, aber es muss dann eben verlagert werden. Es gibt ja erstaunlicherweise immer wieder solche Dinge, ob das in den 90ern das Voxxx war oder jetzt so etwas wie die Begehungen. Die haben in diesem Jahr irgendwie zwei- oder dreitausend Euro vom Kulturamt bekommen. Das ist eine wahnwitzige Summe, die wahrscheinlich allein ein Theater-Pförtner im Monat verbraucht. Dabei könnte man sich als Stadt an so etwas ranhängen und viel mehr erreichen.

N: Es gibt ja schon die polemische Forderung, die Kunstsammlungen sollten zukünftig aus dem Marketingtopf bezahlt werden. Aber ich gebe dir Recht, dass diese Tendenz, Leuchttürme zu installieren und auf der anderen Seite die Subkultur zu vergessen, gefährlich ist. Das ist bei der Subkultur natürlich nicht so einfach, weil die zerfaserter ist. Da sind diese Leuchttürme einfacher: Da steckt man vorne was rein und erwartet dann hinten irgendeinen Erfolg.

Chemnitz steht ja mit dem Gedanken, Kunst als wesentlichen Teil des Stadtmarketings aufzubauen, nicht allein. Da gibt es die Robert-Schumann-Stadt Zwickau oder die Otto-Dix-Stadt Gera, überall entstehen neue Museen, große Kunstevents ziehen sich faktisch das ganze Jahr durch den deutschen Kulturkalender. Besteht nicht die Gefahr auch für unsere Bildermuseen, dass man aus purem Konkurrenzkampf irgendwann Angst haben muss, diese Häuser adäquat voll zu kriegen und der Stadtmarketing-Aspekt in den Hintergrund gedrängt wird?
D: Die Gefahr sehe ich eher nicht. Ich kann das jetzt nicht empirisch belegen, aber als Konsument sehe ich mich nicht überfordert. Ich schaue am Wochenende nach, was in der Umgebung so los ist. Und in Leipzig, Dresden oder auch Gera wechseln ja nicht ständig die Ausstellungen. Für eine regionale Bedeutung hat das eher keine Auswirkung, überregional mag das mehr der Fall sein, aber da werden sowieso Städte wie Berlin, mit denen wir uns nicht vergleichen können, ein größeres Stück des Kuchens abfassen.

K: Weil du sagst, dass wir uns nicht mit Berlin vergleichen können: Man darf nicht vergessen, dass sich in den 80er Jahren Karl-Marx-Stadt sehr wohl mit damals Ostberlin vergleichen lassen konnte. Da gab es hier eine lebendige Kunstszene, die gerade vom Zusammenspiel von bildender Kunst, Aussteigerkunst und Schauspiel lebte. Wenn man sich nur mit Klein und Klein vergleicht, kommt auch nur Klein und Klein raus. Und man darf auch bei Leipzig nicht vergessen, dass die dort Ende der 90er einen starken Wegzug von Galerien und Künstlern hatten. Aber die haben es durch die Rückbesinnung auf die eigenen Leute geschafft, jetzt so einen In-Status zu erreichen, der sicher auch noch eine Weile anhalten wird. Das haben die aus eigener Kraft geschafft, weil sie an ihre eigenen Leute geglaubt haben. Und das macht man hier definitiv nicht.

N: Aber trotzdem sollten wir uns, nur weil wir jetzt zwei Bildermuseen haben, nicht gleich mit Berlin messen. Das ist völlig utopisch. Außerdem fand ich gerade so große Events wie MoMa beschissen. Aber sie werden hochgelobt und das ist der Punkt, wo ich den Marktingleuten den Hals umdrehen könnte. (lacht Jan Drengner an)

D: Aber wie oben schon gefragt: Wer legt das denn fest, ob das gut oder schlecht war? Wenn es den Leuten gefallen hat, ist es doch erstmal ok.

K: Wenn es den Leuten gefallen hat, ist es ja gut, aber das Brimborium drumherum ist schlimm und lächerlich.

D: Aber teilweise brauchen wir das doch heute. Es gibt genug Konkurrenz - Kino, Fernsehen, irgendwelche Events, wo die Leute auch hinrennen. Vielleicht muss man hier der Sache einfach ins Auge schauen.

N: Ich glaube aber nicht, dass es der Weg ist, immer lauter Werbung zu machen. Für die Cranach-Ausstellung hier in den Kunstsammlungen habe ich z.B. Plakate in Berlin gesehen. Da habe ich mich geschämt, weil so gut war diese Ausstellung auf keinen Fall.

Mir erscheint es oft auch so, dass die hiesigen Kunstsammlungen überhaupt nur überregional Werbung machen. Liegt da nicht der Schluß nahe, dass man all das nur für die überregionale Beachtung tut und einem die Leute vor Ort eigentlich ziemlich egal sind?
N: Das ist wohl eine Strategie von Frau Mössinger, die ich an sich nicht so toll finde, aber jeder Muaseumsdirektor macht das eben anders. Und sie hat Erfolg damit.

Aber ist das nicht der Punkt, wo Kunst nur noch als Marketing benutzt wird?
N: Das ist absolut die Gefahr und ich sehe in Chemnitz auch nie eine tatsächliche Auswertung der Ausstellungen. Da geht es oft mehr darum, wer da war oder welchen Wein es gab. (Einwurf K: Das war aber schon immer so!). Auch in den Medien findet das nicht statt. Das ist die tatsächliche Gefahr für die Kunst, dass sie nur noch an ihrem Unterhaltungswert bemessen wird. Dem muss man entgegen wirken. Da musst auch du (schaut Uwe Kreißig an) was tun.

K: Ich versuchs ja und es gelingt ja auch teilweise. Aber ich würde mich z.B. schon freuen, wenn mal wieder eine neue Galerie eröffnen würde. Immerhin ist die Galerie Grounded die einzige Galerieneugründung in den letzten zehn Jahren in Chemnitz gewesen.

Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.

Das vollständige, einstündige Gespräch mit noch vielen weiteren spannenden und kontroversen Statements zur Kunst- und Kulturszene in Chemnitz gibt es auf Radio T (102,7 MHz) am 1. Dezember um 13 Uhr und am 2. Dezember um 20 Uhr zu hören.

Kunstsammlungen Chemnitz - Museum Gunzenhauser
Stollberger Str. 2, 0371 4887000, www.kunstsammlungen-chemnitz.de
Offen ab 2. Dezember Di - Fr 12 - 19 Uhr, Sa, So [&] Feiertag 11 - 19 Uhr

Erschienen im 371 Stadtmagazin 12/07

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