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„Ein billiges Anbiedern will ich nicht"

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Enrico Lübbe ist der neue Schauspieldirektor am Chemnitzer Theater. 371 sprach mit dem gebürtigem Schweriner über die ersten Proben, Jugend als Publikum und was er anders machen wird als seine Vorgänger. Zunächst aber stand die Frage "Er oder Sie?". Enrico Lübbe ist 32 und wählte sofort die Du-Form.

In knapp zwei Monaten geht es los und erst seit einigen Wochen sind die neuen Schauspieler da. Herrscht gerade große Probehektik im Schauhaus?
Im Moment sind ja noch Ferien, erst am 13. August geht es richtig los. Wir haben aber schon vorher „Antigone“ und „Gott des Gemetzels“ umgesetzt und das war natürlich spannend. Alles neue Leute, das ist wie bei einer Fußballmannschaft, die muss sich auch einspielen, da schaut jeder - was macht der, wie spielt jener. Aber ich denke, dieses „Neu sein“ wird relativ schnell verfliegen. Schließlich ist nichts so vergänglich wie Theater.

Du übernimmst das Haus in einem desolaten Zustand. Die Zuschauerzahlen sind schlecht, die Presse reflektierte mehr die Schauspieler-Entlassungen und Tarifverhandlungen. Drückt das auf den Schultern oder denkst du, schlimmer kann es ja nicht werden?
Ich hätte mir gewünscht, dass gerade das letzte Jahr besser gelaufen wäre und die mir noch mal gezeigt hätten, wo der Hammer hängt. Aber so etwas hat immer auch mit Glück und Zufällen zu tun und Katja Paryla, die ich als Schauspielerin unheimlich schätze, hat am Ende wohl einfach das Glück verlassen. Die Sächsische Zeitung schrieb vor Kurzem sinngemäß, dass eine solche Situation für den Neuen eigentlich ganz angenehm sein könnte, auf der anderen Seite man eben nicht erwarten kann, dass das Publikum nach den letzten beiden Jahren jetzt sofort wieder Feuer und Flamme für das Theater ist. Das hat also immer Vor- und Nachteile, aber mich freut es natürlich nicht, dass das Schauspiel jetzt so am Boden ist.

Es ist ein nahezu kompletter Neustart. Neues Ensemble, neue Regisseure, neue Autoren und ein Spielplan nach deinen Wünschen. Fühlst du dich ein wenig wie das Kind im Süßigkeitenladen?
Natürlich ist das wunderbar, aber zum einem muss ich mit denselben finanziellen Mitteln wie Katja Paryla auskommen. Die sind in Chemnitz im Vergleich zu anderen Theatern schon an der Grenze des Machbaren. Die andere Seite ist die Stückeauswahl, die ich ja nicht alleine gemacht habe, sondern mit den Dramaturgen und Dramaturginnen zusammen. Klar haben wir da überlegt, was wir in den Spielplan nehmen und haben uns geeinigt, dass auszuwählen, was wir am Besten können und sich in den letzten Jahren bewährt hat.

Und was hat sich bewährt?
Zum Beispiel, auf der Großen Bühne die großen, weltdramatischen Stoffe umzusetzen, die einfach auch ein großes Publikum ziehen können. Das kann man bei vielen neueren Stoffen nicht erwarten. Das ist einfach so, allerdings nicht nur in Chemnitz, auch in Leipzig habe ich diese Erfahrung gemacht. Deshalb wird es die experimentelleren Stoffe, Ur- und Erstaufführungen eben eher auf der Kleinen Bühne geben. Hier will ich das Profil sehr viel mehr schärfen.

Deine erste Premiere wird "Endstation Sehnsucht" von Tennesse Williams sein. Warum hast du dieses Stück ausgesucht?
Also erstmal ist „Endstation Sehnsucht“ das Motto dieser Spielzeit. Außerdem habe ich schon zweimal Tennesse Williams inszeniert und mag die Figuren und die Psychologie von seinen Stücken sehr. Es ist einfach eine tolle Geschichte, die ja auch etwas mit Ankommen und Scheitern zu tun hat.

Was du hoffentlich nicht als Omen begreifst...
Nein, aber es ist natürlich auch gewagt und mutig, ein solches Jahresmotto auszugeben. Und wenn man auf der Großen Bühne eben das große Literaturtheater machen will, ist das einer DER Stoffe. Danach lechzen ja auch Schauspieler. Das meine ich auch mit dem „was wir am besten können“. Das ist der Vorteil an so einer ersten Spielzeit, dass man seine Grenzen ausloten kann. Ich finde Theater sollte seine eigenen Stärken forcieren und nicht von vornherein andere Medien kopieren oder verbessern wollen.

Du hast dich schon mal klar gegen Filmstoffe auf der Theaterbühne ausgesprochen. Das waren aber meist Publikumsrenner, siehe "Sonnenallee" oder "Ladys Night". Was stört dich daran?
Nein, ich habe gar nichts gegen gute Filmstoffe, die man auch im Theater machen kann oder umgekehrt. Aber es uferte in den letzten Jahren einfach aus, vor allem mit diesen DDR-Klassikern wie "Olsenbande" oder so.

Aber gerade die Olsenbande lief fantastisch.
Ja klar, aber dass ist eine Geschmacksfrage. Ich kenne ostdeutsche Theater, die das konsequent gemacht haben und mittlerweile sieht da alles gleich aus, egal ob "Romeo und Julia" oder "Olsenbande". Ich finde, billige Unterhaltung kann man bei RTL 2 billiger haben. Das gehört nicht ins Theater.

Wenn du von den Stärken des Theaters sprichst, wo siehst du deine Stärken als Regisseur?
Das ist immer schwierig aber man kriegt ja irgendwann mit, was andere so über einen schreiben und sagen. Ich gehe per se immer sehr vom Stück aus und versuche weniger eine äußere Konzeption draufzudrücken. Wenn das Stück gut ist, und deshalb liebe ich auch diese großen Stoffe, muss man da nichts drüberstülpen. Dann wird immer geschrieben, dass die Arbeiten sehr präzise und konzentriert sind. Der Unterschied zu den Inszenierungen der letzten Jahre im Schauspielhaus wird wohl sein, dass wir eher „leiser“ sein werden. Das muss aber nicht prinzipiell so sein und hängt einfach vom Stoff ab.

Eine neue Reihe heißt "dialog". Wie kann man sich das vorstellen, kommen dann die Schauspieler direkt verschwitzt von der Bühne?
Genau. Ich habe in vielen Theatern erlebt, dass wenn man den Leuten vorher etwas zum Stück und zur Inszenierung erzählt, man schon mal viel gewonnen hat. Gleich am Anfang wird zum Beispiel „Emilia Galotti“ aufgeführt, aber in einer Konzeption, auf die man vielleicht erstmal nicht kommt. Aber das ist eine heilige Kuh - deutsche Klassik, Lessing, bürgerliches Trauerspiel – da wird es sicher Gesprächsbedarf geben. Das wollen wir ausnutzen. Nicht das wir die Leute an die Hand nehmen und ihnen die Welt erklären wollen, aber es wird zu fast jeder Vorstellung eine Einführung geben und im Anschluss eben den „dialog“, in dem Schauspieler und Regisseur zur Diskussion über das Stück einladen.

Das kann aber auch ein sehr direkter Weg zum Frustabbau sein.
Wenn jemand meint, das war Scheiße, dann ist das sein gutes Recht. Ich komme ja aus dem Norden und mag deshalb auch die sehr ehrliche und direkte Art der Sachsen. Und wenn da jemand Scheiße sagt, dann wissen wir wenigstens woran wir sind.

Gerade am Abend stehen wieder häufiger Tanzveranstaltungen und Konzerte an. Ich nehme mal an, die Jugend soll so geködert werden. Ist den Jugend überhaupt noch eine sinnvolle Zielgruppe, jetzt wo sie in Chemnitz eine immer weiter schwindende Minderheit ist?
Ich glaube schon, auch wenn das Gegengewicht relativ stark ist. Aber Jugend- und Kindertheater laufen sehr gut. So etwas wie „Hexe Hillary“ könnten wir jeden Tag spielen und deshalb wollen wir es unbedingt ausbauen. Dafür gibt es kein extra Geld und trotzdem machen die Schauspieler mit, quasi umsonst. So etwas gibt es doch sonst nirgendwo. Oder kennst du einen Schlosser, der mal eben so für Umme in seiner Freizeit ein Fahrrad für Kinder zusammenbaut? Aber wir wissen einfach: Da ist das Potential für die Zukunft. Das wird manchmal verzerrt dargestellt, so als würde ich das ältere Publikum vergraulen wollen. Keinesfalls, sonst sähe der Spielplan ganz anders aus. Aber man muss sich doch mal Gedanken darüber machen, wer in 30 Jahren noch ins Theater kommen soll, wenn man nicht jetzt die Berührungsängste abbaut. Deshalb machen wir diese ganzen Sachen wie Nachtschicht, Partys oder den Bandwettbewerb. Als junger Mensch hast du doch nur wenig mit Theater am Hut, aber über solche Sachen kriegen wir diese Leute erstmal ins Haus und vielleicht kommen sie dann eben doch mal in eine Aufführung. Das ist nichts wirklich Neues und wird in anderen Theatern sehr erfolgreich praktiziert. Aber man muss auch Geduld haben.

Stichwort junge, zeitgenössische Autoren. Das schien zuletzt nahezu ausschließlich auf Daniel Call zuzutreffen. Du beginnst mit der hochgelobten Ulrike Syha. Erzähl uns etwas über sie.
Ulrike Syha war mal Regieassistentin bei mir in Leipzig. Dann fing sie an zu schreiben und hatte gleich großen Erfolg damit, gewann den Kleist-Förderpreis usw. Vor einem Jahr habe ich dann ein Stück von ihr in Stuttgart inszeniert und weil Chemnitz damals schon klar war, hat sie mir angeboten, direkt für das Schauspiel hier etwas zu schreiben. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar, denn Ulrike Syha kann es sich mittlerweile aussuchen, für welche Theater sie schreibt.

Was muss ein junger Autor für ein Stück machen, damit er bei dir im Haus gespielt werden kann?
Für die Ur- und Erstaufführungen auf der Kleinen Bühne gibt es zwei neue Dramaturgen, die sich hervorragend auskennen. Zum Leiten gehört für mich hier auch, Leuten zu vertrauen. Ich muss zugeben, persönlich gar nicht so der Regisseur für solche Stoffe zu sein. Wenn dann interessieren mich eher ausländische Autoren wie Simon Stephens. Bei jungen deutschen Autoren ist es mir oft zu eindimensional. Es ist schwer, Stoffe zu finden, in denen unter der ersten Erzählebene noch mehrere darunter sind. So etwas suchen wir aber. Diesbezüglich haben wir für die erste Spielzeit auch Glück gehabt. Zum Beispiel „Küss mich hinter Kaufhof“ von Anna Habermehl. Das Stück hatten wir uns geangelt. Kurze Zeit später gewann Anna Habermehl einen Preis beim Stückemarkt des Theatertreffens. Jetzt schreibt sie ein Auftragswerk für das Münchner Residenztheater.

Es sind auch wieder neue Schauspielstudenten am Theater. Kann man schon etwas zur so genannten Studioinszenierung sagen?
Das wird ganz spannend. Jan Jochimsky, der selbst mal als Schauspielstudent hier war, übernimmt die Leitung und hatte die Idee, „Widerstand ist zwecklos“ als sächsisches Studentenprojekt umzusetzen. Ich habe dann Roland Schimmelpfennig kontaktiert, der in Leipzig am Literaturinstitut „Szenisches Schreiben“ lehrt und mit seinen Studenten etwas beisteuern wird. Dann kommt noch eine Bühnenbildnerklasse von der Kunsthochschule Dresden dazu. Alle drei Gruppen erarbeiten dieses Stück quasi „work in progress“ gemeinsam.

Du wurdest von einer Fachzeitschrift 2005 und 2006 als einer der besten Nachwuchsregisseure gehandelt. Nun bist du Schauspieldirektor. Hast du manchmal einfach Schiss, das es schief gehen könnte?
(überlegt) Gute Frage. Aber so richtig Schiss habe eigentlich ich nicht. Als ich vor einem Jahr eine Liste mit Stücken erstellt habe, die ich gern hier aufführen würde, war der Tenor gemeinsam mit den Dramaturgen, dass es schön wäre, wenn wir die Hälfte davon umsetzen könnten. Und nun haben wir weit mehr als Hälfte im Spielplan. Ich bin also eher neugierig, wie das ankommt und vor allem wie die Reaktionen sein werden, wenn es doch nicht so läuft. Aber es wird ja nicht gleich alles floppen. (lacht)

Wärst du bereit, Kompromisse zu machen?
Naja, die Abende werden kommen, wenn es mal nicht gut besucht ist. Ich glaube, dass wir das aushalten müssen und können. Wir müssen dann ruhig bleiben. Aber wenn wir uns verbiegen müssten und meinetwegen doch wieder die "Olsenbande" kommen soll, dann würde ich wohl vorher gehen. Ein billiges Anbiedern will ich einfach nicht.

Du bist jetzt schon einige Monate in Chemnitz. Was gefällt dir und was nicht?
Was mich nervt, ist, dass die Chemnitzer ihre Stadt und sich selbst immer kleiner reden und schlecht machen. Die Außenwahrnehmung von Chemnitz wird doch im Wesentlichen von den Chemnitzern selbst gemacht. Dabei muss sich die Stadt überhaupt nicht verstecken. Es gibt so viele Leute mit Potential hier. Außerdem habe ich hier schon wunderbare Ecken entdeckt. Küchwald, Schlosskirche und natürlich dieses wunderbare Umland. Mir gefällt es hier sehr gut und dieses „Ich kommen aus Chemnitz, ABER...“ finde ich absolut unnötig.

Interview: Lars Neuenfeld

Erschienen im 371 Stadtmagazin 08/08

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