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Kirchner in Chemnitz

Kunstsammlungen öffnen Schatzkammer

Veröffentlicht am:

Chemnitz gilt als eine Wiege des deutschen Expressionismus. Drei der vier Gründungsmitglieder der Künstlervereinigung Brücke verbrachten Kindheit und Jugend hier: Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Ludwig Kirchner. Trotz massiver Verluste während der Nazizeit besitzen die Chemnitzer Kunstsammlungen mittlerweile wieder Hunderte Werke dieser drei Künstler. 2015 wird dieser Schatz nun erstmals umfänglich der Öffentlichkeit präsentiert.

Lars Neuenfeld sprach mit Anja Richter, Kuratorin im Museum Gunzenhauser, über Kirchner, Kunst und Chemnitz.

Die Kirchner-Ausstellung bildet den Auftakt zu einem Brücke-Jahr. Danach folgt eine große Retrospektive zu Karl Schmidt-Rottluff, am Jahresende eine Erich Heckel-Ausstellung. Die Idee ist so naheliegend wie grandios. Warum erst jetzt?
Die Idee, alle drei Chemnitzer Brücke-Künstler zusammenhängend zu präsentieren, existiert tatsächlich schon sehr lange. 2015 jährt sich die Brücke-Gründung nun zum 110. Mal, das schien uns ein passender Anlass.

Was ist das Besondere an dieser Kirchner-Ausstellung?
Das Besondere ist, dass man quasi alle Schaffensperioden von Ernst Ludwig Kirchner entdecken und so seine Entwicklung als Künstler nachvollziehen und verstehen kann. Wir beginnen ganz früh, noch vor der Brücke-Gründung. In dieser Ausstellung werden mit Sicherheit auch Kirchner-Kenner Neues entdecken.

Würdest du dich als eine Kirchner-Kennerin bezeichnen?
Ich bin Kirchner-Fan. Ich habe meine Magisterarbeit über ihn geschrieben.

Wo lag der Schwerpunkt deiner Magisterarbeit?
Ich habe neben Kunstgeschichte ja noch Afrikanistik studiert. Da lag es nahe, den Einfluss der damaligen Darstellung sogenannter "Naturvölker" auf das Werk der Expressionisten zu untersuchen. Zur Rechtfertigung der Kolonialisierung wurden Menschen aus Afrika in "Völkerschauen", , manchmal sogar im Zoo, präsentiert. Das vermeintlich archaische war für Künstler enorm faszinierend, für die Expressionisten vor allem der Aspekt, dass in den Kultgegenständen dieser Völker scheinbar eine Ausdrucksform zu finden war, die aus sich selbst heraus entstand.

Woher kam dieses Interesse?
Es war die Auflehnung gegen die eigene Bürgerlichkeit. Man muss sich immer vor Augen halten, dass alle drei aus sehr wohlsituierten Elternhäusern kamen.

Wie war Kirchners Verhältnis zum eigenen Elternhaus?
Sein Vater hat ihn natürlich gedrängt, etwas Solides zu studieren, das war dann die Architektur. 1909 wurde er dann auch als passives Mitglied der Brücke gelistet, nahm also schon Anteil an der Arbeit seines Sohnes. Es gibt noch einen anderen interessanten Aspekt: Kirchners Vater forschte in Chemnitz zu neuen Herstellungsmethoden von Papier. Das war damals sehr wichtig, weil es eine enorme Nachfrage gab. Ernst Kirchner hat sogar eine Maschine zur Überprüfung der Reißfestigkeit von Papieren erfunden. Dieses Experimentieren mit unterschiedlichen Materialien, insbesondere Papieren, ist auch für Ernst Ludwigs künstlerisches Schaffen signifikant. Eine Prägung, die man also ohne Zweifel auf seine Chemnitzer Zeit zurückführen kann.

Was weiß man über die Chemnitzer Zeit von Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff?
Wenig, sehr wenig. Dazu gibt es bisher leider kaum Forschung. Es ist ja so: Die Erzählung über die Brücke-Gruppe beginnt immer erst in Dresden. 1905 wurde die Gruppe gegründet, so geht es los. Dass es auch davor künstlerische Entwicklungen gab und eben in Chemnitz die Auseinandersetzung mit Kunst begann, muss der Kunstgeschichtsschreibung noch hinzugefügt werden. Wir versuchen das in diesem Jahr.

Es wäre aber auch mal ein profundes Forschungsgebiet für Studierende der Kunstgeschichte?
Absolut. Interessenten können sich gerne bei uns melden. Auch wenn die Archive in Chemnitz durch die Kriegsschäden leider sehr lückenhaft sind, gibt es interessante Ansätze. Wir wissen z.B. von einem Schülerclub namens „Vulkan“, in dem sich Heckel und Schmidt-Rottluff trafen.

Du hast dich entschlossen, auch Fotografien von Kirchner auszustellen. Warum?
Es gibt sehr direkte Zusammenhänge, die der Besucher entdecken kann. Da sieht man z.B ein Foto von einer Alpenlandschaft und in der Ausstellung eine Zeichnung davon. Auf einem Foto ist Hugo Biallowons nackt tanzend zu sehen, auf der anderen Seite der Wand hängt dann die Lithografie „Hugo nach dem Bade“. [nbsp]

Hat er diese Fotografien auch als Vorlage genutzt?
Ich denke schon. Er hat in seinem fotografischen Werk z.B. oft mit Bewegung experimentiert. Dieser Aspekt war ihm auch für sein zeichnerisches Schaffen sehr wichtig.

Kirchners Werke wurden von den Nazis als Entartete Kunst gebrandmarkt. Aber wie kann man sich das eigentlich vorstellen: Waren diese Künstler damals in den 0er, 10er, 20er Jahren des 20. Jhd. „angesagt“?
Nein. Heute ist es nur schwer nachvollziehbar, wie schockierend die Bilder der Expressionisten auf das damalige Publikum wirkten. Ein gewisser „Ruhm“ wurde ihnen eigentlich erst in der Weimarer Republik zu Teil. Vorher wurden die Künstler schon mal als „Hottentotten im Frack“ betitelt. Für viele galten sie als Rebellen, die nackt durch den Wald[nbsp] rennen.

War Kirchner ein geschäftstüchtiger Künstler?
Er war jedenfalls sehr bedacht auf seine Außenwirkung. Ihm war daran gelegen, dass die Betrachtung seines Werkes immer unter seiner Kontrolle blieb. Das führte u.a. zu dem bemerkenswerten Fakt, dass er unter dem Kritikerpseudonym Louis de Marsalle über sich selbst schrieb, natürlich in höchsten Tönen lobend. Als ihm ein anderer Kritiker auf die Schliche zu kommen drohte, lies er de Marsalle einfach sterben. Kirchner war ein exzentrischer Mann.

Aber auch ein sensibler Künstler, oder?
Auf jeden Fall. Er hat sein Umfeld sehr feinfühlig wahrgenommen und künstlerisch verarbeitet. Deshalb kann man ja jedes Werk von Kirchner so eindeutig der jeweiligen Lebensphase zuordnen, ohne die Jahreszahl zu kennen. Man weiß genau – hier war er in Dresden, da Berlin, dort Davos.

Diese Sensibilität ließ ihn letztendlich auch zur Waffe greifen.
Ja. Er hat es nicht verstanden, wieso die Nazis seine Kunst als undeutsch bezeichnet haben. Das war dramatisch für ihn. Als die Nazis in Österreich einmarschiert sind und damit 20 Kilometer vor Davos standen, hat er in seinem Haus all seine Druckstöcke, Plastiken, Zeichnungen usw. zerstört und sich dann erschossen. Mit zwei Schüssen.

Warum werden die Chemnitzer Brücke-Maler nicht dauerhaft präsentiert?
Viele Gemälde sind in den Dauerausstellungen hier im Museum Gunzenhauser oder in den Kunstsammlungen Chemnitz am Theaterplatz zu sehen. Die Grafiken, Zeichnungen und Holzschnitte können aus konservatorischen Gründen einfach nicht so lange ausgestellt werden. Das Licht würde ihnen schaden. Deshalb ist es ja so spannend, sich jetzt diese und dann die beiden folgenden Ausstellungen anzusehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto: Michael Chlebusch

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Ernst Ludwig Kirchner in den Kunstsammlungen Chemnitz, 15.02. - 10.05. im Museum Gunzenhauser.

67 Werke Kirchners zeigt das Museum Gunzenhauser am Falkeplatz, 6 Werke das Museum am Theaterplatz. Vom 22.11.15 bis zum 03.03.16 folgt im Museum am Theaterplatz eine umfangreiche Schau mit etwa 500 Werken (Grafiken und Gemälde) von Karl Schmidt-Rottluff. Das Museum Gunzenhauser zeigt vom 13.12.15 bis zum 24.04.16 circa 120 Werke Erich Heckels. Erstmalig werden in diesem Rahmen alle Werke dieser Künstler aus dem Bestand der Kunstsammlungen Chemnitz vollständig publiziert.

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Erschienen im Heft 03/15

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