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Im Land der Kaffeekoch-Sklaven?

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Wieder neigt sich ein Semester dem Ende zu und wieder taucht die Semesterferien-Gretchenfrage auf: Gut bezahlter Job oder schlecht entlohntes Praktikum? Dabei muss sich beides gar nicht ausschließen.

Generation Praktikum - dieser Begriff ist in aller Munde und füllt Zeitungen und Fernsehsendungen. Ausgebeutete Jungakademiker, die von einem befristeteten und unbezahlten Praktikum zum nächsten hasten. Zukunft ungewiss, denn eine Festanstellung winkt nur einer Minderheit der Praktikanten. Ist dem so? Und nutzen Unternehmen tatsächlich den „dummen Prakti“ aus, um Mitarbeiterlücken zu füllen oder Kaffee zu kochen?

Das Nachrichtenmagazin Focus berichtete 2007, dass 37 Prozent aller Hochschulabgänger mindestens ein Praktikum während des Studiums absolvieren. Nur jeder Zehnte bewertete seine Praktikumserfahrungen als schlecht. Auch eine 371-Umfrage bestätigte dies, selbst dann, wenn das geplante Pratikumsziel verfehlt wurde. So erinnert sich Kati Koschnick an ihr Praktikum in der Stadtverwaltung Freiberg zwar mit gemischten Gefühlen, zieht aber trotzdem eine positive Bilanz. "Ich wollte eigentlich praktische Erfahrungen im Bereich Verwaltung sammeln, wurde aber ins Stadt- und Bergbaumuseum versetzt." berichtet die Studentin der Wirtschaftswissenschaften. "Fachlich gesehen brachte mir die Arbeit nichts, jedoch beweise ich damit meinem zukünftigen Arbeitgeber meine Flexibilität und Vielseitigkeit.“
Auch die fehlende Bezahlung scheint für die meisten Studenten kein Minuspunkt zu sein. Robert Gruner, der im 2. Semester Finanzmathematik studiert und ein 4-Wochen-Praktikum beim IT-Unternehmen Axilaris GmbH absolvierte, meint: „Ich wollte einfach wissen, wie diese Arbeit ist und ob sie zu mir passt. Hauptsächlich habe ich am PC gearbeitet und verschiedenste Programme gelernt. Die Mitarbeiter behandelten mich sehr nett und ich habe gern dort gearbeitet. Die fehlende Bezahlung war da kein Problem.“ Also keine bodenlose Ausbeutung und sinnlose Aufgaben? Nein, bekräftigt Dr. Fried Meinhold für sein Unternehmen Niles Simmons. Alle Praktikanten, die in dem Chemnitzer Unternehmen arbeiteten, waren hoch motiviert und fachlich kompetent. Meist schreiben die Maschinenbaustudenten ihre Diplomarbeit im Verlauf ihres Praktikums oder bauen eigene Konstruktionen. Auch die Mitarbeit in einer Baugruppe ist möglich. Für ihre Arbeit erhalten die Studenten sogar eine ansprechende Vergütung. Damit stellen sie laut dem Focus den typischen Praktikanten der Maschinenbau- und Ingenieurstudiengänge dar. Denn während knapp die Hälfte aller Praktika unentgeltlich sind, bekommen 99 Prozent der Studenten von naturwissenschaftlichen und technischen Studiengänge Geld für ihre Arbeit. Das kann auch Viola Schleicher von Siemens Chemnitz bestätigen: „Bei uns verdienen die Absolventen eines Grundpraktikums 250 Euro im Monat, Fachpraktikanten sogar 500 Euro.“ Bei Siemens sind allerdings nur Studenten der Elektrotechnik oder Betriebswirtschaft gefragt. Die Übernahmechancen als Werkstudent oder Mitarbeiter sind hoch, ebenso bei Niles Simmons.

Doch Germanistik- oder Politikstudenten sollten jetzt nicht den Kopf hängen lassen. Denn im Allgemeinen dienen Praktika dazu, erste Einblicke in die Berufswelt zu erhalten und praktische Erfahrungen zu sammeln. Auch ohne Bezahlung ist das garantiert ein Pluspunkt bei jeder Bewerbung, wie Politikwissenschaft-Student Ronny Winkler bestätigt. „Ich habe mein Praktikum beim Institut für angewandte Forschung Chemnitz absolviert. Ich wurde direkt in den Arbeitsalltag der Firma eingebunden und erstellte selbstständig eine Studie für einen Kunden. Diese Erkenntnisse werden mir in meiner zukünftigen Laufbahn sehr nützlich sein, auch wenn ich kein Geld verdient habe.“

Natürlich gestaltet sich die finanzielle Unterhaltung schwieriger. Laut dem HIS Projektbericht von 2007 finanzieren 40 Prozent der Studenten ihr Praktikum durch einen Nebenjob. Da ist dann der Zeitplan eng bemessen und hier zeigt sich am ehesten das Bild des gestressten Jungakademikers. Denn viele Studenten nutzen die Semesterferien, im Gegensatz zu vielen Klischees, nicht zum Faulenzen, sondern zum Jobben. Nebenjob und Praktikum unter einen Hut zu bekommen kann da schon problematisch werden. Zumal in manchen Studiengängen die praktische Arbeit sogar in der Studienordnung festgeschrieben ist. So müssen an der TU Chemnitz Studenten der Europastudien oder der Medienkommunikation während ihres Studiums mindestens ein 8-wöchiges Praktikum absolvieren. Ein Dilemma, aus dem oft nur eine verwandschaftliche Geldspritze hilft. Trotzdem: Gerade im zunehmenden Leistungs- und Abschlußdruck des Bachelorzeitalters sind Praktika wichtiger denn je. Die Studierenden der hiesigen Universität sehen sich[nbsp] mehrheitlich jedoch nicht als Generation von ausgebeuteten Kaffeekoch-Sklaven.

Text: Madlen Lesch Fotos: photocase.de (trepavica), Lesch

P.S. Was tun, wenn man als Praktikant doch ausgebeutet wird? Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003 muss das Lernen im Praktikum stets der Arbeitsleistung überwiegen, sonst hat jeder Praktikant den Anspruch auf volle Lohnnachzahlungen. Damit soll dem Missbrauch der Praktikanten als billige, aber hart schuftende Arbeitskräfte vorgebeugt werden.

Erschienen im 371 Stadtmagazin 06/08

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