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Studenten, Auszubildende und Sinnsuchende besetzen ein Haus in der Karl-Immermann-Straße
Chemnitz - was hat dich bloß so ruiniert? Das Transparent mit dem abgewandelten Sterne-Titel hängt über dem Eingang der Immermannstraße 23. Das Haus sieht ziemlich ruiniert aus, und trotzdem zieht gerade wieder quirliges Leben hier ein. Am 20. Juni, als die Innenstadt mit einem sogenannten "Jugendaktionstag" belebt werden sollte, belebte derweil ein gutes Dutzend Jugendliche dieses leerstehende Haus.
Hausbesetzung. Und das in Chemnitz. An so etwas können sich nur noch Altjugendliche erinnern. Aber in der Immermannstraße ist alles wie einst in Kreuzberg, Connewitz oder auf der Chemnitzer Alfredstraße. Man sitzt auf alten Sofas, debattiert über Inhalte, Konzertpläne, selbstbestimmtes Leben, Hunde und Mülltrennung. Und doch ist etwas anders: Die Hausbesetzer verbinden mit ihrer Aktion ein klares politisches Ziel. Leerstehende Gebäude sollen nicht weiter dem Verfall überlassen werden, sondern Platz für neue Ideen und Lebensentwürfe bieten. Die Besetzung war dabei nur ein letztes Mittel, denn "seit über zwei Jahren bemühen wir uns bei der GGG um Möglichkeiten für ein alternatives Wohnprojekt. Aber entweder waren die angebotenen Objekte am Stadtrand oder viel zu teuer." berichtet einer der Besetzer (die im übrigen allesamt nicht namentlich genannt werden wollen). Auch Verhandlungen hinsichtlich eines Hauses am Brühl liefen unbefriedigend. Die Übernahme der Immermannstraße 23/25 verstehen die Besetzer durchaus als Reaktion auf geweckte Erwartungen hinsichtlich Brühl (Stichwort: Szeneviertel) und dem zu engen und verbohrten Regelwerk für neue, unkonventionelle und vor allem unkommerzielle Projekte. Die lange Zeit des Suchens hat aber auch einen Vorteil. Die neuen Bewohner wissen sehr genau, was in dem Doppelhaus passieren soll: Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Vorträge, Platz schaffen für Wohnungen, Ateliers und Büros - nichts wirklich Neues also, aber es geht auch mehr darum, etwas selber zu machen. Einen Ort zu installieren für "Menschen mit differenzierten Lebensansprüchen", wie es das Dossier zur Besetzungen beschreibt. Konkrete Forderungen umgeht man bewusst: "Da die politische Sphäre nicht die Unsere ist, ist es uns nicht möglich, konkrete, den Ausdruck der Gremien angepasste Forderungen zu stellen. Es geht uns ... um eine unbürokratische Vermittlung abrissgefährdeter Bausubstanz an interessierte Menschen."[nbsp]Mittlerweile ist der Kreis der Sympatisanten auf über 30 Personen angewachsen, neue Aktivisten sind jederzeit willkommen. Auf basisdemokratische, und damit zumeist auch langwierige Entscheidungsstrukturen sollte man aber gefasst sein. "Jeden Tag um 18 Uhr trifft sich das Plenum" so die Besetzer "jeder der da ist, hat eine Stimme, kann mitdiskutieren und abstimmen." Man beteuert Offenheit in jeder Beziehung, jeder kann reinkommen und mitmachen. Gemeint sind damit natürlich all jene, die das diffuse Gefühl teilen, dass der subkulturelle Lifestyle in dieser Stadt ganz schön ruiniert ist. Gerade ruft jemand zum Fenster herein, ob die Immermänner und -frauen nicht eine alte Eckbank gebrauchen könnten. Wenig später ist das neue Möbelstück im großen Gemeinschaftsraum angekommen. Man richtet eben sich ein. Und das für längere Zeit.
Text [&] Foto: Lars Neuenfeld
Erschienen im 371 Stadtmagazin 07/07