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AGIEREN ODER REAGIEREN?

Chemnitzer Partnerstädte setzen auf visionäre Konzepte

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„Wir wollen agieren, nicht reagieren!“ Dieser Satz zählt im Fußball mittlerweile schon zu den Allgemeinplätzen. Dem Spiel den Stempel aufdrücken, es nach den eigenen Vorstellungen gestalten, so stellen sich die meisten Trainer das Auftreten ihres Teams vor. Wäre die Stadt Chemnitz eine Mannschaft, man möchte ihr nur allzu gern eine etwas offensivere Strategie verordnen.

Seit Dezember letzten Jahres liegt der Entwurf des Städtebaulichen Entwicklungskonzeptes Chemnitz 2020 – kurz SEKo – vor. Um es vorweg zu nehmen, das Dokument ist eine gute Analyse des dramatischen Ist- und des bedenklichen Wird-Sein-Zustandes der Stadt, was stattdessen sein könnte, findet in ihm keinen Platz. Wohnungsleerstand, Bevölkerungsrückgang, extreme Alterung der Bevölkerung ist die Diagnose, flächendeckender Abriss, Zentrierung der Bau- und Renovierungsvorhaben und Anpassung die Therapie. Die größte Herausforderung ist zweifelsohne der demographische Wandel. Die Stadt wird nach eigenen Angaben den Verlust weiterer knapp 20.000 Menschen in den kommenden zwölf Jahren hinnehmen müssen. Wegweiser Kommune, eine im Dezember 2008 aktualisierte Studie der Bertelsmann- Stiftung, prognostiziert Chemnitz gar einen Einwohnerverlust von 15 Prozent bis zum Jahr 2025 und gruppiert Chemnitz in die Riege der schrumpfenden und alternden ostdeutschen Großstädte ein.

Der Ernst der Lage wurde im SEKo durchaus erkannt, nur fällt die Reaktion ziemlich unkreativ aus. Das gesamte Konzept, so scheint es, ist auf Bestandswahrung ausgelegt. Versuche, dem demographischen Wandel etwas entgegenzusetzen, gibt es nicht. Es ist, als gebe man sich mit einer Niederlage zufrieden, wenn sie sich nur in Grenzen halten ließe.

Dabei genügte ein Blick in die Partnerstädte von Chemnitz, um zu sehen, dass radikale Stadtumbrüche mitunter den Bevölkerungsrückgang aufzuhalten vermögen. Manchester, vormals wichtigste Industriestadt der Welt, erlebt einen ähnlich tiefgreifenden Wandel. Dem Niedergang der Industrie in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und dem damit einhergehenden Bevölkerungsrückgang begegnete die Stadt mit großflächigen Abrissmaßnahmen. Den Trend aufhalten konnte diese Strategie freilich nicht. Erst gezielte Investitionen in den Finanzsektor, vor allem aber der Ausbau der Universitäten mit Hilfe höherer Forschungsetats Mitte der 90er Jahre verliehen der Stadt ein neues Image als Finanz- und Forschungszentrum. Gerade für junge Leute ist sie wieder attraktiv geworden, der Großraum Manchester zählt heute um die 100.000 Studenten und auch die Einwohnerzahlen steigen wieder. 2003 wurde Manchester von der EU mit einem Preis für den besten vollzogenen Strukturwandel ausgezeichnet.

Nun mag man das Argument der Windschiefe gegen diesen Vergleich ins Feld führen. So richtig es ist, dass sich das sächsische Manchester von seinem Original bezüglich Größe und Struktur deutlich unterscheidet, so ähnlich sind sich beide jedoch bezüglich ihrer Geschichte, vormals Vorreiter der Industrialisierung mussten sie einen wirtschaftlichen Niedergang verkraften. Im Gegensatz zu Chemnitz wagte Manchester den radikalen Bruch und verschrieb sich – wie im Stadtentwicklungsplan aus dem Jahr 2006 – einer Vision, ein Wort, das man im SEKo vergeblich sucht.

Gleiches tat mit Tampere übrigens eine andere Chemnitzer Partnerstadt. Die wegen ihrer Textilindustrie und ihren zahlreiche Baumwoll- und Papierfabriken Manchester des Nordens genannte Stadt erlebte bereits in den 60er Jahren einen Niedergang. Die Finnen reagierten mit der Umwandlung alter Werksanlagen in Museen, Kinos und Cafés und verliehen Tampere somit ein charmantes Stadtbild. Gleichzeitig siedelten sich mit der Technischen Universität und der Universität Tampere zwei Hochschulen an, die heute zusammen gut 27.000 Studenten zählen. Beides sorgte dafür, dass die Stadt einen starken Einwohnerzuwachs verzeichnen konnte und vor allem für junge Menschen an Attraktivität gewann. Ambitioniert blickt man in Finnland in die Zukunft. Die 2005 verabschiedete City Strategy trägt den Titel „Vision of Tampere in 2016. Tampere – an international growth centre of good service, know-how and creativity“ und geizt nicht mit Optimismus und Selbstvertrauen. Hier finden sich so ehrgeizige Ziele wie die Wahl Tamperes zur Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2011.

Beide Beispiele verdeutlichen: Um eine alte Industriestadt fit für demographische und wirtschaftliche Herausforderungen zu machen, bedarf es eines radikalen Umbruchs, mutiger Ideen und des Zuzugs junger Menschen. Es bleibt schwer nachvollziehbar, dass eine 245.000 Einwohner zählenden Großstadt wie Chemnitz gerade einmal 10.300 Studenten beherbergt, wenn beispielsweise im wesentlich kleineren Jena allein 19.000 Studenten an der Friedrich-Schiller-Universität eingeschrieben sind.

Pläne für einen Ausbau der TU oder gar der Neuansiedlung von Hochschulen gibt es in Chemnitz nicht. Es gehe vorrangig darum, die Studenten nach erfolgter Ausbildung in Chemnitz zu halten, heißt es auf Nachfrage im Rathaus. Auch im Sächsischen Wissenschaftsministerium sieht man keine Chance für eine Erweiterung der Universität. „Werbung um Studenten ja, Ausbau der Kapazitäten nein“. Die sinkenden Abiturientenzahlen machten es ohnehin schon schwierig, den gegenwärtigen Bestand zu halten. Auf das Beispiel Jena angesprochen, verweist man im Ministerium auf die unterschiedliche Hochschulstruktur in Sachsen und Thüringen.

Strukturunterschiede sind ein gern angeführtes Argument, für Bundesländer wie für Städte. Zweifellos, jede Stadt ist grundverschieden, Städtebaukonzepte kann man nicht ohne Weiteres übertragen. Auch lässt sich in Anbetracht der Dynamik des Organismus Stadt die generelle Praktikabilität von Stadtentwicklungsplänen hinterfragen. Dennoch, etwas mehr Fantasie, ein Hauch mehr Kreativität und Mut wäre nicht nur wünschenswert, sondern ist wohl auch unabdinglich. Mit einer rein defensiven Aufstellung kann man vielleicht ein Unentschieden halten, gewinnen wird man nur selten.

Text: Benjamin Lummer

Erschienen im 371 Stadtmagazin 04/09

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