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Essen fürs Klima

Dr. Malte Rubach über die Öko-Bilanz unseres Essens

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Ökofetischisten aufgepasst: Die Dogmen taugen nichts. Butter hat im Vergleich zu Ölen gar keine so schlechte Ökobilanz und würden alle Menschen vegan leben wollen – wäre das Ressourcen-Drama vorprogrammiert. So die, zugegeben stark verkürzten, Thesen von Dr. Malte Rubach. In seinem Buch „Die Ökobilanz auf dem Teller“ analysiert er gemeinsam mit seiner Frau Marjorie wissenschaftlich untermauert gängige Öko-Wahrheiten über das Essen und räumt mit Vorurteilen zu Klima-Killern auf.

Herr und Frau Rubach, essen Sie Fleisch?

Gute Frage! Ja, wir essen Fleisch, in verträglichen Mengen und von regionalen und ökologischen Erzeugern.

An nichts entzündet sich der deutsche Esser stärker, als an der Frage, ob unser Fleischkonsum sich nicht nur ethisch sondern auch klimatisch verbietet. Schadet mein Steak auf dem Grill dem Weltklima?

Nein, nicht in dieser Verallgemeinerung, wie wir es häufig von einschlägigen Akteuren aufgetischt bekommen. Es kommt dabei ganz einfach wie bei allem auf die Menge und Häufigkeit an. Genau das hat letztes Jahr eine internationale Experten-Kommission mit der so genannten Planeten-Ernährung definiert. Danach ist es für die Gesundheit der Menschen und des Planeten verträglich, wenn jeder Mensch auf der Welt zwischen 300 und 600 Gramm Fleisch pro Woche konsumieren würde. Das ist auch exakt seit Jahren schon die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Aktuell essen wir in Deutschland allerdings mehr als doppelt so viel Fleisch, insgesamt weniger ist also in jedem Fall angezeigt.

Und was ist das Butter-Paradoxon?

Das ist mein Beispiel für die verzerrte Darstellung vom Einfluss einzelner Lebensmittel auf das Klima in der öffentlichen Diskussion. Da werden oft absichtlich Äpfel mit Birnen verglichen. Oder besser gesagt zum Beispiel Butter mit Kartoffeln, um die Butter als Klimakiller darzustellen, weil sie pro Kilogramm einen immens hohen Fußabdruck an Treibhausgasen hinterlässt. So ein Vergleich hinkt meilenweit hinter der Realität hinterher, denn erstens muss man Butter wenn überhaupt mit Ölen oder anderen Fetten vergleichen und nicht mit Kartoffeln. Zweitens essen wir in Deutschland im Durchschnitt etwa 12 Gramm Butter pro Tag. Das ist völlig in Ordnung, zumal Butter auch noch ein so genanntes Koppelprodukt ist. Sie entsteht im Produktionsprozess vieler Milcherzeugnisse automatisch. Die schon erwähnte Planeten-Ernährung erlaubt zum Beispiel auch 12 Gramm tierische Fette am Tag.

Sie haben auf fast 250 Seiten nicht gerade einen leichten Ratgeber zum ökologischen Essen geschrieben. Ist unser Ernährungssystem wirklich so komplex?

Ich nehme das als positives Feedback (lacht). Das Ernährungssystem ist in den letzten 100 Jahren tatsächlich immer komplexer geworden. Globale Rohstoffströme und die Produktvielfalt haben stark zugenommen. Die Verpackung ist dadurch das maßgebliche Kommunikations- und auch Marketingfenster geworden. Die Darstellung und Informationsvermittlung ist dagegen stark verkürzt, um die Menschen nicht zu überfordern. Teilweise erliegen wir dabei unseren eigenen menschlichen Verzerrungen, weil unser Verstand durch komplexe Zusammenhänge schnell überfordert ist. Dabei schleichen sich dann gängige Mythen ein, die teilweise von bestimmten Akteuren bewusst aufgebaut werden. Zum Beispiel eben, dass tierische Lebensmittel Klimakiller sind und nur vegane Ernährung das Klima retten kann. In Maßen, wie es die Planeten-Ernährung und auch alle Fachgesellschaften für Ernährung empfehlen, ist aber jedes Lebensmittel gesund und umweltverträglich.

In Ihrem Buch räumen Sie mit einigen Missverständnissen und Fehlurteilen zur richtigen, sprich klimagerechten Ernährung auf. Wurden Sie bei der Recherche selbst von den Zahlen der tatsächlichen Ökobilanz überrascht oder folgten Sie eine Agenda?

Ich folge immer einer Basisrecherche von Primärdaten, die ich mir aus den Datenbanken der Weltbank, Welternährungsorganisation oder Vereinten Nationen und nationalen Quellen besorge. Die sind öffentlich zugänglich, aber werden interessanterweise kaum von populärwissenschaftlichen Büchern genutzt. Meine Inspiration dafür war Hans Rosling mit seinem Buch „Factfulness“ oder Steven Pinker mit „Aufklärung jetzt“. Ergänzt wird diese Zahlenbasis durch persönliche Erfahrungen und Recherchen vor Ort, bei denen ich eng mit meiner Frau zusammenarbeite. Für mich die überraschendste Erkenntnis der Recherche war, dass Milch und Milchprodukte erst nach Fleisch, Getränken und Getreideerzeugnissen auf Platz 4 der Klimawirkung liegen und bei der Landnutzung auf Platz 7, dann zusätzlich nach Obst und Kartoffeln. Es kommt eben immer auf die Menge an, nicht nur auf die Klimawirkung pro Kilogramm Lebensmittel.

Essen ist sehr häufig eine Glaubensfrage geworden. Sie setzen eher auf Wissen und vor allem auf einen detaillierten Blick auf die bekannten Daten. Was kann man da entdecken?

Ich möchte mal ein aktuelles Beispiel nennen. Die Prognosen für den Rückgang der weltweiten Klimagasemissionen durch die Corona-Pandemie werden auf 4 bis 7 Prozent im Jahr 2020 geschätzt. Wenn sie vergangene weltweite Krisen wie Weltkriege, Ölkrise oder Finanz- und Wirtschaftskrisen anschauen, dann sehen sie einen Rückgang der Klimagase zwischen 1 und 14 Prozent. Nach jedem Rückgang ist der Klimagasausstoß wieder stark angestiegen, bis auf den heute bekannten vorläufigen Höchststand. Warum? Weil die Weltbevölkerung und damit die Nachfrage nach Wirtschaftsgütern und Energie stetig gewachsen ist. Natürlich trifft das auch auf Lebensmittel zu. Was aber würde eine weltweite Ernährungsumstellung hin zu einer pflanzlich basierten oder veganen Ernährung bringen? Der Weltklimarat schätzt den damit verbundenen Einsparungseffekt gemessen an der aktuellen weltweiten Klimagasentstehung auf 1 bis 15 Prozent. Die Historie lehrt uns aber, dass auch dann die Klimagase weiter zunehmen werden, solange die Weltbevölkerung wächst. Die Lösung liegt daher im Bereich der alternativen Energien, alles andere kann nur einen kleinen Baustein zur Lösung des Problems darstellen, zumal auch bei der Ernährung die Verarbeitung und Zubereitung energieintensiv ist.

Aus Ihrer Sicht: Brauchen wir ein radikales Umdenken in unserem Ernährungsverhalten? Und wohin?

Alleine beim Ernährungsverhalten wird ein radikales Umdenken nicht genügen. Nahezu jede menschliche Aktivität verursacht eine Umweltwirkung. Das Klima ist auch nicht der einzige Faktor, der beispielsweise über Hunger in der Welt oder Artensterben entscheidet. Radikale Einschnitte lassen sich auch nicht ohne soziale und politische Verwerfungen vermitteln, die sich möglicherweise schnell global ausweiten. Ich plädiere deshalb in Sachen Ernährung für einen wissenschaftlich basierten Anpassungsprozess, der sich an den Empfehlungen der Planeten-Ernährung und Deutschen Gesellschaft für Ernährung orientiert. Dabei wären mindestens 75% unserer Lebensmittel nach Gewicht pflanzlich und der Rest tierischen Ursprungs. Aktuell liegen wir laut der Nationalen Verzehrstudie bei etwa 70 Prozent pflanzlichem Anteil. Eine Halbierung des Fleischkonsums würde den Anteil der pflanzlichen Lebensmittel bereits auf 75% anheben. Wer will kann darüber hinaus gehen, aber es darf keine Verzichtsdogmatik entstehen, die jahrtausendealte Grundnahrungsmittel in die Klimakiller-Ecke stellen, nur um vorrangig tierethische Motive zu bedienen. Dieser Diskurs muss differenzierter stattfinden. Wir sollten auch unser gesamtes Konsumverhalten hinterfragen. Was ist einem wichtiger: ein Schweinefilet, eine Portion Spaghetti Bolognese oder 30 Minuten Online-Videos streamen? Alles verursacht ähnlich viele Treibhausgase.

Ein paar konkrete Tipps haben Sie in Ihrem Buch trotzdem: Rapsöl ist besser als jedes andere Öl, Milch trinken ist super aber Käse darf es ein bisschen weniger sein. Gibt es denn eine Grundregel, nach der wir unsere Ernährung gestalten sollten, um all den Ansprüchen (gesund, nahrhaft, ökologisch, tierfreundlich) gerecht zu werden?

Ja, weniger ist mehr und möglichst viel selber aus regionalen und saisonalen Zutaten kochen. Ökologische erzeugte Lebensmittel können auch ein Plus sein, aber nur wenn sie auch regional und saisonal sind und natürlich am besten wieder selbst verarbeitet.

Und wenn es diese allgemeine Regel nicht gibt, wie gehen Sie Einkaufen?

Rezepte und Einkaufszettel. Das Hauptproblem ist, dass wir beim Einkaufen schnell den Überblick verlieren und zu Impulskäufen neigen. Auf der anderen Seite entwickeln wir Einkaufsroutinen und greifen immer wieder zum Gewohnten. 75 Prozent des Angebots in einem Supermarkt blenden wir unterbewusst schon beim Betreten aus, weil es uns überfordert in einer Vielfalt von 30.000 Produkten eines Supermarktes den Überblick zu behalten. Wir haben diverse Kochbücher aus allen Richtungen von vegan bis Wildküche zu Hause, aus denen wir kochen und nach Rezept einkaufen. In meinem Buch habe ich die Vorratsliste des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung als eine Art Einkaufliste abgefasst. Das sind 42 Lebensmittel, mehr brauchen sie nicht, um 10 Tage ausreichend mit allem Notwendigen versorgt zu sein. Ich rate jedem, diese Liste einfach mal zu kopieren, damit einzukaufen und dann mit diesen Lebensmitteln frei nach Gusto zu kochen. Mit etwas Variation der einzelnen Lebensmittel kann das zur Regel werden und die Augen öffnen!

Essen wir Menschen in solchen Krisen wie jetzt Corona eigentlich mehr und/oder schlechter?

Wir essen regionaler und die Menschen kochen tatsächlich mehr, weil die Verpflegung in den Betrieben, Schulen und Restaurants eingeschränkt ist. Viele Menschen nehmen aber auch an Gewicht zu, weil sie weniger Alltagsbewegung haben. Dabei gibt es sehr sehr viele Möglichkeiten auch ohne Sport im Alltag ausreichend Bewegung zu finden, selbst in den eigenen vier Wänden. Mal ein Experiment: Statt sich Abends nur einmal auszuziehen, ziehen Sie sich wieder an und wiederholen das fünfmal. Das ist ziemlich anstrengend, werden Sie sehen. Oder besser: wer seinen Kleiderschrank ausmistet hat und jedes Kleidungsstück nochmal anprobiert, spürt auch die Anstrengung und tut mit einer Kleiderspende auch noch eine gute Tat. In meinem Buch „Das Geheimnis des gesunden Alterns“ habe ich für alle Interessierten eine Vielzahl von wissenschaftlich basierten Möglichkeiten dazu zusammengestellt.

Beschreiben Sie ein 3 Gänge Menü mit einer guten Ökobilanz Ihrer Wahl, dass Ihnen im Chemnitzer Kulturhauptstadt-Jahr 2025 serviert werden sollte.

Das ist eine schöne Idee! Unsere heutige Ernährungsweise in Deutschland verursacht pro Tag etwa 6 Kilogramm Treibhausgase. Um dabei auf einen vernünftigen Nenner zu kommen, würde ich zur Vorspeise auf Antipasti setzen, der Hauptgang Spaghetti Bolognese mit halber Menge Fleisch oder Soja-Hack und zum Nachtisch Obst aus regionaler Erzeugung.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Malte Rubach
Die Ökobilanz auf dem Teller
Wie wir mit unserem Essen das Klima schützen können
248 Seiten, 14 Abbildungen, Klappenbroschur
ISBN 978-3-7776-2876-9
€ 18,00
E-Book: epub. € 13,90
ISBN 978-3-7776-2956-8
Erschienen am 13. Oktober 2020 im Hirzel Verlag.

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