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Dr. Bernhard Helmich ist der neue Generalintendant der Chemnitzer Theater. Am ersten Tag seiner ersten Spielzeit sprach er mit dem 371 über Publikumsschwund, seinem Wunschprogramm und warum die Theater jetzt noch offener sein wollen.
Herr Helmich, Sie sind mittlerweile seit einigen Monate in Chemnitz. Was ist Ihnen positiv bzw. negativ aufgefallen?
Positiv ist mir aufgefallen, dass Chemnitz eine Stadt ist, die genau so ist wie sie scheint, was ihre Bewohner als auch was ihr Aussehen betrifft. Ich habe hier noch nicht ein einziges Mal die Erfahrung gemacht, dass hinter einem ersten Eindruck irgendetwas lauert, was übertüncht werden soll. Das hat etwas sympatisches und ist eine gute Grundvorrausetzung für meine Arbeit. Negativ ist, dass diese Stadt in den letzten Jahren immer kleiner geworden ist, was die Bevölkerungszahlen angeht, und das wirkt sich natürlich auch auf unser potentielles Publikum aus.
Sie wollen verstärkt ein junges Publikum in Ihre Häuser locken. Welche Lockmittel wollen Sie einsetzen?
Ich glaube ein solches Stadttheater muss Zuschauer aus allen Generationen anziehen. Die Älteren sind unsere treuesten Besucher und die sollen sich auch weiter bei uns wohlfühlen. Gleichzeitig ist in den letzten Jahren sehr viel für die ganz Jungen getan wurden. Das wollen wir noch stärker ausbauen, weil es die Voraussetzung ist, dass es uns auch übermorgen noch gibt. Die Voraussetzung, dass es uns morgen noch gibt, ist, dass wir uns um den mittleren Altersbereich kümmern. Diese Leute finden im Moment am schwersten den Weg zu uns. Da müssen wir sehr viel tun. Unser neues Motto "Die Theater sind offen" ist hier mehr als ein Slogan, wir möchten zusätzlich zu unseren Aufführungen noch ganz viele andere Wege anbieten, um den Leuten mit verschiedenen Veranstaltungen die Schwellenangst zu nehmen und auf die Menschen zugehen. Das ist uns einfach wahnsinnig wichtig.
Es fällt auf, dass zukünftig viele Gesprächsrunden mit Akteuren, Dramaturgen, Regisseuren angeboten werden, gerade auch außerhalb der angestammten Theaterhäuser. Heißt das auch: Raus aus den Häusern?
Nein, raus aus den Häusern eher nicht, aber näher an die Leute auf jeden Fall. Das ist ja unsere große Stärke. Wir sind eine Institution mit ganz vielen Künstlern, die in der Stadt leben. Mit diesen Menschen in Kontakt zu treten und zu verdeutlichen, dass wir in dieser Stadt leben und Teil dieser sind, ist eine einzigartige Möglichkeit.
Findet man sein Publikum vielleicht auch über die Stoffe, die man anbietet?
Wir kennen unser Publikum vielleicht noch viel zu wenig um zu wissen, welche Stoffe sie auf der Bühne sehen wollen. Auch deshalb wollen wir die Leute besser kennenlernen. Wichtiger ist aber der umgekehrte Ansatz, nämlich das wir ein Angebot haben und wollen, dass sich die Leute dafür interessieren. Viel stärker wollen wir auf unsere Kernaufgaben aufmerksam machen und das ist die große klassische Oper, das große Handlungsballett und das klassische Schauspiel.
Ihr Vorgänger Herr Stiska hat immer gewarnt, dass das Chemnitzer Publikum zu gewagte Inszenierungen nicht annimmt. Vertrauen Sie dieser Aussage oder wollen sie selbst Ihre Erfahrung machen?
Das muss man immer wieder überprüfen. Unsere Zuschauerzahlen sind im Moment so, dass wir geradezu gezwungen sind, Neues auszuprobieren. Auf dem alten Weg immer nur weiterzugehen bedeutet letztendlich Schwund oder bestenfalls Stagnation auf niedrigem Niveau. Wir müssen einfach zu dem treuen Publikum, was wir haben und welches wir halten wollen, mehr Leute ansprechen, die bisher noch nicht den Weg zu uns gefunden haben.
Stichwort Schauspielhaus. Hier wurde vor wenigen Jahren die kleine Bühne eröffnet, damals mit dem Anspruch, auch neue, vielleicht sogar exprimentellere Stoffe auf die Bühne zu bringen. Gegen Ende der letzten Spielzeit standen teilweise nur an drei Abenden im Monat Inszenierungen des Schauspiels auf dem Programm, oft stand sie leer oder wurde vom Figurentheater bespielt. Werden Sie an diesem Punkt weitermachen oder gegensteuern?
Ich will auf jeden Fall das Profil der kleinen Bühne wieder stärken.Es muss wieder klarer sein für die Zuschauer, was da passiert. Auf welchen Weg das geschehen soll, ist noch nicht klar. Gerade das Figurentheater hat mit "Don Giovanni" in der kleinen Bühne ein Stück inszeniert, welches zu dem besten gehörte, was ich insgesamt im letzten Jahr hier in Chemnitz erlebt habe.
Es ist also durchaus denkbar, dass es hier eine stärkere Durchmischung der einzelnen Sparten der Chemnitzer Theater geben wird?
Ja, wir wollen die kleine Bühne z.B. auch für den Tanz öffnen. Es wird auf jeden Fall ein Ort bleiben, wo interessante Sachen abseits des Repertoires stattfinden werden.
Wie sieht Ihre Wunschvorstellung von einem idealen Spielplan aus?
Mein idealer Spielplan wäre einer, wie man ihn im 18./19. Jahrhundert hatte. Ein Spielplan, der praktisch nur aus zeitgenössischen Stücken besteht. Dazu sucht man sich ergänzend passende Klassiker, die einen aktuellen Bezug haben. Einen solchen Spielplan werde ich wohl nicht mehr erleben, aber die Vision sollte man behalten. Wenn man die Situation mit dem Fernsehen vergleicht, ist es doch so: Dort wollen die Leute immer den neuen Film, die neue Serie sehen, die Wiederholung läuft dann am Vormittag bei Kabel 1. Bei uns ist es genau umgekehrt.
Wird es also in Zukunft mehr zeitgenössisches Theater im Spielplan geben?
Ja, wird es sicher geben. Aber dazu muss man auch viele Premieren anbieten. Wir wollen den Premierenanteil steigern. Damit fangen wir in dieser Spielzeit an und werden das sicher zur nächsten noch einmal steigern.
Im September fällt auf, das "Der kleine Horrorladen" kurz nach der Premiere gleich noch achtmal auf dem Spielplan steht. Ist das ihr Prinzip, gleich nach der Premiere die Stücke so präsent zu halten?
An sich schon, wobei der September sicher eine Ausnahme ist und aus den Erfahrungen des letzten Jahres resultiert. Die Chemnitzer kommen erst ab Oktober wieder stärker ins Theater, und so setzen wir in diesem Monat voll auf "Der kleine Horrorladen". Allerdings ist das Stück im nächsten März auch schon wieder weg, bis dahin sollte man es gesehen haben.
Die Theater der Stadt sind sicher die prägnantesten Kulturorte in Chemnitz. Sehen Sie es als Aufgabe, dass sich eine solche Institution in gesellschaftliche, soziale und politische Entwicklungen vor Ort einbringt und diese reflektiert?
Ja, dass ist auf jeden Fall eine Aufgabe des Theaters, nur passiert es im Moment noch nicht. Aber grundsätzlich müssen wir so etwas machen.
Wir haben in Chemnitz kaum eine selbsttragende Offtheaterszene, auch die Literaturszene ist kümmerlich. Kann ein städtisches Theater, dass unzweifelhaft der Hochkultur zugeordnet werden muss, einer lahmenden Subkultur unter die Arme greifen?
Ja, dass ist theoretisch eine Überlegung wert, aber praktisch ist es im Moment schwer. Wir müssen zuerst unsere Kernaufgabe lösen. Wenn wir das schaffen, hätten wir schon unheimlich viel erreicht. Die Zuschauerzahlen sind einfach rückläufig. Wenn sie unter der Woche in die Oper oder ins Ballett gehen, werden sie sehen, dass es teilweise wirklich schlecht besucht ist, im Gegensatz zu den großen Musicals. Das ist ein Punkt, der mir Sorgen macht. Die große Herausforderung ist für mich wirklich, Publikum für die klassische Oper und das Ballett zu gewinnen, damit auch in Zukunft diese Programme hier stattfinden können.
Die Spielzeit beginnt am 3. September mit einem großen Theaterfest. Machen Sie die 371 Leser doch neugierig auf diese Veranstaltung.
Also zunächst will ich darauf verweisen, dass die Spielzeit auch mit einem großen Theaterfest aufhören wird, nämlich mit dem Südamerikafest im Schauspiel, was nicht nur auf allen Bühne, sondern auch draußen in sommerlicher Atmosphäre stattfinden wird. Zum Auftakt wollen wir natürlich unser neues Motto "Die Theater sind offen" präsentieren, allen voran mit dem Opernhaus, wo die Zuschauer Dinge entdecken können, die ihnen bisher verschlossen geblieben sind. Es gibt verschiedene Programmpunkte, man bekommt die Gelegenheit mit Mitarbeitern der Oper zu sprechen und mal zu schauen, was alles dazugehört, eine Oper zum Leben zu erwecken.
Rundherum wird es auf dem Opernplatz jede Menge zu sehen und zu erleben geben, natürlich auch für die Kinder, und wir hoffen eigentlich nur, das der Sommer nochmal zurückkehrt.
Interview: Lars Neuenfeld Foto: Dieter Wuschanski
Erschienen im 371 Stadtmagazin 09/06