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Ballermann, Petersdom, Ostseestrand – diese Reiseziele können sich vor dem jährlichen Touristenansturm kaum retten. Das 371 interessiert sich für Menschen, die ganz andere Reisen unternehmen.
Viereinhalb Wochen wandern ohne zu wissen, was man zu Abend essen und wo man schlafen wird und das auch noch mit einem Kind, das in diesen viereinhalb Wochen erst ein halbes Jahr alt wird – was Anja Möckel und Alexander Kraus letzten Sommer mit ihrer Tochter Jelena unternommen haben, klingt nicht nach Urlaub: Sie wanderten auf dem Jakobsweg vom an der spanisch-französischen Grenze gelegenen Irun etwa 400 Kilometer Richtung Santiago de Compostela.
Die Wahl war aus praktischen Gründen auf den Jakobsweg gefallen. Man habe eine Tour machen wollen, aber sie sollte zu Fuß sein, damit man die Kleine möglichst viel tragen konnte, erinnert sich Anja. Außerdem sollte Meer dabei sein, denn: „Wir dachten, wenn es nichts wird, machen wir Strandurlaub“, so Alexander. Das war auch der ausschlaggebende Punkt für die genaue Route – denn der Jakobsweg besteht eigentlich aus vielen Wegen, die in ganz Europa beginnen und in Santiago de Compostela zusammenkommen. Anja und Alexander entschieden sich für den Camino della Costa, übersetzt „Küstenweg“, der an der spanischen Nordküste entlang führt. Dieser ist, wie Alexander erklärt, weit weniger frequentiert als der bekanntere Camino Frances. Das kam der Sportökonomin und dem Maschinenbauingenieur zwar entgegen, weil sie gern auf großen Menschenansturm auf dem Weg verzichten wollten, allerdings befinden sich am Camino della Costa auch weniger Pilgerherbergen.
Von Chemnitz nach Irun gelangte die Familie mit dem Zug. Im Gepäck hatten Anja und Alexander ein großes Paket Windeln, nur drei Spielzeuge für Jelena und einen extra gekauften geländefähigen Kinderwagen, den Alexander so umgebaut hatte, dass die Kleine darin liegen konnte. Babynahrung benötigten sie keine, da Anja damals noch voll stillte. Nur ein Päckchen Folgemilch hatten sie für den Notfall dabei.
Die ersten Tage waren nicht einfach: Anja war es anfangs wichtig, morgens ein Tagesziel zu haben. Zu planen war aber schwierig, denn an manchen Tagen schafften sie nur wenige Kilometer, wenn beispielsweise der Weg mit großen Findlingen übersät war und sie den Kinderwagen samt Gepäck tragen mussten. Das führte manchmal zu Streit. Doch bald war nur noch der Weg das Ziel und die Familie arbeitete sich von Wegweiser zu Wegweiser. Und wenn sie merkten, dass sie bis zum Abend keine Herberge erreichen würden, schauten sie sich so bald wie möglich nach einer Möglichkeit um, das Zelt aufzuschlagen. Trotz aller Anstrengungen, die durch das Stillen für Anja noch größer waren, ist die Familie von den gemachten Erfahrungen begeistert: „Man lernt sich selbst gut kennen: Wer bin ich? Was beeinflusst mich? Und man merkt, wie stark man vom Kopf gesteuert wird, wenn der Körper noch kann, aber der Kopf blockiert.“, findet Anja.
Hier geht es zum Artikel (Februar 2013) aus der Serie "Unterwegs"
Text: Julia Keller Foto: privat
Erschienen im 371 Stadtmagazin 03/13