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Die TU Chemnitz öffnet ihre Türen: Zum kommenden Wintersemester 2011/12 sollen alle Studiengänge mit Ausnahme des Bachelor und Master Psychologie zulassungsfrei sein. Das zumindest hatte das Rektorat der TU zum Tag der Offenen Hochschultür Ende Januar bekannt gegeben. Das letzte Wort ist damit zwar noch nicht gesprochen: Das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) kann gegen diese Entscheidung ein Veto einlegen. Dessen Pressesprecherin Annett Hofmann ließ aber durchblicken, dass man den Hochschulen bei derartigen Festlegungen zumeist vertraue. Damit scheint eine Aufhebung der Zugangsbeschränkungen zum kommenden Wintersemester wahrscheinlich.
Begründet wurde die Aufhebung mit rückläufigen Schulabgängerzahlen und der Absicht, die Attraktivität der TU für Studienbewerber aus den alten Bundesländern zu steigern. Zudem hält der Prorektor für Forschung und Lehre Albrecht Hummel Zugangshürden wie die Auswahl nach der Abiturabschlussnote generell für nicht geeignet: „Jeder NC sollte eigentlich nur die Ausnahme von der Regel sein.“, teilte er damals auf Nachfrage mit. Und war damit ausnahmsweise auf einer Linie mit dem Studentenrat der TU: „Wir begrüßen die Entscheidung im Sinne der Chancengleichheit“, äußerte sich Stura-Mitglied Anni Fischer zufrieden mit der Entscheidung – allerdings nicht ohne gleichzeitig eine Anpassung der Finanzierung an steigende Studentenzahlen zu verlangen. Hinter der Hand vermutet man im Studentenrat aber eine andere Motivation des Rektorats: Zwischen 2013 und 2020 sollen an den sächsischen Hochschulen insgesamt mehr als 1000 Stellen abgebaut werden. Als Grundlage für die Zahl der Lehrkräfte werden unter anderem die Studierendenzahlen herangezogen. Kurzum: Wer mehr Studenten hat, muss vielleicht auch weniger Stellen abbauen.
In der Tat kommt der Vorstoß der TU gerade in diesem Jahr recht überraschend. Zum Wintersemester 2011/12 dürften die Hochschulen und Universitäten die wenigsten Probleme haben, Studienanfänger zu finden. Doppelte Abiturjahrgänge durch die Verkürzung des Abiturs in einigen westdeutschen Bundesländern von 13 auf zwölf Jahre und die Aufhebung der Wehrpflicht sorgen dafür, dass im Herbst mehr junge Erwachsene als in den Vorjahren eine Ausbildung oder ein Studium aufnehmen werden. Das SMWK rechnet deswegen zum kommenden Wintersemester mit 1700 bis 3000 zusätzlichen Studienanfängern in Sachsen.
[nbsp]Komplexe Bewerbungspsychologie[nbsp]
Ob es an der hiesigen TU zum Wintersemester einen Bewerberansturm geben wird, lässt sich nicht voraussagen. Das weiß auch die TU-Leitung: „Die Psychologie des Studienwahlverhaltens sei zu komplex“, teilt Rektor Klaus-Jürgen Matthes gegenüber der Freien Presse mit. Bisher waren an der TU Chemnitz acht Bachelor- und vier Masterstudiengänge zulassungsbeschränkt. Zum vergangenen Wintersemester sind allerdings in jeweils drei Bachelor- und Masterstudiengängen alle Bewerber angenommen wurden, es standen also mehr Plätze zur Verfügung, als sich Schulabsolventen beworben hatten. Das muss allerdings nicht viel bedeuten, wie Erfahrungen anderer Universitäten zeigen.
In Jena stiegen beispielsweise die Bewerberzahlen rapide in die Höhe, als in einigen Fächern Zugangshürden abgeschafft wurden. Als in denselben Fächern wieder ein Numerus Clausus (NC)[nbsp] eingeführt wurde, gingen die Bewerberzahlen schlagartig zurück. Das ist verständlich: Für viele Abiturienten mit einer durchschnittlichen Abiturnote sind NCs ein Ausschlusskriterium für eine Bewerbung. Sie schreiben sich von Anfang an oder[nbsp] wenn sie an anderen Hochschulen abgelehnt werden in zulassungsfreie Studiengänge ein.
Gerade im Studiengang Medienkommunikation könnte sich das als Problem erweisen. Medienstudiengänge an Universitäten sind recht selten in Deutschland. Das Internetportal www.studieren.de listet inklusive dem an der TU Chemnitz gerade einmal drei Medienkommunikationsstudiengänge im gesamten Bundesgebiet auf – wobei die beiden anderen zulassungsbeschränkt sind. Jeder, der diesen Studiengang studieren möchte, könnte also geneigt sein, sich zur Sicherheit in Chemnitz einzuschreiben. Damit liefe die TU Gefahr, all diejenigen Bewerber zu bekommen, die an den anderen Universitäten nicht genommen wurden. Wie brisant das sein könnte, zeigen die aktuellen Bewerberzahlen: Trotz Zulassungsbeschränkung sind vergangenes Wintersemester laut
Claudia Fraas, Professorin für Medienkommunikation, etwa 900 Bewerbungen eingegangen.[nbsp][nbsp]
Inneruniversitäre Umverteilungen?
Probleme gibt es schon jetzt. Im zulassungsfreien Masterstudiengang Management and Organisation Studies drohen den Studenten aufgrund von Kapazitätsüberlastungen Verzögerungen im Studienablauf. Der Studiengang ist nach Angaben einiger Studenten nur für etwa 30 Personen ausgelegt, derzeit seien aber etwa 80 Personen eingeschrieben. In der Folge gestaltete sich die Durchführung von Projekten und Prüfungen als äußerst schwierig, teilweise sollten Gruppenprüfungen abgehalten werden. Allerdings werde derzeit in Zusammenarbeit mit dem Rektorat eine Lösung erarbeitet.
In anderen Bereichen fürchtet man eine Aufhebung der Zulassungsbeschränkung aus anderen Gründen: Da wohl keine neuen Stellen aufgebaut werden, könnten Fakultäten mit traditionell eher weniger nachgefragten Studiengängen wie beispielsweise die naturwissenschaftliche gezwungen sein, Stellen an andere Fakultäten abzugeben. Indirekt bestätigte das auch Rektor Matthes. Es werde zeitweise Umverteilungen innerhalb der Universität geben, teilte er gegenüber der Freien Presse mit.
[nbsp]Die Uni als Stadtentwicklungsfaktor
Ganz nüchtern betrachtet kann man der NC-Freigabe mindestens zwei positive Aspekte abgewinnen. Erstens könnten höhere Studentenzahlen Arbeitsplätze an der TU sichern. Das zumindest sagen auch einige Mitarbeiter aus dem Mittelbau hinter vorgehaltener Hand. Zweitens könnte die Aufhebung der Zulassungsbeschränkung der Startschuss für eine Anhebung der Studentenzahlen und damit vielleicht zu einer weiteren Belebung der Stadt Chemnitz werden. Warum sollte die TU – entsprechende Finanzierung sowie räumliche und personelle Kapazitäten vorausgesetzt – nicht bald 15.000 statt 10.000 Studenten haben?
Die Universität der an Einwohnerzahlen gemessen etwa gleich großen Stadt Kiel hat schon heute mit knapp 23.000 doppelt so viele Studenten wie Chemnitz. Gerade für eine demografisch stark alternde Stadt wie Chemnitz sind die Studenten ein überlebenswichtiger Faktor. Ein paar mehr von ihnen sollte die Stadt problemlos verkraften. Bleibt nur die Frage, ob die TU das auch kann.
Text: Benjamin Lummer
Erschienen im 371 Stadtmagazin 03/11