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Radlos durch Chemnitz

Chemnitz fehlt ein einheitliches Radwegenetz

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„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, sagt der Volksmund. Das Volk ist wohl zu selten Fahrrad gefahren, und schon gar nicht in Chemnitz. Radfahrer in Chemnitz haben es nicht gerade einfach. Riesige Bordsteinkanten erschweren die Weiterfahrt, Baustellen auf Fuß- oder – falls tatsächlich vorhanden – Radwegen machen sie unmöglich. Fahrradwege sind in der Stadt der Moderne zumeist ein Stückwerk, ein kurzes Vergnügen, das fast immer an der nächsten Kreuzung endet. Der Übergang ist dabei häufig eine besondere Herausforderung, mir nicht dir nichts mündet der Fahrradweg wie auf der Zschopauer Straße in eine Hauptverkehrsstraße.

Viel Stückwerk
Eine Beispielstrecke: die Fahrt vom Haupt-Campus der TU Chemnitz zum Campus Straße der Nationen. Auf der Reichenhainer Straße radelt man noch auf einem Fahrradstreifen – zumindest bis zur Kreuzung Lutherstraße und auch nur dann, wenn der Radstreifen nicht gerade mit parkenden Autos oder Baustellen versperrt ist. Fortan geht es auf der Straße weiter, am Südbahnhof vorbei, nach rechts auf die Ritterstraße, bis hoch zur nächsten Kreuzung und dort nach links auf die Zschopauer Straße. Erst an deren Ende kommt man wieder in den Genuss eines separaten Radweges auf dem Gehweg – ein kurzes Vergnügen. Nach der Kreuzung Bahnhofstraße/Brückenstraße endet dieser ohne Vorankündigung und mündet in die Fahrbahn der Bahnhofstraße ein (Foto Seite 7). Von da an geht es bis zum Zielpunkt wieder auf der Straße weiter, vor allem die Einordnung in die linksliegende Geradeausspur an der Kreuzung Waisenstraße ist hier bei hohem Verkehrsaufkommen ein Drahtseilakt.

Es fehlt also an einem einheitlichen und durchgängigen Radwegenetz, ein Umstand der sich auch in Radfahrstatistiken niederschlägt: Die Chemnitzer fahren deutlich weniger Rad als die Bewohner anderer ostdeutscher Großstädte. Laut einer SrV-Erhebung (System repräsentativer Verkehrsbefragungen) bezüglich der Radverkehrsanteile am Verkehrsaufkommen aus dem Jahr 2003 nahm Chemnitz unter 16 ostdeutschen Städten nur den drittletzten Rang ein. Während das Radverkehrsaufkommen am Gesamtverkehr hier nur etwa 6 Prozent ausmachte, waren es in Leipzig 12 und in Dessau sogar 23 Prozent.

tl_files/371/images/Magazin/April10/Radweg_Chemnitz.jpg405 Kilometer Radverkehrsnetz?
Dabei wirken die von der Stadt vorgelegten Zahlen auf den ersten Blick recht beeindruckend. Das Chemnitzer Radverkehrsnetz erstreckt sich laut Pressestelle über etwa 405 Kilometer. Ein zweiter Blick offenbart allerdings, dass sich hinter dieser Zahl vor allem Tempo 30 Zonen verstecken. Etwa 42 Kilometer straßenbegleitende Radwege zählt die Stadt, zudem gibt es 35 Kilometer eigenständige Radwege beziehungsweise gemeinsame Fuß- und Radwege, etwa 15 Kilometer Radfahrstreifen (auf Fahrbahnhöhe) und ebenso viele Kilometer Gehwege mit Freigabe für den Radverkehr. Das Gros macht mit 290 Kilometer Länge allerdings die Rubrik „verträglicher Mischverkehr in Tempo 30 Zonen“ aus, da diese Zonen „aufgrund Ihrer Verkehrsfunktion ein geeignetes Mittel für eine sichere Radverkehrsführung“ darstellten.

Zu wenig Radwege also? Geht es nach dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) dann sind es immer noch deutlich zu viel. Für Ralph Sontag, Vorsitzender der Ortsgruppe des ADFC, sind Radwege schlicht und einfach zu gefährlich. Lichtmasten auf der Strecke oder schlecht beleuchtete Bauzäune führten häufig zu sogenannten Alleinunfällen, dazu kämen Kollisionen zwischen Radfahrern – beispielsweise Geisterfahrerunfälle – aufgrund zu komplexer Regelwerke. Gefährlich wird es zudem bei Abbiegungen, erklärt ADFC-Mitglied Sontag und zitiert eine Studie der Universität Lund (Schweden) aus dem Jahr 1990. Die schwedischen Wissenschaftler fanden heraus, dass die Unfallwahrscheinlichkeit beim Linksabbiegen von separaten Radwegen fünf- bis sechsmal so hoch ist wie beim Linksabbiegen von der normalen Fahrbahn.

„Auf separaten Radwegen passieren mehr Unfälle“
Auch Olaf Nietzel von der Chemnitzer Arbeitsgruppe Mobilität stört sich an Fahrradwegen: „Daneben liegt eine große Straße, an jeder Kreuzung, jeder Ausfahrt wird es gefährlich, weil da Auto- und Fahrradfahrer kreuzen.“ Autofahrer würden häufig über den Fahrradstreifen hinweg bis vor an die Straße fahren um bessere Sicht zu haben, eine Szene die vielen Chemnitzer Studenten von der Reichenhainer Straße bekannt sein dürfte. Diese ist Nietzel zufolge sowieso ein Beispiel dafür, wie man es auf gar keinen Fall machen sollte. Die Abstände nach links und rechts[nbsp] – das Gesetz sieht hier 1,5 bis 2 Meter vor – seien viel zu gering, der Fahrradstreifen sei zu nah an den parkenden und zu nah an den fahrenden Autos. Außerdem – auch das dürfte denjenigen bekannt sein, die trotz langem Winters ab und an mit dem Fahrrad zur Universität geradelt sind – werden Fahrradwege nur in den seltensten Fällen von Schnee und Eis befreit.

In der Summe hätten Fahrradwege, die neben Fahrbahnen verlaufen, ihren Zweck nicht erfüllt, sie würden stattdessen dafür sorgen, dass Fahrradfahrer aus den Augen und damit aus dem Sinn der Autofahrer verschwinden. Olaf Nietzel und Ralph Sontag fordern deshalb die Verlagerung des Radverkehrs auf die Straße. Den Einwand, dass sich nahezu jeder Radfahrer auf einem separaten Fahrradweg sicherer fühlt als auf der Straße, will Ralph Sontag nur bedingt gelten lassen: „Subjektiv fühlt man sich auf dem Fahrradweg sicherer. Aber ich habe ein ethisches Problem damit, weil ich weiß, dass auf separaten Fahrradwegen mehr Unfälle passieren.“

Die Novellen der Straßenverkehrsordnung aus den vergangenen Jahren gaben dem ADFC nur in Ansätzen recht. Zwar wurde eine generelle Radwegebenutzungspflicht schon 1997 abgeschafft, die Kommunen können aber weiterhin in Ausnahmefällen die Benutzung zwingend vorschreiben. Dem Drängen der Fahrradverbände, die Nutzungspflicht in ein Nutzungsrecht umzuwandeln kam der Gesetzgeber auch bei der letzten Änderung der StVO im September 2009 nicht nach, einzig linksseitige Radwege müssen seitdem nicht mehr zwingend benutzt werden. ADFC und Co. hatten beklagt, dass hier die meisten Unfälle durch “Geisterradeln” entstehen.

Stadt Chemnitz erarbeit Radverkehrskonzept
tl_files/371/images/Magazin/April10/Radwege_Chemitz.jpgDie Stadt Chemnitz erarbeitet momentan ein Radverkehrskonzept, es soll in der zweiten Jahreshälfte 2011 fertig sein. Bei der Bearbeitung stützt sie sich im Wesentlichen auf die StVO und die sogenannten „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“. Zudem werden der Freien Presse zufolge Befragungen durchgeführt, bisher sind sie bereits an Chemnitzer Kindergärten und Schulen vorgenommen wurden, im Sommer steht eine Bürgerbefragung an. Darüber hinaus sollen in den nächsten Monaten neun Arbeitstreffen Ämter, CVAG, TU, IHK, Großvermieter, Interessenverbände, Auto- und Fahrradclubs an einen Tisch bringen.

Die Kritik von ADFC und AG Mobilität dürfte da erneut auf der Tagesordnung stehen. Laut Pressestelle der Stadt Chemnitz sind deren Bedenken bekannt. Die anstehenden Bauvorhaben tragen dem allerdings wenig Rechung. Sowohl in der Güterbahnhofstraße zwischen Reichenhainer Staße und Werner-Seelenbinder-Straße als auch in der Bahnhofstraße zwischen Brückenstraße und Carolastraße sollen beidseitig Radfahrstreifen angelegt werden, in der Waisenstraße/Dresdner Straße plant die Stadt eine Mischung von abgesetztem Radweg in der Strecke und Radfahrstreifen in den Knotenpunkten. Auch der Chemnitztalradweg wird erweitert, für 370.000 Euro wird das Teilstück bis zur Autobahnbrücke fertig gestellt. Das begrüßen auch ADFC und AG Mobilität, Extra-Fahrradwege auf Routen wo keine Straße nebenher verläuft sind auch in ihrem Interesse.

Man mag die Kritik der Fahrradverbände für weit hergeholt und nicht nachvollziehbar halten. Ob es wirklich die bessere Lösung ist, auf einer Straße wie beispielsweise der Neefestraße neben einem 30-Tonnen-LKW auf der Fahrbahn zu radeln als nebenan auf einem separaten Fahrradweg, ist fraglich. In einem muss man Ralph Sontag aber Recht geben: „Bei Radwegen gibt es keine durchgehenden Lösungen.“ Im Allgemeinen nicht, und im Speziellen – im Falle von Chemnitz – erst recht (bisher) nicht.

Text: Benjamin Lummer Foto: Lummer, Photocase.de/zettberlin

Erschienen im 371 Stadtmagazin 04/10

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