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Rechts der Chemnitz

Ebersdorf: Idylle am rechten Rand

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In Ebersdorf scheint die Welt noch in Ordnung: Der Stadtteil ist nicht überaltert, es gibt keine sozialen Brennpunkte, Arbeitslosigkeit oder Kriminalitätsrate sind weit unter dem Durchschnitt. In Ebersdorf steht kaum ein Haus leer, liebevoll sanierte Fachwerkhäuser strahlen in gepflegten Gärten. Eine Idylle am Stadtrand, urlaubsreif. Und trotzdem erreichten die Republikaner bei der Stadtratswahl 2004 hier 23 Prozent der Stimmen. Alexander Dinger, Benjamin Lummer und Lars Neuenfeld begaben sich auf Spurensuche.

Ortstermin 1 - Die Grundschule
(Lichtenauer Straße 45)
Die idyllisch gelegene Grundschule Ebersdorf besuchen 120 Schüler. Letztes Jahr schafften gut 60 Prozent von ihnen den Sprung auf das Gymnasium. „Wir sind zufrieden“, sagt Ines Jacob. Die Sport- und Mathelehrerin ist seit zwei Jahren die Schulleiterin, vorher unterrichtete sie im Heckert-Gebiet. „Ebersdorf ist beschaulicher“, sagt sie. „Hier steht naturnahes Lernen im Zentrum“. Die Knirpse können derzeit zum Beispiel die im Dach nistenden Turmfalken über einen Monitor beobachten. Der normale Schulalltag wird mit Projektarbeiten, Unterricht im Freien und Spielen aufgelockert. „Bei uns leben und lernen die Kinder im Grünen und nicht in einer Umgebung aus Beton“, so Jacob. Eine schulinterne Prognose stelle in Aussicht, dass es bis 2018 genügend Schulanfänger gebe, um jedes Jahr mindestens eine neue Klasse aufmachen zu können. Doch die Grundschule kann bei weitem nicht so viele Schüler aufnehmen, wie es Bewerber gibt. „Der Ausbau unseres Dachbodens ist schon länger ein Thema“. Für einen Ausbau der Schule fehle allerdings das Geld. Die Stadt stelle nicht genügend Mittel zu Verfügung. Neben den fehlenden Geldern bereitet Frau Jacobs auch die politische Entwicklung in Ebersdorf Sorgen. Warum die Republikaner bei der letzten Kommunalwahl so stark abschnitten, könne sie nicht sagen. Dafür sei sie noch nicht lang genug in Ebersdorf. Einen Grund sieht sie allerdings im Asylbewerberheim und den Ängsten, welche von den Republikanern geschürt würden und einzelnen Personen, die politisch sehr aktiv seien. Umso wichtiger sei es für sie, bereits bei ihren Schülern das Demokratieverständnis zu fördern. „Unsere Kinder sollen sorglos aufwachsen“, sagt sie. Die Kinder werden an der Grundschule bereits von Beginn an in den demokratischen Entscheidungsprozess einbezogen. Ob Schulfest oder Unterricht, die Grundschüler dürfen zum Teil mitbestimmen, was läuft. Jeder in der Gesellschaft habe ein Mitbestimmungsrecht. „Nur so kann man einem bedenklichen Trend frühzeitig entgegenwirken“, sagt sie weiter.

Ortstermin 2 - Der Jugendclub
(Otto Planer Str. 6)
An der Grenze zu Hilbersdorf befindet sich seit 1996 der Jugendverein young connections im eher städtisch geprägten Teil Ebersdorfs. Die Gründung fand etwa zeitgleich mit der Eröffnung des nahegelegenen Asylbewerber- übergangsheims in der Adelbert-Stifter-Straße statt. Die Projektleiterin Nanni Göhler hoffte zu diesem Zeitpunkt noch, Integrationsarbeit leisten zu können. Dieses Vorhaben sollte in der Folge allerdings an der zumeist recht kurzen Verweildauer der Asylbewerber in Chemnitz scheitern. Die sichtbare Präsenz der folglich schlecht integrierten Ausländer wurde von den Anwohnern als Eindringen und Bedrohung empfunden, glaubt Göhler. Der „gefühlt hohe Ausländeranteil“ und die Tatsache, dass es nicht selten zu Pöbeleien seitens der Asylbewerber gekommen ist, habe bei den Ebersdorfern mitunter zu drastischen Reaktionen wie der Aufstellung von Stacheldrahtzäunen geführt und sich wohl auch auf deren Parteipräferenzen ausgewirkt. Dass einmal entwickelte Vorurteile auf Dauer überleben können, hat laut Nanni Göhler auch mit einer besonderen Bevölkerungsstruktur des Stadtteils zu tun: „Hier gibt es einen starken Lokalpatriotismus. Wer bei seinen Eltern auszieht, sucht sich oft wieder eine Wohnung in Ebersdorf.“ So werden die Jungen mit den Ansichten der Älteren groß, die geringe Durchmischung der Bevölkerung sorgt für eine feste Verankerung einst herausgebildeter Ressentiments.

Der ländlich geprägte untere Teil Ebersdorfs ist der Diplom-Sozialpädagogin zufolge von einer „kastenähnlichen“ Bevölkerungsstruktur mit sehr starken Bindungen der Anwohner untereinander geprägt. Zudem genießt die lokale Kirchgemeinde hohes Ansehen. Inwiefern die Stiftskirche Einfl uss auf die politischen Einstellungen der Anwohner nimmt, vermag Göhler jedoch nicht zu bewerten. Es scheint, als wären die Republikaner nur ein böser Spuk. Die Nachfrage, ob es Versuche gab, Nachwuchs zu rekrutieren oder durch Volksfeste und Konzerte Präsenz in Ebersdorf zu zeigen, verneint die Projektleiterin. Die Republikaner seien im Grunde genommen überhaupt nicht sichtbar. Erklären kann Göhler dieses Phänomen nicht, nur möchte sie es auch nicht auf eine Altersgruppe begrenzt wissen: „In den vergangenen Jahren ist Rechtsradikalismus immer mit Jugendlichen in Verbindung gebracht worden – das war ein gewaltiger Fehler. Die Ansätze dafür liegen oft in den Familien.“

Ortstermin 3 - Die Stiftskirche
(Mittweidaer Straße 79)
Die Stiftskirche Ebersdorf ist ein kunst- und religionsgeschichtlicher Schatz. Die gotische Gestaltung mit dem ungewöhnlichen Langhaus und der farbigen Fassung von Pfeilern und Rippen stammt aus dem frühen 15. Jahrhundert. Direkt dahinter steht das kleine Pfarramt. Das alte Fachwerkhaus erstahlt in frischem Gelb, eingerahmt von Jahrhunderte alten Mauern, einem Spielplatz und viel, viel Grün. Hier wohnt Matthias Tittel mit seiner Frau und drei Kindern. Tittel ist seit fast zehn Jahren Gemeindepädagoge, er kennt seine Ebersdorfer. Doch er ist nicht allein in dem schönen Haus. Über ihm wohnt Michael Haubold, Friedhofsverwalter und seit 2004 Stadtrat der Reps. Haubolds Reden lassen keinen Zweifel an seiner stramm rechten Gesinnung. Sein Wort hat Bedeutung, auch er kennt seine Ebersdorfer genau. „Wir sind Nachbarn, wir helfen uns, aber das Thema Politik klammern wir aus“, erklärt Matthias Tittel die Situation im Pfarrhaus. „Herr Haubold weiß, dass ich eine andere Meinung habe und akzeptiert das.“ Schockiert sei er trotzdem über den Wahlerfolg der Rechten und berichtet von einem drastischen Erlebnis. „Am Volkstrauertag 2007 hatten wir hier auf dem Friedhof ein Treffen aus der krassen rechten Szene.“ Über 50 Personen huldigten dort unter dem Deckmantel des Totengedenkens ihrem faschistischen Weltbild. Laut Dokumentation in einem rechten Weblog „bezeugten die Anwesenden am Grabe ihrer Ahnen, nicht eher zu ruhen, bis unser Vaterland wieder in altem Glanze erblüht und unsere Großväter nicht umsonst gefallen sind.“ Tittel und der Ebersdorfer Pfarrer Horst Oertel trauten Augen und Ohren nicht und forderten Friedhofsverwalter Haubold anschließend auf, den zurückgelassenen Kranz zu entfernen. Dieser lehnte ab und so legten die beiden selbst Hand an. „Doch dann stand der Staatsanwalt vor der Tür, wegen angeblicher Störung der Totenruhe.“ So offen treten Rechtsgesinnte aber selten auf. „Wir haben 2004 das Gespräch oft auf das Wahlergebnis gelenkt. Da wollten es niemand gewesen sein.“ Auf das Asylbewerberübergangsheim angesprochen, bestätigt Matthias Tittel die Schwierigkeit von Integrationsprojekten. „Hin und wieder kommen welche zum Gottesdienst. Mit einer iranischen Familie hatten wir mal engeren Kontakt in der Gemeinde, aber auch die musste dann weg. Man kommt leider schwer ran.“ Doch der 34-Jährige will den Rechten nicht das Feld überlassen. „Ich will mit meiner Kinder- und Jugendarbeit daran arbeiten, dass die Menschen erkennen, dass aus dieser Richtung keine Lösung kommt.“ Das Phänomen ist für ihn weder spezifisch an Jugendlichen noch an Älteren festzumachen. „Die Rechten sind hier in der Mittelschicht angekommen.“

Und 2009?
2009 treten die Republikaner nicht zur Stadtratswahl an und auch Michael Haubold will „aus familiären Gründen“ kein Mandat mehr. Stattdessen wirbt die Vereinigung „Pro Chemnitz. DSU“ um Wählerstimmen. Spitzenkandidat in Ebersdorf ist Benjamin Jahn Zschocke. In einer Tageszeitung beschrieb er, was ihn als Kind geprägt habe. Neben dem Elternhaus waren „es die Bastelkurse im Gemeindehaus bei Michael Haubold.“ Zschocke ist heute 22 Jahre alt und u.a. Herausgeber der rechten Zeitschrift „Blaue Narzisse“. Die Saat ist aufgegangen. Die Kommunalwahl am 7. Juni wird zeigen, ob die Ebersdorfer Vorstadtidylle auch weiterhin trügt.

Fotos: Alex Dinger

Erschienen im 371 Stadtmagazin 06/09

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