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Stadt und Land in Volkes Hand

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Den kulturellen Leuchttürmen unserer Stadt geht das Geld aus. Offenbar völlig überraschend für alle Verantwortlichen sprudeln die Geldquellen nicht mehr und ein großes Heulen und Zähneklappern hallt durch Chemnitz. Am lautesten weint das Theater. Schauspieldirektor Zitterbacke versucht verzweifelt mit einer Premierenflut und der Umwandlung des Musentempels in einen Jugendclub gegenzusteuern, mit Second Hand Straßenlampen aus den Partnerstädten, will er wenigstens den Weg zum Schauspielhaus in internationalem Licht erstrahlen lassen.

Erzgemeine Neoliberale und Turbokapitalisten kann das freilich nicht beeindrucken, sie verweisen ungerührt auf die gewaltige Öffnung der Schere zwischen Publikumsinteresse und steigenden Geldforderungen von Seiten des Theaters. Ältere Semester wiederum erinnern sich gern an die umjubelten Aufführungen des Ensembles, als nach dem Theaterbrand in den siebziger Jahren unter spartanischen Bedingungen, ohne feste Spielstätte erfolgreich gearbeitet wurde. Vielleicht, so denkt mancher, benötigen wir in der heutigen Zeit nicht unbedingt einen geldfressenden Kasten tief in den Wäldern des Parks der Opfer des Faschismus.
Das Industriemuseum ist, so hört man, ebenfalls finanziell am Ende und in Zukunft kaum noch arbeitsfähig, selbst der Status als Museum ist in Gefahr. Wenn dem so ist , könnte doch gleich die tapfere Firma Trompetter Guss, der momentan das Leben am bisherigen Standort von hypersensiblen Anwohnern schwer gemacht wird, das Gebäude übernehmen. Gibt es etwas Schöneres, als den Einzug von lebendiger Erwerbskraft in ein Gebäude, das ohnehin als Gießerei gebaut wurde? Die nächste HARIBO Ausstellung könnte dann im Schlossbergmuseum stattfinden, wo derartige Events eine lange Tradition haben.
Auch im Kulturkaufhaus Tietz ist plötzlich das Geld alle, es sollen Mitarbeiter entlassen, Veranstaltungen gestrichen und Öffnungszeiten verkürzt werden. Hier könnten die beim Präkariat so beliebten Rummel- und Zirkusgastspiele stattfinden, die vom Hartmannplatz vertrieben wurden.
Der steinerne Wald sollte natürlich noch schnell an Mineralienfreunde in aller Welt gewinnbringend veräußert werden. Für Tietzchef Rohr, dem in Zukunft das eigenhändige Büchersortieren und diverse Reinigungsarbeiten im gesamten Haus drohen, dürfte das die ersehnte Rettung bedeuten.
Keine Rettung gibt es wohl für das sieche Festival Begegnungen. Die erwarteten Zuschauermassen blieben aus und nun müssen Geldlöcher gestopft werden. Dieses Kulturfestival wird vom Winde verweht, wie damals der preisgekrönte Tassenbrunnen vor dem Rathaus. Und das im Kaufhaus Schocken geplante Museum für Ur- und Frühgeschichte bleibt in diesen klammen Zeiten sicher eine ebenso nichtmaterialisierbare Erscheinung am Horizont, eine Fata Morgana, an der sich auch noch unsere Enkel erfreuen können. Keine Frage: wenn den Leuchttürmen das Dunkel droht, wird es bei den kleinen Lichtern in Kulturbetrieb gleich zappenduster. Die nimmermüden kleinen Kulturveranstalter und Vereine sind sowieso seit Jahren unterfinanziert und geübt im Betteln um halbe und viertel Personalstellen. Sie wollen nur ein bisschen Geld und freundliche Worte. Aber muss sich eine vielbeschäftigte "Stadt der Moderne" auch noch mit solchem Kleckerkram herumschlagen? Die Bevölkerung hingegen zeigt sich verständnisvoll: Wir alle müssen in diesen modernen Zeiten den Gürtel enger schnallen, alte Zöpfe abschneiden und uns von lieb Gewonnenem trennen.

Aber nun naht Rettung von unverhoffter Stelle! Ausgerechnet Ex- Kulturbürgermeisterin, Ex -Kulturministerin, Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig, der von vielen ungerechterweise ein Abtauchen und Wegducken vor den Problemen nachgesagt wird, ist nach Berlin und Brüssel geeilt, um in Rekordzeit ein gewaltiges Kultur-Rettungspaket zu schnüren. 25 Milliarden Euro schwer ist die Finanzspritze für die in Schieflage befindliche Chemnitzer Kulturlandschaft. Allen in Not geratenen Einrichtungen wird schnelle, unbürokratische Hilfe versprochen.
Diese großzügige Unterstützung gibt es natürlich nicht zum Nulltarif. Verstaatlichung ist das Gebot der Stunde. Alle Einrichtungen, die sich mit Geld aus dem Rettungsfond sanieren möchten, werden in volkseigene Betriebe umgewandelt, die Kulturmanager- Gehälter werden gedeckelt und in den Aufsichtsräten sitzen Chemnitzer Steuerzahler. Selbstverständlich müssen, wenn die Kulturbetriebe in Zukunft einen satten Gewinn erwirtschaften, die gewährten Zuschüsse zurückgezahlt werden.
Neben den reinen Kultureinrichtungen hat auch die GGG Interesse an Mitteln aus dem Rettungspaket angemeldet. Ob wir nun ein städtisches oder staatliches Tochterunternehmen sind, ist sowieso egal, hört man aus der Chefetage. Aus den ausgezeichneten Erfahrungen bei der Brühl- Belebung schöpfend, will das Wohnungsunternehmen mit dem Hilfsgeld einen Kulturboulevard auf dem Sonnenberg initieren. Die dortige Fußgängerzone auf der Sonnenstrasse liegt schon lange brach und eignet sich hervorragend zur Ansiedlung junger, kreativer Kulturschaffender aus dem In- und Ausland. So wird es wohl in Zukunft heißen: VEB GGG, Staatliches Industriemuseum, Staats Tietz oder Volkseigene Theater Chemnitz und unsere selbstlose Bürgermeisterin lässt sich bei dieser Gelegenheit auch gleich verstaatlichen und Interessierte können sie künftig zu den Bürgersprechstunden als lebendiges, volkseigenes Kulturmonument bestaunen.
So ist die Chemnitzer Kultur in letzter Sekunde gerettet worden. Bleibt nur die Frage, was Chemnitz nun mit den in letzter Zeit gestiegenen Steuereinnahmen zu tun gedenkt. Vielleicht noch zwei drei Parkhäuser bauen, das Hotel Mercure in ein riesiges Beduinenzelt verwandeln? Oder endlich, endlich die Stadt mit beheizten Bürgersteigen beglücken?

Text: Jan Kummer Foto: photocase.de (horseBadorties)
Jan Kummer arbeitet als freischaffender Künstler, Autor und Veranstalter in Chemnitz.

Erschienen im 371 Stadtmagazin 11/08

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