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Muss jeder ein eigenes Auto haben? Manche teilen sich eins und fahren damit stressfreier und billiger. Doch die bekommen nun juristischen Gegenverkehr.
Sonntags 23 Uhr ist keine so gute Zeit, um nach Hause zu fahren. Jedenfalls nicht wenn man einen knapp fünf Meter langen Kombi auf dem Chemnitzer Kaßberg parken muss. Zwanzig Minuten können da locker vergehen, bis sich ein Parkplatz findet, der dann meist nochmal zehn Gehminuten von der eigenen Haustür entfernt liegt. Und dabei hat es sich so richtig angefühlt, mein Kraftfahrzeug und ich, eine Geschichte, die im Jahr 1997 mit einer Himmelblauen Schwalbe begann und im Jahr 2014, Sonntags halb zwölf vorm Lidl auf der Limbacher Straße endet. Nicht nur für Kleinstadtjugendliche war das erste eigene Auto ein Symbol der Freiheit, auch weite Teile der deutschen Wirtschaft und Identität fußen auf dem Slogan "freie Fahrt für freie Bürger". Dabei geht es nicht um die repräsentative Wirkung einer silbernen E-Klasse vor dem Eigenheim, sondern darum, innerhalb eines halben Tages quasi jeden Winkel des Landes erreichen zu können, ohne jemanden um Erlaubnis oder planmäßige Abfahrt zu fragen – ein Gefühl, dass auch ein rostiger Fiat tadellos vermittelt. Ein Gefühl, das aber irgendwie ein bisschen aus der Mode gerät.
Das teilAuto
Jaja, die Umwelt und die Notwendigkeit, wir sind schon vernünftig, wenn wir über Alternativen zum eigenen PKW nachdenken. Dieser Parkplatz für das teilAuto bei mir vor der Tür ist schließlich auch nachts reserviert. An sieben Stationen können neun Fahrzeuge der Hallenser Firma in Chemnitz abgeholt werden. Die haben 1992 als Verein angefangen, um sich ein Fahrzeug zu teilen. Schöne Idee, offensichtlich mit Potential, denn 555 teilAutos gibt es inzwischen in ganz Mitteldeutschland, die 600er Marke zu knacken ist in diesem Jahr wahrscheinlich. Chemnitz sei dabei als zweitjüngster Standort kein einfaches Pflaster, erklärt Franziska Wilhelm von teilAuto. Aber auch wenn es eine Ingenieurs- und Autofahrerstadt ist, sieht sie hier noch Potential. 150 Teiler gibt es schon, seit 2012 das erste Teilauto in die Stadt kam, 50 Neuanmeldungen allein in diesem Jahr. Das sind noch keine 7000 wie in Leipzig, aber ein Anfang. Der Einstieg ist recht einfach. Gebucht wird der Wagen einfach im Web, Telefonisch oder via App zu Preisen ab 40 Cent pro Stunde zuzüglich Kilometerpauschalen ab 30 Cent. So eine Fahrt aus dem Zentrum zum Neefepark für rund fünf Euro ist also immer billiger als ein Taxi und kaum teurer als eine Busfahrt. Und den Selbstfahrern dürfte der Service auch gefallen: Zehn Privat-PKW soll so ein Sharing-Car ersetzen, also sind quasi schon knapp 90 Parkplätze in Chemnitz frei geworden.
Die Autonetzer
Noch freier könnte es werden, wenn die Chemnitzer selbst teilen würden, etwa als Autonetzer. Denn unter autonetzer.de können auch Privatanbieter ihr Auto vermieten. Wer also selten fährt, kann sein Fahrzeug, statt es teuer abzustellen auch gewinnbringend weitergeben und damit etwas zum Unterhalt dazu verdienen. Von etwa 15 bis 35 Euro am Tag (plus Benzin) reicht der Mietpreis für so ein Netzerauto für den Endkunden, je nachdem, ob es ein alter Nissan oder ein neuer BMW ist. Darin enthalten sind meist 200 Fahrtkilometer, ein Obolus für die Plattform und auf jeden Fall eine extra Versicherung, die für die Zeit der Nutzung eine Vollkasko bietet, sodass Mieter und Vermieter abgesichert sind. In Chemnitz gibt es gerade zehn Autonetzer, auch hier relativ wenig, im Vergleich zu Aachen, das etwa ebenso groß ist, verzeichnet die doppelte Zahl an Angeboten. Im Osten Deutschlands sei noch Luft nach oben, sagt auch Sebastian Ballweg, Gründer und Geschäftsführer von Autonetzer. Rund 5.500 Fahrzeugbesitzer teilen auf seiner Plattform regelmäßig ihr Auto mit 50.000 Mietern. Dabei sind die Autonetzer vor allem an längeren Strecken über eine Dauer von zwei bis drei Tagen interessiert. Das sei nichts, worauf das Unternehmen hingearbeitet habe, so Ballweg, sondern habe sich so ergeben. Damit kommen sich die Autonetzer und die klassischen Sharing-Anbieter wie teilAuto auch kaum ins Gehege, deren Autos werden in der Regel eher für Kurzeinsätze genutzt.
Nicht ganz so dufte fand aber der Bundesverband der Autovermieter Deutschlands (BAV) die Sache und verklagte Autonetzer im vergangenen Oktober. Der ist der Meinung, dass auch Gelegenheitsvermieter ihre Fahrzeuge als „Selbstfahrervermietfahrzeug“ anmelden müssten und damit nicht nur jedes Jahr zum TÜV, sondern auch in eine jährlich bis zu 2000 Euro teure Versicherung wechseln müssten. Selbst Top-Vermieter bei Autonetzer würden lediglich auf drei bis fünf Vermietungen monatlich kommen, erklärt Sebastian Ballweg. Sollte sich der BAV mit seiner Auffassung durchsetzen, würde dies das ganze Prinzip, Haltungskosten zu minimieren, ad absurdum führen. Aber derzeit zeigt sich Autonetzer optimistisch und erwartet noch im Sommer ein eher positives Urteil für teilwillige Fahrer.
Geteiltes #Neuland
Auch wenn die Klage der BAV sicher von wirtschaftlichen Interessen getrieben ist, zeigt sie vor allem eines: Die bisherigen Regeln der Mobilität gehören bei Gesetzgeber, Versicherern, Gewerbeämtern und Dienstleistern auf den Prüfstand. Erst Ende Juli reichte eine Gruppe von Sharing-Unternehmen um Autonetzer eine Petition beim Bundesfinanzminister ein, die eine Regelung für Sharing-Einnahmen, nicht nur beim Auto, fordert (zu finden unter www.werteilthatmehr.de). Angesichts der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung sicher eine notwendige Maßnahme. Denn, dass auch in Zukunft noch jeder seinen eigenen Pkw vor der Tür stehen haben will, ist höchst fraglich. Auch wenn es in Chemnitz noch nicht so deutlich wird, da wandelt sich was. Das ist gut für die Umwelt, das soziale Miteinander, den Geldbeutel und die fünf Meter langen Kombis der anderen.
Text: Michael Chlebusch
Erschienen im 371 Stadtmagazin 08/14