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An Appletree a Day Keeps the Chemnitz-Blues Away

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Machen wir uns nichts vor: Wer aus Überzeugung oder Stockholm-Syndrom-Gründen in Chemnitz lebt, gefällt sich immer auch ganz gut in seiner eigenen Tristesse. Man pinnt sich die Trostlosigkeit an die eigene Stimmung als wäre sie ein angesagtes Accessoire. Was für die Münchner Schickeria die frische Auster bei Dallmayer ist, ist für die Chemnitzer:innen eben der „Graue Beton“. Der ja vielmehr noch als Trettis Ode ans Heckert auch Teil des Chemnitzer Lebensgefühls ist.

Doch ausgerechnet der weltberühmte graue Beton des Heckerts wurde jetzt durch zart keimende Hoffnung regelrecht zerstört: Die Apfelbaumparade hat Einzug in die Stadt gehalten. Unter dem wohl und wunderbar international klingenden Namen „We Parapom!“ wurde das Kulturhauptstadts-Flagship der Wiener Künstlerin und Kuratorin Babara Holub feierlich eingeweiht. Beziehungsweise feierlich entsiegelt, denn ein altes Chemnitzer Sprichwort sagt: Wer Asphalt sät, wird Apfelbäume ernten. Und so sollen für “We Parapom” zukünftig mehr als 2.000 Apfelbaumpaare quer durch die ganze Stadt gepflanzt werden – von völlig unerforschten Gegenden wie dem Yorckgebiet über die Innenstadt bis hin zum weltberühmten Heckert-Gebiet. Drumherum wird es immer wieder künstlerische Interventionen geben.

Weil der Apfel ein historisch gewachsener Kosmopolit ist, geht es bei diesem Projekt eben nicht nur um Cider und Apfelstrudel, sondern um Fragen der Migration, der Demokratie, der Normierung, des Klimawandels und der Ökologie. Letztere Themen könnten natürlich ein heißes Pflaster in Chemnitz werden, denn für manche ökofeindlichen SUV-Sachsen sind neu gepflanzte Bäume vermutlich so etwas wie das staatsfeindliche Symbol der freiheitsberaubenden linksgrünen Meinungsdiktatur, aber da müssen sie jetzt durch.

Fragen drängen sich auf: Wird die grau geprägte Chemnitzer Seele die Transformation zum apfelblühenden Paradies mental überhaupt verkraften? Werden Chemnitz und Region jetzt zum Südtirol Sachsens – die Impfquote stimmt ja schon mal grob – und hier bald Äpfel in rauen Mengen zur apfeluten Perfektion gespritzt? Wann bringt Chemnitz seinen eigenen ersten Äppelwoi heraus und wird es in naher Zukunft hier so sein wie in Frankfurt am Main? Kann Chemnitz überhaupt blühende Landschaft?

Die Grundsteinpflanzung für “We Parapom!” fand zeitgleich am Sonnenberg und im Heckert statt, am Sonnenberg offiziell mit Oberbürgermeister und Kulturamtsleiter, im Heckert performativ mit Asphalt aufhacken, aber als Kunstaktion. Am Rande glänzten Pomolog;innen mit Apfelwissen und es gab Apfelsaft, Apfelwaffeln und Apfelkuchen. Dabei sind ziemlich tolle Bilder entstanden, war ja auch eine tolle Atmosphäre beim offiziellen Apfelanstich: Warmes Herbstlicht, aber eisig kalter Wind, kontemplatives Plattenglühen für alle Chemnitz-Romantiker:innen, Menschen kauern in weißen Kitteln auf dem Boden und klopfen den unerbittlich harten und grauen Asphalt weich. Sie hacken das Heckert auf, so hart, dass aus dem durstigen schwarzen Asphalt-Boden direkt eine Grünpflanze sprießt – die Hoffnung.

Ein Chemnitz-Foto wie aus dem Bilderbuch.

Text: Johanna Eisner Foto: Ernesto Uhlmann

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