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Der Manifold-Auflauf

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Ein gutes Bild erzählt immer eine Geschichte. Die entsteht beim Betrachtenden im Kopf und ist bei jeder/jedem anders. An dieser Stelle erzählt Autorin Johanna Eisner ihre Geschichte zum Bild.

Wenn Menschen in Chemnitz an einen Ort strömen wie sonst nur Pilger nach Mekka, dann kann es sich bei diesem Ort eigentlich nur um den Chemnitzer Markt handeln: Egal ob zum Schlüpfermarkt, bei den Käse Maik Festwochen, fürs Glockenspiel oder das Kartoffelfest - der Chemnitzer Marktplatz ist ein ausgemachter Menschenmagnet.

Nun hat der Markt eine weitere Attraktion: Den Marktbrunnen „Manifold“ – der Name steht für die mannigfaltige Männerwelt der Stadt Chemnitz. Nachdem der Traum vom Tassenbrunnen an der allgemeinen Chemnitzer Intoleranz zerschellt ist, schimmern und sprudeln vor dem Rathaus jetzt endlich silberne Säulen, die aussehen wie im Erzgebirge gedrechselt. Ein Risiko, die Chemnitzer*innen tun sich schließlich schwer mit neuer Kunst im öffentlichen Raum, vor allem, wenn sie nicht aussieht wie etwas, was 1930 oder 1960 ästhetisch so angesagt war. Vor allem auch, wenn die Künstler*innen gar nicht aus Chemnitz kommen – neue Impulse zerstören schließlich das Stadtgefüge.

Doch dieses Mal scheint alles anders zu sein: der Brunnen kommt relativ gut an, obwohl der Architekt Daniel Widrig aus Nürnberg kommt und in London lebt und arbeitet. Doch bei neutral dahingesagten Sätzen wie „gar nicht mal so schlecht“ und „geht eigentlich“ kann man hier fast schon von Begeisterung sprechen. Während die bunte Esse oder der Darm (Marx hab ihn selig!) die Gemüter noch verlässlich erzürnten, wurde der neue Brunnen regelrecht freundlich aufgenommen. Die Kulturhauptstadt hat Chemnitz verändert. Aufregen war früher, heute wird gleichgültig mit der Schulter gezuckt, manchmal werden sogar euphorisch Fotos gemacht – die neue Chemnitzer Offenheit.

So ist es also kein Wunder, dass Millionen von Menschen zur feierlichen Brunnenweihung „Wasser Marsch“ am Gründonnerstag pilgerten und die Stadt auf ihren Social Media Kanälen Bilder postete, die man sonst nur von Springbreak-Partys in Florida oder dem Coachella kennt: Es war die Party des Jahres. Also für alle über 70 und vielleicht noch für ein paar Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung, alle anderen mussten vermutlich arbeiten oder ähnliches, denn die Party fand von 12-14 Uhr statt, an einem Wochentag.

Die Stadt hat zuletzt schon mit „I Love C“ bewiesen, dass sie ganz genau weiß, wie man Social Media wirksame Bilder generiert. Und so schimmerte beim Brunnenfest nicht nur „Manifold“, sondern auch ein silbergraues Meer in der beige-bunten Steppjackenwüste des Chemnitzer Marktplatzes. Chemnitz glänzt wieder mal als älteste Stadt der Welt, also nicht historisch gesehen. Auch die Steuerzahler:innen waren durchaus erbost, schließlich wurde die ganze Geschichte mal wieder von ihren hart arbeiteten Steuergeldern bezahlt, aber zur Party kommen durften sie dann nicht. Eine Frechheit, die mindestens fünf Wut-Emojis verdient. Die Kulturhauptstadt hat Chemnitz doch nicht verändert.

Text: Johanna Eisner Foto: Stadt Chemnitz / Pressestelle

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