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Jane checkt ein

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Kürzlich blätterte ich zufällig im virtuellen Klatschblatt „Buzzfeed“ und stieß dabei auf ein Foto des offenbar schönsten Platzes der Welt. Der Theaterplatz in Chemnitz, in prächtiger High Dynamic Range, das Opernhaus so prunkvoll wie sonst nur in Paris, die Kirchturmspitze ragt in himmelblaue Höhen, der Platz ist gepflastert in einem verführerischen geografischen Muster.

„Chemnitz ist wirklich total hässlich“, lautete die Unterschrift. Toll, dachte ich, da checke ich mal ein. City-Trip gebucht, ein Wochenende in Chemnitz, warum auch nicht? Andere reisen nach Peking, ich hole mir einen Kulturschock in Mittelsachsen.

„Wie ist ihr Name, bitte?“ In Hotels wohne ich immer anonym. „Blond“, sage ich zu der freundlichen Frau an der Rezeption, „Jane Blond.“ Das hier ist schließlich das Adlon von Chemnitz, und es liegt direkt am Theaterplatz. Da kann man schonmal dick auftragen. Viereinhalb Sterne, 60 Zimmer, Tradition seit 1930. Der Geschäftsführer der inhabenden Günnewig-Gruppe heißt nicht umsonst Karl Wilhelm Kaiser. Hier steigen die wenigen Stars ab, die in die Stadt kommen. Ein Kuschelwochenende für zwei mit romantischem Dinner und Sekt auf dem Zimmer gibt’s hier schon für 130 Euro für eine Nacht. Man kann auch einen Kultur-Urlaub buchen, smac-Eintritt inklusive. Kultur und Romantik in Chemnitz erleben, dafür kommen wohl die wenigsten Gäste hierher.

Ich schleife meine Koffer über den schwarz-weißen Marmorboden in die Lobby und lasse mich tief in die gestreiften Polster der Sofas sinken. Die Einrichtung ist eine betont stilvolle Mischung aus 90er-Jahre-Eisdiele und Kaiser-Wilhelm-Zeit. Klassische Eleganz, das Pracht-Areal für die oberen Zehn, eine kleine Luxuswelt in der (n)immermüden Arbeiterstadt.

Es ist Samstagnachmittag, und ich bin ganz allein in der Empfangshalle. Alles ist still, abgesehen von der Frau an der Rezeption ist keiner da, kein verliebtes Kuschelpärchen, kein Volksmusikstar, keine beschäftigen Geschäftsreisenden.

Die Stehtische sind weiß eingedeckt, die Hotelbar hat geschlossen, eine Flasche Schaumwein steht einsam auf der Theke. Ich habe ein „Superior-Zimmer“ gebucht, schweres Schwarz, lüsternes Lila. WLAN, Bademantel, Rotwein, Obstteller. Ich schmeiße mich bebademantelt auf das Bett und lasse Weintrauben in meinen Mund rieseln. Blick aus dem Fenster: Die Oper liegt in zartgraues Licht getaucht, der Theaterplatz ist menschenleer. Wie verwunderlich — der schönste Platz der Stadt (was man so hört), Polizei-Sirenen heulen in der Ferne. Heute spielt hier ganz in der Nähe der ortsansässige Fußball-Club, dritte Liga, schwierige Saison, hat man mir gesagt. Ich habe ein Ticket für „Turandot“ reserviert, mir die Haare bei Brockmann und Knoedler legen lassen, meinem Mann im Zigarrenkontor einen neuen Rasierpinsel aus feinstem Dachshaar gekauft und in den Kunstsammlungen über Rottluff gelernt. Und überhaupt versucht, alles zu machen, was mir das an der Rezeption ausliegende „Visit-Chemnitz“-Heft empfohlen hat.

Nach der Vorstellung hänge ich im Bademantel an der Hotelbar, trinke gerührt Martini und fühle mich wie in einem dieser schwermütigen Frank-Sinatra-Songs. Ein Loner im schummrigen Zwielicht der Hotelbar — das geht nur im Adlon von Chemnitz.

Foto: Maik Irmscher


Ecken und Enden: Im Hinterhof der Innenstadt
In zwölf Ausgaben haben wir etwas mehr als 100 Geschichten über Chemnitz erzählt. Ein Stadtporträt der anderen Art sollte es werden, ganz bewusst mit offenem Ausgang.

Jan bleibt allein
Wenn in unserer Stadt von Taschendieben, Drogenhändlern und Prostitution gesprochen wird, ist vom Theaterplatz garantiert nie die Rede. Das hat einen einfachen Grund, hier gibt es keine Menschen.

Nina und der Goldene Karl
Mehr Premieren, mehr Konzerte – die Filmnächte Chemnitz sollen sich verändern. Der Begriff Spielfilmfestival schwebt im Raum.

Szymmi verirrt sich im Graben
Vorüber ist die Echtzeitillusion einer Geschichte und der letzte Gast längst auf dem Weg zur Garderobe, wenn im Orchestergraben das Arbeitslicht aufleuchtet. Es ist Abbauzeit.

Michael denkt kompakt
Der Theaterplatz, das ist da wo Chemnitz wie Dresden aussieht, da wo es so nach Hochkultur riecht mit Sandstein und Kupferdach. Was man nicht so gut sieht, ist, dass das Areal auch irgendwie das Chemnitzer Medienviertel ist.

Daniel und die Schwarze Acht
Zuverlässig steigende Einschaltquoten für Dart-Ereignisse im TV, ausgebuchte Kegelbahnen in der gesamten Stadt (zumindest um die Zeit der Betriebsweihnachtsfeiern)...

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