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Michael und der Autoberg

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Spät nach Hause kommen ist schlecht auf dem Kaßberg. Da sieht es dann an vielen Kreuzungen aus wie beim Wimpel-Autohändler. Irgendwo, wo noch Platz war, wurde der durchgerostete T4 einfach reingeschoben.

Entweder darf man sich da als Fußgänger durch quetschen (bitte nicht im Rollstuhl kommen) und vorsichtig um die Ecke lunzen, ob wieder einer mit 70 Sachen durch die 30er Zone fährt (der sucht schließlich auch schon seit 20 Minuten einen Parkplatz), oder man ist gleich selbst mit dem Auto unterwegs (schön blöd) und kann sich auf den nächtlichen Spaziergang am anderen Ende des Viertels freuen.

Der Kaßberg ist mit über 18.000 Einwohnern der bevölkerungsreichste Stadtteil von Chemnitz und kaum irgendwo wird so klar, wie sehr der Chemnitzer sich bei seiner Mobilität aufs Auto verlässt. Auf 1000 Einwohner, weiß Martin Schmidt von den Chemnitzer Grünen, kommen auf dem Kaßberg etwa 500 Autos. Dass die bei einem Wohnblock mit 30 Mietern nicht auf die zehn Meter davor passen ist irgendwie klar. Zum Vergleich: In Berlin sind etwa 300 Autos je 1000 Einwohner angemeldet, satte 40% weniger. Und eigentlich wollte ich mit Martin Schmidt gern über Ideen reden, wie ich einen besseren Platz für meinen fünf Meter langen Altwagen finde, als er mich auf einen Spaziergang durchs Viertel mitnimmt und mir zeigt, dass es vielleicht gar nicht so gut ist, wenn so viele fünf Meter lange Autos da rum stehen. 1,80 Meter soll ein Gehweg nach den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen den Fußgängern (oder Rollstuhlfahrern) bieten, dazu einen Sicherheitsabstand von 50 cm zum fahrenden oder stehenden Verkehr hin.

Auf dem Kaßberg hat man stellenweise Glück, wenn man seitlich zwischen Heck und Hecke durch passt. Die Gehwege sind teilweise kaputtgefahren, die Kreuzungen vor allem abends behindernd und völlig uneinsehbar zugeparkt. Wo eigentlich Bäume und Grünstreifen den Kaßberg schöner machen als viele andere Wohngebiete, ziehen sich Reifenspuren durch die weiche Erde. Diesem jungen Baum da ohne Metallbügel zum Schutz vorm Parken auf seinen Wurzeln prophezeit Martin Schmidt kein langes Leben. Auf der anderen Straßenseite hat man das Erdreich kurzerhand mit schwarzem Bitumen vor parkenden Autos in Sicherheit gebracht. Wie es besser geht, kann man an der Andréstraße Ecke Henriettenstraße sehen. An den Kreuzungen halten Poller und vorgelagerte Gehwege die Sichtlinien frei, an der Straße darf parallel geparkt werden. Das bietet nicht so viel Platz wie die Autos einfach senkrecht auf dem Gehweg zu stapeln, aber es ist sicherer für alle Verkehrsteilnehmer und sieht nebenbei auch strukturierter aus.

Was tut die Stadt aber denn nun für meinen alten Volvo? Nun ja, da ist Michael Stötzer, Bürgermeister für Stadtentwicklung und Bau, relativ deutlich: Es ist nicht unbedingt Sache der Allgemeinheit, sich darum zu kümmern, wo ich mein Privateigentum unterstelle. Zwar hält die Stadt durchaus Grundstücke vor, auf denen Investoren gern ein Parkhaus errichten dürfen – etwa an der Kanzler-/Ecke Walter-Oertel-Straße, aber deren Interesse erlosch bislang schnell mit der geringen Nachfrage von Mietern oder den Einwänden von Anwohnern. Parken ja, zahlen eher nicht so gern. Also was tun mit dem eigenen Auto?

Die Frage ist wohl eher: Was nicht tun mit dem eigenen Auto? Manchmal kann man laufen, manchmal hilft die CVAG weiter. Auch wenn die mit ihrem Weg über die Zenti eher lang dazu braucht. Aber auch hier hat die Stadt zum Glück neue Ringbuslinien zwischen den innerstädtischen Quartieren geplant. Erst ab Ende 2017, aber immerhin ein Ausblick. Und dann kann man sich auch immer noch beim nächsten Motorschaden für den Verzicht entscheiden und eine der vielen Car-Sharing-Stationen auf dem Kaßberg ins Auge fassen, die sich hier seit zwei Jahren ziemlich gut etabliert und vermehrt haben. Es gibt also auch abseits vom kalten Entzug noch ein bisschen Hoffnung für den Kaßberg und seine Autoüberdosis.

Text: Michael Chlebusch Foto: Maik Irmscher


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