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Johannes lässt fahren

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Die Ulmenstraße bringt den Bewohnern des Kaßbergs die California Street aus San Francisco direkt ins Wohnzimmer - oder zumindest vor die Haustür. An deren Fuße erstreckt sich, dem Laufe des Kappelbachs folgend, das Chemnitzer Silicon Valley, in dem sich seit jeher die Visionäre, Industriegrößen und Start-Ups der Stadt tummeln.

Eines davon hat vor Kurzem für die Verlegung ihres Firmensitzes mit dem Neubau begonnen und sich auf die Entwicklung von Sensortechnik und autonomes Fahren spezialisiert. In einer Ausschreibung sucht der Betrieb derzeit nach Testfahrern, die Spaß am Fahren und Furchtlosigkeit im Bezug auf moderne Technik mitbringen. Da dachte ich: COOL!

Der verantwortliche Fahrzeugtechniker wünscht mir eine gute Fahrt, dann schlägt er von außen die Tür des Autos zu. „In Hinblick auf Ihre gesundheitliche Verfassung gibt es aus unserer Sicht keine Bedenken“, stand fettgedruckt im Arbeitsvertrag und war für mich Vertrauensbeweis genug, um zu unterschreiben. Für das Kleingedruckte reichte, wie so oft, meine Zeit nicht. Das Fahrzeug hat weder Lenkrad noch Pedalsysteme für sicheres Bremsen oder Beschleunigen. Die einzige Möglichkeit mit dem Gefährt zu kommunizieren besteht darin, den überdimensionierten Touchscreen in der Mitte der Konsole zu bedienen oder die Sprachfunktion zu aktivieren. Als ich das erste Mal „Hey Sirius“ sage, erscheint ein pulsierender Kreis in der Mitte des Bildschirms, der geduldig auf weitere Instruktionen wartet.

Nachdem mir K.I.T.T. Sirius, das ist der vollständige Name des Prototyps, einen frischen Espresso zubereitet hat, starte ich die vorinstallierte Testroute über das Bedienfeld und wir biegen in die Ulmenstraße ein. Obwohl diese rege befahren ist, nehme ich nur das simulierte Motorgeräusch meines Untersatzes wahr. Schüchtern schleicht er sich auf der schmalen, mit parkenden Autos besäten Straße bergauf, während sich hinter uns der Verkehr staut. Ich packe den restlichen Döner vom Mittagessen und mein Knight Rider Buch aus der Tasche und genieße es, all das tun zu können, was meinen Mitstreitern im Straßenverkehr bis heute unmöglich ist. Ich befehle Sirius, das Hupen und die sichtlich lauter werdenden Beleidigungen der anderen Fahrer aus den Fenstern heraus in klassische Musik umzuwandeln und gönne mir nach getaner Arbeit ein kleines Nickerchen.

Ein unüberhörbarer Warnton reißt mich aus dem Schlaf. Blinkende Armaturen und Knöpfe sind plötzlich überall, wo zuvor nie etwas gewesen zu sein schien. Wir rasen mit 120 Sachen die Weststraße hinab, während die nun hörbare „Ode an die Freude“ von Beethoven dem Moment zusätzlich Dramatik verleiht. Die Kaßbergauffahrt nähert sich zuverlässig und mit ihr die Gewissheit des sicheren Endes meiner kleinen Spritztour. Während ich im Handbuch nach den angezeigten Fehlercodes suche, erscheinen ein süßes Katzenbaby und ein Hundewelpe auf dem Bildschirm. „Entscheide!“, ertönt es aus den Lautsprechern meines Fahrzeugs, im Anschluss ein Countdown. Hilflos wähle ich den Hund - darauffolgend ein kaum spürbarer Widerstand unter den Reifen. Völlig aufgelöst und durcheinander entdecke ich den Notschalter für den Schleudersitz. Sekunden später ein lauter Knall - Druck auf meiner Brust! Ich höre meine Wangen flattern und mein Atem wird stumm.„Der nächste Fahrer bitte, hallo, der nächste Fahrer!“, ertönt eine weibliche Stimme über die Boxen im Warteraum des Unternehmens für autonomes Fahren. Ich reibe mir die Augen und realisiere nur langsam, was sich innerhalb der letzten Minuten in meinem Traum abgespielt hat. Auf mein Bauchgefühl vertrauend, packe ich meine Sachen und verlasse das Gebäude. Ich fahre in die Stadt und teste im Saturn das neueste Need for Speed für die Play Station. Es ist schon beruhigender, die Dinge selbst in der Hand zu haben.

Text: Johannes Richter Foto: Lars Neuenfeld


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