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Letzte Frage im November 2021

Veröffentlicht am:

Eine gebürtige Norddeutsche wundert sich über die Sachsen. Sind sie nun stolze Autoritätsverweigerer oder einfach nur dumm? Herr Kummer sucht Antworten.

Lieber Herr Kummer, als von der Küste Zugezogene hab ich die sächsische Mentalität erst lieben lernen müssen. Das hat gar nicht so lang gedauert, aber nun bin ich hin- und hergerissen. Grund ist das renitente Nichtbefolgen von selbst einfachsten Anordnungen hinsichtlich des Infektionsschutzes auf der einen, der absolute Unwille seitens der Administrative, diese Ignoranz zu ahnden, auf der anderen. Restaurants und Festzelte sind proppevoll, niemand fragt nach Tests und (hihi) Impfzertifikaten, Abstand war gestern und die Maske baumelt lässig unterm Kinn. Ich bin unschlüssig: Bewundere ich diese kaltschnäuzige Autoritätsverweigerung oder soll ich Anzeigen rausschicken?


Wer von der Küste kommt, vielleicht sogar aus dem Impf-Wunderland Bremen, der kann in Sachsen einen Pandemie-Kulturschock erleben. Hohe Infektionszahlen kombiniert mit einer niedrigen Impfquote sorgen für Ratlosigkeit und Verwunderung im Rest der Republik. Während bundesweit 5 Prozent angeben, sich „auf keinen Fall impfen zu lassen“, sind es in Sachsen mit 12 Prozent mehr als doppelt so viele. Im Erzgebirge quetscht sich der Einheimische in überfüllte Wiesn-Zelte und ist stolz darauf, seine Maske nur in Ausnahmefällen anzulegen.

Der Bürger darf sich mit wenig Mühe als Rebell fühlen, es reicht, die Hygiene-Vorschriften nicht zu beachten. Diese Verweigerung ist eine simple, kosten - und mühelose Art, eine symbolisch aufgeladene Protesthaltung gegen eine scheinbar aus den Fugen geratene Welt und „die da oben“ zu zeigen. Unser Ministerpräsident spricht gern mit den Wutbürgern auf Marktplätzen, in Parkanlagen und sogar beim Schneeschippen vor seinem Privathaus. Querdenker empfinden selbst das Tragen einer Maske als unzumutbare Belastung. Sie haben Angst, dass ihnen durch Impfungen ein drittes Auge wachsen könnte, sie unfruchtbar oder gar gechipt werden. Befürchtungen, die mit den hiesigen Volksvertretern lange ausdiskutiert und abgewogen werden.

Verständnis und Milde gegenüber den Corona-Ignoranten sind in Sachsen stark ausgeprägt. Erzgebirgische Spezial-Sekten, wie die Gemeinde der Lorenzianer in Pockau Lengefeld, halten ihre Versammlungen wie eh und je ab und der zuständige Landrat gibt sich mit einem vorgelegten Hygienekonzept zufrieden. Ob es vor Ort jemals Kontrollen gegeben hat will er „aus taktischen Gründen“ nicht sagen. Die Lorenzianer meinen übrigens, wer sich gottesfürchtig verhält, dem kann auch Corona nichts anhaben. Falls man erkrankt, hat man Fehler gemacht und einen Mundschutz zu tragen kann natürlich bedeuten, dass man Gottes Urteil nicht vertraut. Heilig sind auch die erzgebirgischen Weihnachtsmärkte, nach Aussage des Stollberger Bürgermeisters unverzichtbare „Feste des ganzen Volkes“. Um diese auch in Corona-Zeiten durchführen zu können, entwickelte er 2020 einen genialen Plan. Ein Weihnachtsmarkt in seiner Stadt sollte möglich sein, wenn dieser nur für Bürger von Stollberg zugänglich ist, denn: „Wenn wir keine Menschen von außerhalb dazuholen, dann ist das Risiko praktisch nicht da“.

In diesem Jahr dürfte das Weihnachtsvergnügen ohne große Beeinträchtigungen über die Bühne gehen, auch Ortsfremde können wieder vorbeischauen. Auch wenn bei diesen Veranstaltungen, wie zu befürchten, die Masken lässig unterm Kinn baumeln und Abstandsgebote nicht eingehalten werden, würde ich dringend raten Beschwerden oder gar Anzeigen nur im absoluten Notfall rauszuschicken. Ignorieren ist manchmal besser für die seelische Gesundheit. Querdenker fühlen sich bei jeglichem Widerspruch als gepeinigte Opfer eines mörderischen Systems und haben keine Hemmungen, sich auf die gleiche Stufe wie Verfolgte der Nazidiktatur oder mindestens Karl Stülpner zu stellen. Dafür kann man die Wutbürger nicht bewundern, es ist peinlich und ärgerlich.

Was nun? Um Corona auch in Sachsen endlich zu besiegen, wäre eine höhere Impfquote wünschenswert. Wissenschaftler empfehlen die Zahlung von Prämien, im Gespräch sind Summen von 200 oder 300 Euro. Auch eine Anwerbebelohnung für Geimpfte, die Freunde oder Familienmitglieder zur Impfung motivieren, sei sinnvoll. Eine, wie ich finde, gute Idee, denn auch der härteste sächsische Querdenker und Widerstandskämpfer ist stets an einer Aufbesserung seiner Mallorca-Urlaubskasse interessiert.

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